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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VIII. Die Reise, ihre Freunde und Feinde, Vortheile und Nachtheile.
Körpern mittheilte, die Reisen waren aber doch nur dem
Erwerb, oder bestimmten Studien gewidmet, oder sie wurden
von jungen Edelleuten und Patriciersöhnen unternommen,
um sich für den Staatsdienst und die Gesellschaft vorzu-
bereiten, von eigentlichen Vergnügungsreisen wußte man
nichts. In den übrigen Volksschichten reiste man so viel als
gar nicht. Luther erzählt von einem Studenten, welcher, als
er seinen Kirchthurm aus dem Gesichte verloren, Heimweh
bekam und umkehrte. Die Ortsveränderung, ohne geschäft-
lichen oder kirchlichen Grund, war damals schon an und für
sich etwas Verdächtiges. Wer kein Heimwesen hatte, keinen
ehrlichen Erwerb finden konnte, oder ihn nicht suchen mochte,
ging unter die "fahrenden Leute", vor denen, wenn sie
nahten, die Wäsche vom Zaun genommen und die Hunde
losgelassen wurden. Schon ein aus der Ferne zurückkommen-
der Verwandter oder Freund wurde zwar mit Neugierde aber
Mißtrauen betrachtet. Unter diesen Umständen lassen wir
lieber die Abstammungsfrage auf sich beruhen und hören
statt dessen einige Stimmen, freundliche und feindliche, über
die Reise und ihre Wirkungen.

"Eine alte, gegründete Wahrnehmung ist es, daß selten
jemand auf der Reise oder im Bräutigamsstande stirbt," sagt
Feuchtersleben, und wenn auch ihm für die Richtigkeit dieser
Angabe die Verantwortlichkeit bleiben muß, so ließe sich doch
eine lange Reihe von Autoritäten anführen, die den wichtigen
und vielfältigen Einfluß der Reise auf die Gesundheit be-
tonen. Zu dem hierüber von uns seines Orts schon Ab-
gehandelten mag hier nur noch registrirt werden, daß die
Aerzte die durch Umherspähen im Freien verschaffte Uebung
im Fernsehen, deren Mangel uns Großstädter so kurz- und
schwachsichtig macht, hervorheben. Obenan unter den
Ruhmestiteln der Reise steht immer die Wirkung, welche
sie, richtig benutzt, auf Geist und Charakter hat, indem
sie jenen in der Erwerbung neuer und Verwerthung bereits
gesammelter Kenntnisse, ebenso die Urtheilskraft übt, endlich

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VIII. Die Reiſe, ihre Freunde und Feinde, Vortheile und Nachtheile.
Körpern mittheilte, die Reiſen waren aber doch nur dem
Erwerb, oder beſtimmten Studien gewidmet, oder ſie wurden
von jungen Edelleuten und Patricierſöhnen unternommen,
um ſich für den Staatsdienſt und die Geſellſchaft vorzu-
bereiten, von eigentlichen Vergnügungsreiſen wußte man
nichts. In den übrigen Volksſchichten reiſte man ſo viel als
gar nicht. Luther erzählt von einem Studenten, welcher, als
er ſeinen Kirchthurm aus dem Geſichte verloren, Heimweh
bekam und umkehrte. Die Ortsveränderung, ohne geſchäft-
lichen oder kirchlichen Grund, war damals ſchon an und für
ſich etwas Verdächtiges. Wer kein Heimweſen hatte, keinen
ehrlichen Erwerb finden konnte, oder ihn nicht ſuchen mochte,
ging unter die „fahrenden Leute“, vor denen, wenn ſie
nahten, die Wäſche vom Zaun genommen und die Hunde
losgelaſſen wurden. Schon ein aus der Ferne zurückkommen-
der Verwandter oder Freund wurde zwar mit Neugierde aber
Mißtrauen betrachtet. Unter dieſen Umſtänden laſſen wir
lieber die Abſtammungsfrage auf ſich beruhen und hören
ſtatt deſſen einige Stimmen, freundliche und feindliche, über
die Reiſe und ihre Wirkungen.

„Eine alte, gegründete Wahrnehmung iſt es, daß ſelten
jemand auf der Reiſe oder im Bräutigamsſtande ſtirbt,“ ſagt
Feuchtersleben, und wenn auch ihm für die Richtigkeit dieſer
Angabe die Verantwortlichkeit bleiben muß, ſo ließe ſich doch
eine lange Reihe von Autoritäten anführen, die den wichtigen
und vielfältigen Einfluß der Reiſe auf die Geſundheit be-
tonen. Zu dem hierüber von uns ſeines Orts ſchon Ab-
gehandelten mag hier nur noch regiſtrirt werden, daß die
Aerzte die durch Umherſpähen im Freien verſchaffte Uebung
im Fernſehen, deren Mangel uns Großſtädter ſo kurz- und
ſchwachſichtig macht, hervorheben. Obenan unter den
Ruhmestiteln der Reiſe ſteht immer die Wirkung, welche
ſie, richtig benutzt, auf Geiſt und Charakter hat, indem
ſie jenen in der Erwerbung neuer und Verwerthung bereits
geſammelter Kenntniſſe, ebenſo die Urtheilskraft übt, endlich

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[241/0255] VIII. Die Reiſe, ihre Freunde und Feinde, Vortheile und Nachtheile. Körpern mittheilte, die Reiſen waren aber doch nur dem Erwerb, oder beſtimmten Studien gewidmet, oder ſie wurden von jungen Edelleuten und Patricierſöhnen unternommen, um ſich für den Staatsdienſt und die Geſellſchaft vorzu- bereiten, von eigentlichen Vergnügungsreiſen wußte man nichts. In den übrigen Volksſchichten reiſte man ſo viel als gar nicht. Luther erzählt von einem Studenten, welcher, als er ſeinen Kirchthurm aus dem Geſichte verloren, Heimweh bekam und umkehrte. Die Ortsveränderung, ohne geſchäft- lichen oder kirchlichen Grund, war damals ſchon an und für ſich etwas Verdächtiges. Wer kein Heimweſen hatte, keinen ehrlichen Erwerb finden konnte, oder ihn nicht ſuchen mochte, ging unter die „fahrenden Leute“, vor denen, wenn ſie nahten, die Wäſche vom Zaun genommen und die Hunde losgelaſſen wurden. Schon ein aus der Ferne zurückkommen- der Verwandter oder Freund wurde zwar mit Neugierde aber Mißtrauen betrachtet. Unter dieſen Umſtänden laſſen wir lieber die Abſtammungsfrage auf ſich beruhen und hören ſtatt deſſen einige Stimmen, freundliche und feindliche, über die Reiſe und ihre Wirkungen. „Eine alte, gegründete Wahrnehmung iſt es, daß ſelten jemand auf der Reiſe oder im Bräutigamsſtande ſtirbt,“ ſagt Feuchtersleben, und wenn auch ihm für die Richtigkeit dieſer Angabe die Verantwortlichkeit bleiben muß, ſo ließe ſich doch eine lange Reihe von Autoritäten anführen, die den wichtigen und vielfältigen Einfluß der Reiſe auf die Geſundheit be- tonen. Zu dem hierüber von uns ſeines Orts ſchon Ab- gehandelten mag hier nur noch regiſtrirt werden, daß die Aerzte die durch Umherſpähen im Freien verſchaffte Uebung im Fernſehen, deren Mangel uns Großſtädter ſo kurz- und ſchwachſichtig macht, hervorheben. Obenan unter den Ruhmestiteln der Reiſe ſteht immer die Wirkung, welche ſie, richtig benutzt, auf Geiſt und Charakter hat, indem ſie jenen in der Erwerbung neuer und Verwerthung bereits geſammelter Kenntniſſe, ebenſo die Urtheilskraft übt, endlich 16

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/255>, abgerufen am 24.11.2024.