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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VIII. Modebäder -- Ein gutes Reisegewissen u. s. Forderungen.
anlagen, Zeitungen in sechs Sprachen, bändereiche Leih-
bibliotheken, glänzende Gesellschaftsräume, lange Reihen von
bunten Verkaufsläden, große Basars etc. Die Schuld wird
immer dem Orte aufgebürdet, niemand denkt daran, sie sich
selbst, seiner Beschäftigungslosigkeit und dem an solchen Plätzen
vorherrschenden conventionellen Tone der Zurückhaltung we-
nigstens theilweise zuzuschreiben. Hier, sollte man meinen,
müßte selbst dem befangensten Auge klar werden, worauf es
ankommt.

-- Wenn Sie, warf ich ein, unter "bestimmtem Inhalt"
nicht blos Sammlungen in engerem Sinne verstehen, sondern
überhaupt Alles, was Stoff zu geistiger Sammlung und einer
daran geknüpften nachhaltigen Thätigkeit gibt, so wird Ihr
Programm kaum auf Widerspruch stoßen. Sagen Sie aber
doch, Meister, meinen Sie nicht, daß eine fleißige Biene in
jeder Blume Honig finden kann, mithin auch jede, die ihr auf
dem Wege liegt, auszubeuten hat? Ich habe gelesen, daß ein
gutes Reisegewissen uns verpflichte, Alles und Jedes zu be-
merken. Wir sollen in Stadt und Land vom Thun und
Treiben, Tracht, Sitte, Körper-, Gesichts- und Geistesbildung
der Leute Kenntniß nehmen, sollen ihre Familien- und öffent-
lichen Feste, Lustbarkeiten, Kirchgänge, Kirmessen, Schießen,
Märkte mustern, sollen beobachten, ob sie der Pflanzen-,
Fleisch-, Fischkost, dem Wein, Bier, Branntwein ergeben
sind, ob sie zur Mäßigkeit neigen oder nicht, ob sie viel oder
wenig und was sie essen, wie die Preise der Lebensmittel
stehen, auf die Thätigkeit der Stadt- und Landleute Acht ha-
ben, ob sie flink und geschickt oder langsam und plump zu
Werke gehen, welche Arbeiten vorzüglich betrieben werden,
wie sie ihre Häuser bauen und einrichten, wie sie Zäune,
Stakete, Gräben, Garben, Heuschober machen, ob sie viel
fahren und reiten, wie sie ihr Vieh behandeln, ob sie viel
rauchen, schnupfen, Tabak kauen; wir sollen, etwa um einen
Trunk Wasser zu begehren, oder nach dem Wege zu fragen,
in die Wohnungen der Land- und Waldleute treten, ihren

VIII. Modebäder — Ein gutes Reiſegewiſſen u. ſ. Forderungen.
anlagen, Zeitungen in ſechs Sprachen, bändereiche Leih-
bibliotheken, glänzende Geſellſchaftsräume, lange Reihen von
bunten Verkaufsläden, große Baſars ꝛc. Die Schuld wird
immer dem Orte aufgebürdet, niemand denkt daran, ſie ſich
ſelbſt, ſeiner Beſchäftigungsloſigkeit und dem an ſolchen Plätzen
vorherrſchenden conventionellen Tone der Zurückhaltung we-
nigſtens theilweiſe zuzuſchreiben. Hier, ſollte man meinen,
müßte ſelbſt dem befangenſten Auge klar werden, worauf es
ankommt.

— Wenn Sie, warf ich ein, unter „beſtimmtem Inhalt“
nicht blos Sammlungen in engerem Sinne verſtehen, ſondern
überhaupt Alles, was Stoff zu geiſtiger Sammlung und einer
daran geknüpften nachhaltigen Thätigkeit gibt, ſo wird Ihr
Programm kaum auf Widerſpruch ſtoßen. Sagen Sie aber
doch, Meiſter, meinen Sie nicht, daß eine fleißige Biene in
jeder Blume Honig finden kann, mithin auch jede, die ihr auf
dem Wege liegt, auszubeuten hat? Ich habe geleſen, daß ein
gutes Reiſegewiſſen uns verpflichte, Alles und Jedes zu be-
merken. Wir ſollen in Stadt und Land vom Thun und
Treiben, Tracht, Sitte, Körper-, Geſichts- und Geiſtesbildung
der Leute Kenntniß nehmen, ſollen ihre Familien- und öffent-
lichen Feſte, Luſtbarkeiten, Kirchgänge, Kirmeſſen, Schießen,
Märkte muſtern, ſollen beobachten, ob ſie der Pflanzen-,
Fleiſch-, Fiſchkoſt, dem Wein, Bier, Branntwein ergeben
ſind, ob ſie zur Mäßigkeit neigen oder nicht, ob ſie viel oder
wenig und was ſie eſſen, wie die Preiſe der Lebensmittel
ſtehen, auf die Thätigkeit der Stadt- und Landleute Acht ha-
ben, ob ſie flink und geſchickt oder langſam und plump zu
Werke gehen, welche Arbeiten vorzüglich betrieben werden,
wie ſie ihre Häuſer bauen und einrichten, wie ſie Zäune,
Stakete, Gräben, Garben, Heuſchober machen, ob ſie viel
fahren und reiten, wie ſie ihr Vieh behandeln, ob ſie viel
rauchen, ſchnupfen, Tabak kauen; wir ſollen, etwa um einen
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[261/0275] VIII. Modebäder — Ein gutes Reiſegewiſſen u. ſ. Forderungen. anlagen, Zeitungen in ſechs Sprachen, bändereiche Leih- bibliotheken, glänzende Geſellſchaftsräume, lange Reihen von bunten Verkaufsläden, große Baſars ꝛc. Die Schuld wird immer dem Orte aufgebürdet, niemand denkt daran, ſie ſich ſelbſt, ſeiner Beſchäftigungsloſigkeit und dem an ſolchen Plätzen vorherrſchenden conventionellen Tone der Zurückhaltung we- nigſtens theilweiſe zuzuſchreiben. Hier, ſollte man meinen, müßte ſelbſt dem befangenſten Auge klar werden, worauf es ankommt. — Wenn Sie, warf ich ein, unter „beſtimmtem Inhalt“ nicht blos Sammlungen in engerem Sinne verſtehen, ſondern überhaupt Alles, was Stoff zu geiſtiger Sammlung und einer daran geknüpften nachhaltigen Thätigkeit gibt, ſo wird Ihr Programm kaum auf Widerſpruch ſtoßen. Sagen Sie aber doch, Meiſter, meinen Sie nicht, daß eine fleißige Biene in jeder Blume Honig finden kann, mithin auch jede, die ihr auf dem Wege liegt, auszubeuten hat? Ich habe geleſen, daß ein gutes Reiſegewiſſen uns verpflichte, Alles und Jedes zu be- merken. Wir ſollen in Stadt und Land vom Thun und Treiben, Tracht, Sitte, Körper-, Geſichts- und Geiſtesbildung der Leute Kenntniß nehmen, ſollen ihre Familien- und öffent- lichen Feſte, Luſtbarkeiten, Kirchgänge, Kirmeſſen, Schießen, Märkte muſtern, ſollen beobachten, ob ſie der Pflanzen-, Fleiſch-, Fiſchkoſt, dem Wein, Bier, Branntwein ergeben ſind, ob ſie zur Mäßigkeit neigen oder nicht, ob ſie viel oder wenig und was ſie eſſen, wie die Preiſe der Lebensmittel ſtehen, auf die Thätigkeit der Stadt- und Landleute Acht ha- ben, ob ſie flink und geſchickt oder langſam und plump zu Werke gehen, welche Arbeiten vorzüglich betrieben werden, wie ſie ihre Häuſer bauen und einrichten, wie ſie Zäune, Stakete, Gräben, Garben, Heuſchober machen, ob ſie viel fahren und reiten, wie ſie ihr Vieh behandeln, ob ſie viel rauchen, ſchnupfen, Tabak kauen; wir ſollen, etwa um einen Trunk Waſſer zu begehren, oder nach dem Wege zu fragen, in die Wohnungen der Land- und Waldleute treten, ihren

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/275>, abgerufen am 28.11.2024.