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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VIII. Große Gesellschaften.
im höheren Wortsinn ungünstig sind, läßt sich nicht verkennen.
Irgend ein Schriftsteller äußert einmal mit mehr Aufrichtig-
keit als Höflichkeit, es sei ihm, wenn er einer Gesellschaft bei-
gewohnt habe, immer so, wie einem Wasser zu Muthe sein
möge, durch das eine Heerde gelaufen ist und das nun einige
Zeit braucht, um wieder klar zu werden. Von Oliver Gold-
smith
sagte ein berühmter Zeitgenosse, der ihn in einem Club
hörte, er sei erstaunt, denselben Mann, der wie ein Engel
schreibe, wie einen Esel sprechen zu hören. Der Vorsitz in
großen Gesellschaften, deren Zweck bloße Unter-
haltung ist, scheint nun einmal der Göttin der Trivia-
lität auf die Länge nicht streitig zu machen, und das Er-
gebniß stellt sich kaum besser, wenn auch gescheute Menschen
zugegen sind. Ob nun diese selbst oder nur ihr Geist sich
aus dem Dialog zurückziehen, kommt auf Eins heraus,
jedenfalls hat mir immer geschienen, daß das Beste, was ich
gehört, von vorbereiteten Reden abgesehen, im Austausch
von Zweien oder Dreien zum Vorschein gekommen sei. Ist
der Kreis aus Einem hervorragenden und einer Anzahl
mittel- und untermittelmäßiger Köpfe zusammengesetzt, so
rückt jener rasch herab auf's allgemeine Niveau, weil es ihm
an Anregung fehlt; zählt er mehre bedeutende, so ist der
Friede bald gestört, jeder von ihnen hat kleine Parteigänger
um sich herum, denen er Zugeständnisse macht u. s. w. Im
Zwiegespräche gibt man sich unbefangener, die Rede kann für
Eine bestimmte Person zugespitzt sein, die Eitelkeit mischt sich
nicht so leicht ein, wird auch nicht so leicht verletzt, und das
Ganze verläuft ergiebiger für beide Theile. Zwei Menschen
können allenfalls für einander passen, die Wahrscheinlichkeit
verringert sich aber, je mehr deren sind. Der Musen waren
zwar Neun, ihre Biographen berichten jedoch nicht, daß sie
sich alle neun an einen Tisch gesetzt und Conversation gemacht
hätten. Einen Wink könnten uns auch Abstimmungen man-
cher Körperschaften geben, denen es notorisch nicht an ein-
sichtigen Männern fehlt, die aber doch oft verhandeln, als ob

VIII. Große Geſellſchaften.
im höheren Wortſinn ungünſtig ſind, läßt ſich nicht verkennen.
Irgend ein Schriftſteller äußert einmal mit mehr Aufrichtig-
keit als Höflichkeit, es ſei ihm, wenn er einer Geſellſchaft bei-
gewohnt habe, immer ſo, wie einem Waſſer zu Muthe ſein
möge, durch das eine Heerde gelaufen iſt und das nun einige
Zeit braucht, um wieder klar zu werden. Von Oliver Gold-
ſmith
ſagte ein berühmter Zeitgenoſſe, der ihn in einem Club
hörte, er ſei erſtaunt, denſelben Mann, der wie ein Engel
ſchreibe, wie einen Eſel ſprechen zu hören. Der Vorſitz in
großen Geſellſchaften, deren Zweck bloße Unter-
haltung iſt, ſcheint nun einmal der Göttin der Trivia-
lität auf die Länge nicht ſtreitig zu machen, und das Er-
gebniß ſtellt ſich kaum beſſer, wenn auch geſcheute Menſchen
zugegen ſind. Ob nun dieſe ſelbſt oder nur ihr Geiſt ſich
aus dem Dialog zurückziehen, kommt auf Eins heraus,
jedenfalls hat mir immer geſchienen, daß das Beſte, was ich
gehört, von vorbereiteten Reden abgeſehen, im Austauſch
von Zweien oder Dreien zum Vorſchein gekommen ſei. Iſt
der Kreis aus Einem hervorragenden und einer Anzahl
mittel- und untermittelmäßiger Köpfe zuſammengeſetzt, ſo
rückt jener raſch herab auf’s allgemeine Niveau, weil es ihm
an Anregung fehlt; zählt er mehre bedeutende, ſo iſt der
Friede bald geſtört, jeder von ihnen hat kleine Parteigänger
um ſich herum, denen er Zugeſtändniſſe macht u. ſ. w. Im
Zwiegeſpräche gibt man ſich unbefangener, die Rede kann für
Eine beſtimmte Perſon zugeſpitzt ſein, die Eitelkeit miſcht ſich
nicht ſo leicht ein, wird auch nicht ſo leicht verletzt, und das
Ganze verläuft ergiebiger für beide Theile. Zwei Menſchen
können allenfalls für einander paſſen, die Wahrſcheinlichkeit
verringert ſich aber, je mehr deren ſind. Der Muſen waren
zwar Neun, ihre Biographen berichten jedoch nicht, daß ſie
ſich alle neun an einen Tiſch geſetzt und Converſation gemacht
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[268/0282] VIII. Große Geſellſchaften. im höheren Wortſinn ungünſtig ſind, läßt ſich nicht verkennen. Irgend ein Schriftſteller äußert einmal mit mehr Aufrichtig- keit als Höflichkeit, es ſei ihm, wenn er einer Geſellſchaft bei- gewohnt habe, immer ſo, wie einem Waſſer zu Muthe ſein möge, durch das eine Heerde gelaufen iſt und das nun einige Zeit braucht, um wieder klar zu werden. Von Oliver Gold- ſmith ſagte ein berühmter Zeitgenoſſe, der ihn in einem Club hörte, er ſei erſtaunt, denſelben Mann, der wie ein Engel ſchreibe, wie einen Eſel ſprechen zu hören. Der Vorſitz in großen Geſellſchaften, deren Zweck bloße Unter- haltung iſt, ſcheint nun einmal der Göttin der Trivia- lität auf die Länge nicht ſtreitig zu machen, und das Er- gebniß ſtellt ſich kaum beſſer, wenn auch geſcheute Menſchen zugegen ſind. Ob nun dieſe ſelbſt oder nur ihr Geiſt ſich aus dem Dialog zurückziehen, kommt auf Eins heraus, jedenfalls hat mir immer geſchienen, daß das Beſte, was ich gehört, von vorbereiteten Reden abgeſehen, im Austauſch von Zweien oder Dreien zum Vorſchein gekommen ſei. Iſt der Kreis aus Einem hervorragenden und einer Anzahl mittel- und untermittelmäßiger Köpfe zuſammengeſetzt, ſo rückt jener raſch herab auf’s allgemeine Niveau, weil es ihm an Anregung fehlt; zählt er mehre bedeutende, ſo iſt der Friede bald geſtört, jeder von ihnen hat kleine Parteigänger um ſich herum, denen er Zugeſtändniſſe macht u. ſ. w. Im Zwiegeſpräche gibt man ſich unbefangener, die Rede kann für Eine beſtimmte Perſon zugeſpitzt ſein, die Eitelkeit miſcht ſich nicht ſo leicht ein, wird auch nicht ſo leicht verletzt, und das Ganze verläuft ergiebiger für beide Theile. Zwei Menſchen können allenfalls für einander paſſen, die Wahrſcheinlichkeit verringert ſich aber, je mehr deren ſind. Der Muſen waren zwar Neun, ihre Biographen berichten jedoch nicht, daß ſie ſich alle neun an einen Tiſch geſetzt und Converſation gemacht hätten. Einen Wink könnten uns auch Abſtimmungen man- cher Körperſchaften geben, denen es notoriſch nicht an ein- ſichtigen Männern fehlt, die aber doch oft verhandeln, als ob

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/282>, abgerufen am 24.11.2024.