Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

VIII. Was wir beobachten sollen. Wahl treffen. Bienen u. Fliegen.
Hausrath, ihre Kochkunst betrachten, ob sie reinhalten, ihre
Fenster mit Blumen schmücken; in und an den Häusern und
Kirchen und auf den Kirchhöfen die Inschriften und Bild-
werke prüfen; sollen Acker- und Hauswirthschaftsgeräth in
Augenschein nehmen, um zu erkennen, wie sinnreich der
Naturmensch mit den einfachsten Mitteln seine Zwecke er-
reicht, um dabei einen Blick in die vorgeschichtliche Zeit des
Menschengeschlechts zu thun, einen Beitrag zur Geschichte der
Arbeit, der Erfindungen und Entdeckungen zu erhalten, uns
dadurch mahnen lassen, wie weit wir Großstädter uns von
der Natur entfernt haben, wie hilflos und auskunftsarm der
Einzelne ist, sobald es gilt, Dinge zu bewerkstelligen, die
außerhalb seiner gewohnten Thätigkeit liegen, Gegenstände
selbst zu beschaffen oder zu ersetzen, die wir fertig zu kaufen
oder anfertigen zu lassen pflegen; wir sollen Kenntniß neh-
men vom Glauben und Aberglauben der Leute und deren
Bräuchen, ob die öffentlichen Gebäude Reichthum, Geschmack,
Kunst kundgeben, Vergleichungen anstellen z. B. über einen
prachtvoll ausgestatteten bairischen Eisenbahnhof und einen
nüchtern gehaltenen, blos dem Bedürfniß dienenden englischen
oder amerikanischen -- dort hat und nimmt sich Jeder Zeit,
zu betrachten, es geht Alles gemächlich, im schroffen Gegen-
satz zu England und Amerika, wo man weder Muße noch
Lust hat, Wartesäle und Gänge zu besichtigen, denn Niemand
kommt eher, als er muß, Jeder hat nur sein Geschäft vor
Augen; wir sollen -- --

-- Diese Dinge, unterbrach er, nehmen sich auf dem
Papiere recht stattlich aus, gewiß ist auch manches darunter,
das dem Einen oder Andern einen Fingerzeig geben dürfte,
dennoch kann ich mir wohl vorstellen, daß unter zwanzig Le-
sern dieser langen Liste von Einzelheiten, die ihrer Beachtung
empfohlen werden, neunzehn sein könnten, welche beim besten
Willen nichts daraus zu machen wissen. Darin unterscheidet
sich eben die Biene von der Fliege, daß diese sich auf Alles
setzt und Alles benascht, die Biene aber nur Honigblumen

VIII. Was wir beobachten ſollen. Wahl treffen. Bienen u. Fliegen.
Hausrath, ihre Kochkunſt betrachten, ob ſie reinhalten, ihre
Fenſter mit Blumen ſchmücken; in und an den Häuſern und
Kirchen und auf den Kirchhöfen die Inſchriften und Bild-
werke prüfen; ſollen Acker- und Hauswirthſchaftsgeräth in
Augenſchein nehmen, um zu erkennen, wie ſinnreich der
Naturmenſch mit den einfachſten Mitteln ſeine Zwecke er-
reicht, um dabei einen Blick in die vorgeſchichtliche Zeit des
Menſchengeſchlechts zu thun, einen Beitrag zur Geſchichte der
Arbeit, der Erfindungen und Entdeckungen zu erhalten, uns
dadurch mahnen laſſen, wie weit wir Großſtädter uns von
der Natur entfernt haben, wie hilflos und auskunftsarm der
Einzelne iſt, ſobald es gilt, Dinge zu bewerkſtelligen, die
außerhalb ſeiner gewohnten Thätigkeit liegen, Gegenſtände
ſelbſt zu beſchaffen oder zu erſetzen, die wir fertig zu kaufen
oder anfertigen zu laſſen pflegen; wir ſollen Kenntniß neh-
men vom Glauben und Aberglauben der Leute und deren
Bräuchen, ob die öffentlichen Gebäude Reichthum, Geſchmack,
Kunſt kundgeben, Vergleichungen anſtellen z. B. über einen
prachtvoll ausgeſtatteten bairiſchen Eiſenbahnhof und einen
nüchtern gehaltenen, blos dem Bedürfniß dienenden engliſchen
oder amerikaniſchen — dort hat und nimmt ſich Jeder Zeit,
zu betrachten, es geht Alles gemächlich, im ſchroffen Gegen-
ſatz zu England und Amerika, wo man weder Muße noch
Luſt hat, Warteſäle und Gänge zu beſichtigen, denn Niemand
kommt eher, als er muß, Jeder hat nur ſein Geſchäft vor
Augen; wir ſollen — —

— Dieſe Dinge, unterbrach er, nehmen ſich auf dem
Papiere recht ſtattlich aus, gewiß iſt auch manches darunter,
das dem Einen oder Andern einen Fingerzeig geben dürfte,
dennoch kann ich mir wohl vorſtellen, daß unter zwanzig Le-
ſern dieſer langen Liſte von Einzelheiten, die ihrer Beachtung
empfohlen werden, neunzehn ſein könnten, welche beim beſten
Willen nichts daraus zu machen wiſſen. Darin unterſcheidet
ſich eben die Biene von der Fliege, daß dieſe ſich auf Alles
ſetzt und Alles benaſcht, die Biene aber nur Honigblumen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0276" n="262"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Was wir beobachten &#x017F;ollen. Wahl treffen. Bienen u. Fliegen.</fw><lb/>
Hausrath, ihre Kochkun&#x017F;t betrachten, ob &#x017F;ie reinhalten, ihre<lb/>
Fen&#x017F;ter mit Blumen &#x017F;chmücken; in und an den Häu&#x017F;ern und<lb/>
Kirchen und auf den Kirchhöfen die In&#x017F;chriften und Bild-<lb/>
werke prüfen; &#x017F;ollen Acker- und Hauswirth&#x017F;chaftsgeräth in<lb/>
Augen&#x017F;chein nehmen, um zu erkennen, wie &#x017F;innreich der<lb/>
Naturmen&#x017F;ch mit den einfach&#x017F;ten Mitteln &#x017F;eine Zwecke er-<lb/>
reicht, um dabei einen Blick in die vorge&#x017F;chichtliche Zeit des<lb/>
Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts zu thun, einen Beitrag zur Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Arbeit, der Erfindungen und Entdeckungen zu erhalten, uns<lb/>
dadurch mahnen la&#x017F;&#x017F;en, wie weit wir Groß&#x017F;tädter uns von<lb/>
der Natur entfernt haben, wie hilflos und auskunftsarm der<lb/>
Einzelne i&#x017F;t, &#x017F;obald es gilt, Dinge zu bewerk&#x017F;telligen, die<lb/>
außerhalb &#x017F;einer gewohnten Thätigkeit liegen, Gegen&#x017F;tände<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu be&#x017F;chaffen oder zu er&#x017F;etzen, die wir fertig zu kaufen<lb/>
oder anfertigen zu la&#x017F;&#x017F;en pflegen; wir &#x017F;ollen Kenntniß neh-<lb/>
men vom Glauben und Aberglauben der Leute und deren<lb/>
Bräuchen, ob die öffentlichen Gebäude Reichthum, Ge&#x017F;chmack,<lb/>
Kun&#x017F;t kundgeben, Vergleichungen an&#x017F;tellen z. B. über einen<lb/>
prachtvoll ausge&#x017F;tatteten bairi&#x017F;chen Ei&#x017F;enbahnhof und einen<lb/>
nüchtern gehaltenen, blos dem Bedürfniß dienenden engli&#x017F;chen<lb/>
oder amerikani&#x017F;chen &#x2014; dort hat und nimmt &#x017F;ich Jeder Zeit,<lb/>
zu betrachten, es geht Alles gemächlich, im &#x017F;chroffen Gegen-<lb/>
&#x017F;atz zu <placeName>England</placeName> und <placeName>Amerika</placeName>, wo man weder Muße noch<lb/>
Lu&#x017F;t hat, Warte&#x017F;äle und Gänge zu be&#x017F;ichtigen, denn Niemand<lb/>
kommt eher, als er muß, Jeder hat nur &#x017F;ein Ge&#x017F;chäft vor<lb/>
Augen; wir &#x017F;ollen &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; Die&#x017F;e Dinge, unterbrach er, nehmen &#x017F;ich auf dem<lb/>
Papiere recht &#x017F;tattlich aus, gewiß i&#x017F;t auch manches darunter,<lb/>
das dem Einen oder Andern einen Fingerzeig geben dürfte,<lb/>
dennoch kann ich mir wohl vor&#x017F;tellen, daß unter zwanzig Le-<lb/>
&#x017F;ern die&#x017F;er langen Li&#x017F;te von Einzelheiten, die ihrer Beachtung<lb/>
empfohlen werden, neunzehn &#x017F;ein könnten, welche beim be&#x017F;ten<lb/>
Willen nichts daraus zu machen wi&#x017F;&#x017F;en. Darin unter&#x017F;cheidet<lb/>
&#x017F;ich eben die Biene von der Fliege, daß die&#x017F;e &#x017F;ich auf Alles<lb/>
&#x017F;etzt und Alles bena&#x017F;cht, die Biene aber nur Honigblumen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0276] VIII. Was wir beobachten ſollen. Wahl treffen. Bienen u. Fliegen. Hausrath, ihre Kochkunſt betrachten, ob ſie reinhalten, ihre Fenſter mit Blumen ſchmücken; in und an den Häuſern und Kirchen und auf den Kirchhöfen die Inſchriften und Bild- werke prüfen; ſollen Acker- und Hauswirthſchaftsgeräth in Augenſchein nehmen, um zu erkennen, wie ſinnreich der Naturmenſch mit den einfachſten Mitteln ſeine Zwecke er- reicht, um dabei einen Blick in die vorgeſchichtliche Zeit des Menſchengeſchlechts zu thun, einen Beitrag zur Geſchichte der Arbeit, der Erfindungen und Entdeckungen zu erhalten, uns dadurch mahnen laſſen, wie weit wir Großſtädter uns von der Natur entfernt haben, wie hilflos und auskunftsarm der Einzelne iſt, ſobald es gilt, Dinge zu bewerkſtelligen, die außerhalb ſeiner gewohnten Thätigkeit liegen, Gegenſtände ſelbſt zu beſchaffen oder zu erſetzen, die wir fertig zu kaufen oder anfertigen zu laſſen pflegen; wir ſollen Kenntniß neh- men vom Glauben und Aberglauben der Leute und deren Bräuchen, ob die öffentlichen Gebäude Reichthum, Geſchmack, Kunſt kundgeben, Vergleichungen anſtellen z. B. über einen prachtvoll ausgeſtatteten bairiſchen Eiſenbahnhof und einen nüchtern gehaltenen, blos dem Bedürfniß dienenden engliſchen oder amerikaniſchen — dort hat und nimmt ſich Jeder Zeit, zu betrachten, es geht Alles gemächlich, im ſchroffen Gegen- ſatz zu England und Amerika, wo man weder Muße noch Luſt hat, Warteſäle und Gänge zu beſichtigen, denn Niemand kommt eher, als er muß, Jeder hat nur ſein Geſchäft vor Augen; wir ſollen — — — Dieſe Dinge, unterbrach er, nehmen ſich auf dem Papiere recht ſtattlich aus, gewiß iſt auch manches darunter, das dem Einen oder Andern einen Fingerzeig geben dürfte, dennoch kann ich mir wohl vorſtellen, daß unter zwanzig Le- ſern dieſer langen Liſte von Einzelheiten, die ihrer Beachtung empfohlen werden, neunzehn ſein könnten, welche beim beſten Willen nichts daraus zu machen wiſſen. Darin unterſcheidet ſich eben die Biene von der Fliege, daß dieſe ſich auf Alles ſetzt und Alles benaſcht, die Biene aber nur Honigblumen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/276
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/276>, abgerufen am 24.11.2024.