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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VIII. Sehenswürdigkeiten -- Menschen- u. Selbstkenntniß.
kurz in allem Thun und Treiben der Menschen das Bedürf-
niß nach Veränderung sich geltend macht, so kann auch der
Reisende ihrer nicht entrathen und es offenbarte völlige Ver-
blendung, vor jeder Art von Abwechslung zu warnen. Meine
Bemerkungen bezogen sich natürlich nur auf Grad und Aus-
wahl der Beschäftigungen. Ebensowenig habe ich leugnen
wollen, muß vielmehr besonders betonen, daß die wichtig-
sten Aufgaben
des Touristen in jenem allgemeinen Ge-
biete liegen. Für diese wichtigsten Aufgaben halte ich nämlich
nicht Besichtigung von Naturschönheiten, Sehenswürdig-
keiten, Seltenheiten, Curiositäten, sondern: Menschen,
andere sowohl als sich selbst, besser beurtheilen und behandeln
zu lernen, zu lernen, neue Blicke in das eigene Innere und
in das ganze Menschenwesen zu thun, in seinem Ich Mängel
und ebenso Fähigkeiten zu entdecken, von denen wir bisher
nichts wußten, im Menschen überhaupt die allgemeinen, aller-
wärts wiederkehrenden, wesenhaften Grundzüge von den Zu-
fälligkeiten des Individuums unterscheiden: -- nicht blos
Menschen, auch den Menschen näher kennen zu lernen.

Wer Jahr aus Jahr ein in gewohnten Kreisen sich be-
wegt, in denen Rang, Vermögen, Amt, Beruf, Gewohn-
heiten, Familienverbindungen, Vorangegangenes verschieden-
ster Art ihren Einfluß üben, hat selten Gelegenheit zu sehen,
welchen Eindruck seine innerste Persönlichkeit, gelöst von die-
sem Beiwerk, auf Andere macht, und doch ist ein Experiment
der Art um so belehrender, je höher, und um so wohlthuender,
je tiefer wir auf der gesellschaftlichen Stufenleiter stehen, es
ist ein Probirstein für den Feingehalt des eigenen Wesens
und ein Schleifstein für dessen Ecken.

Die Reisemüdigkeit, die wir im großen Touristenstrom
so vielfach wahrnehmen, beweist, daß die Mehrzahl jener
Herren und Damen ihren Vortheil verkennt, indem sie weder
auf das Allgemeine noch auf ein Besonderes bedacht sind.
Denn auch was Natur und Kunst des Herrlichsten bieten, der
reichste Wechsel großartiger und lieblicher Landschaften, Alter-

VIII. Sehenswürdigkeiten — Menſchen- u. Selbſtkenntniß.
kurz in allem Thun und Treiben der Menſchen das Bedürf-
niß nach Veränderung ſich geltend macht, ſo kann auch der
Reiſende ihrer nicht entrathen und es offenbarte völlige Ver-
blendung, vor jeder Art von Abwechslung zu warnen. Meine
Bemerkungen bezogen ſich natürlich nur auf Grad und Aus-
wahl der Beſchäftigungen. Ebenſowenig habe ich leugnen
wollen, muß vielmehr beſonders betonen, daß die wichtig-
ſten Aufgaben
des Touriſten in jenem allgemeinen Ge-
biete liegen. Für dieſe wichtigſten Aufgaben halte ich nämlich
nicht Beſichtigung von Naturſchönheiten, Sehenswürdig-
keiten, Seltenheiten, Curioſitäten, ſondern: Menſchen,
andere ſowohl als ſich ſelbſt, beſſer beurtheilen und behandeln
zu lernen, zu lernen, neue Blicke in das eigene Innere und
in das ganze Menſchenweſen zu thun, in ſeinem Ich Mängel
und ebenſo Fähigkeiten zu entdecken, von denen wir bisher
nichts wußten, im Menſchen überhaupt die allgemeinen, aller-
wärts wiederkehrenden, weſenhaften Grundzüge von den Zu-
fälligkeiten des Individuums unterſcheiden: — nicht blos
Menſchen, auch den Menſchen näher kennen zu lernen.

Wer Jahr aus Jahr ein in gewohnten Kreiſen ſich be-
wegt, in denen Rang, Vermögen, Amt, Beruf, Gewohn-
heiten, Familienverbindungen, Vorangegangenes verſchieden-
ſter Art ihren Einfluß üben, hat ſelten Gelegenheit zu ſehen,
welchen Eindruck ſeine innerſte Perſönlichkeit, gelöſt von die-
ſem Beiwerk, auf Andere macht, und doch iſt ein Experiment
der Art um ſo belehrender, je höher, und um ſo wohlthuender,
je tiefer wir auf der geſellſchaftlichen Stufenleiter ſtehen, es
iſt ein Probirſtein für den Feingehalt des eigenen Weſens
und ein Schleifſtein für deſſen Ecken.

Die Reiſemüdigkeit, die wir im großen Touriſtenſtrom
ſo vielfach wahrnehmen, beweiſt, daß die Mehrzahl jener
Herren und Damen ihren Vortheil verkennt, indem ſie weder
auf das Allgemeine noch auf ein Beſonderes bedacht ſind.
Denn auch was Natur und Kunſt des Herrlichſten bieten, der
reichſte Wechſel großartiger und lieblicher Landſchaften, Alter-

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[264/0278] VIII. Sehenswürdigkeiten — Menſchen- u. Selbſtkenntniß. kurz in allem Thun und Treiben der Menſchen das Bedürf- niß nach Veränderung ſich geltend macht, ſo kann auch der Reiſende ihrer nicht entrathen und es offenbarte völlige Ver- blendung, vor jeder Art von Abwechslung zu warnen. Meine Bemerkungen bezogen ſich natürlich nur auf Grad und Aus- wahl der Beſchäftigungen. Ebenſowenig habe ich leugnen wollen, muß vielmehr beſonders betonen, daß die wichtig- ſten Aufgaben des Touriſten in jenem allgemeinen Ge- biete liegen. Für dieſe wichtigſten Aufgaben halte ich nämlich nicht Beſichtigung von Naturſchönheiten, Sehenswürdig- keiten, Seltenheiten, Curioſitäten, ſondern: Menſchen, andere ſowohl als ſich ſelbſt, beſſer beurtheilen und behandeln zu lernen, zu lernen, neue Blicke in das eigene Innere und in das ganze Menſchenweſen zu thun, in ſeinem Ich Mängel und ebenſo Fähigkeiten zu entdecken, von denen wir bisher nichts wußten, im Menſchen überhaupt die allgemeinen, aller- wärts wiederkehrenden, weſenhaften Grundzüge von den Zu- fälligkeiten des Individuums unterſcheiden: — nicht blos Menſchen, auch den Menſchen näher kennen zu lernen. Wer Jahr aus Jahr ein in gewohnten Kreiſen ſich be- wegt, in denen Rang, Vermögen, Amt, Beruf, Gewohn- heiten, Familienverbindungen, Vorangegangenes verſchieden- ſter Art ihren Einfluß üben, hat ſelten Gelegenheit zu ſehen, welchen Eindruck ſeine innerſte Perſönlichkeit, gelöſt von die- ſem Beiwerk, auf Andere macht, und doch iſt ein Experiment der Art um ſo belehrender, je höher, und um ſo wohlthuender, je tiefer wir auf der geſellſchaftlichen Stufenleiter ſtehen, es iſt ein Probirſtein für den Feingehalt des eigenen Weſens und ein Schleifſtein für deſſen Ecken. Die Reiſemüdigkeit, die wir im großen Touriſtenſtrom ſo vielfach wahrnehmen, beweiſt, daß die Mehrzahl jener Herren und Damen ihren Vortheil verkennt, indem ſie weder auf das Allgemeine noch auf ein Beſonderes bedacht ſind. Denn auch was Natur und Kunſt des Herrlichſten bieten, der reichſte Wechſel großartiger und lieblicher Landſchaften, Alter-

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/278>, abgerufen am 28.11.2024.