VII. Schwerste Geduldsprüfungen -- kleine Ueberraschungen.
-- Ah, Sie meinen, fiel ich in's Wort, daß auch sie ein Artikel ist, der den Transport nicht vertragen kann? Unsre Freundschaft, Hermann's und meine, hat schon die schwersten Prüfungen überdauert.
-- Die schwersten Prüfungen der Freundschaft, versetzte der alte Herr, sind nicht die großen, tiefgreifenden, für die wir alle unsre Kräfte zusammenzunehmen pflegen, auch nicht die gewohnten des täglichen Lebens, für welche unsre Geduld be- reits eingeübt ist, sondern -- jene kleinen Ueberraschungen, die uns unvorbereitet finden. Noch aus der Schulzeit her erinnere ich mich und Sie wahrscheinlich auch, daß die feier- lichen Osterexamina immer glänzend ausfielen, auch bei den regelmäßigen Exercitien Alles noch leidlich ging, nur wenn einmal ein neuer Lehrer des erkrankten Collegen Stelle ver- trat und uns auf den Zahn fühlte, da war die Noth groß. Auf einer längeren Reise kann so Manches vorkommen, auf das wir nicht gefaßt sind, vielerlei wirkt zusammen, das un- unterbrochene Beieinandersein, Mangel der gewohnten Thätig- keit, Entbehrungen, Ermüdung. So trifft es sich, daß beide Freunde einmal gleichzeitig in üble Laune gerathen, Einer den Anderen herrschsüchtig, rücksichtslos, rechthaberisch findet, wenn er's auch nicht ausspricht, oder eine sonstige Falte in seinem Herzen oder einen Defect in seinem Hirn entdeckt und die Freundschaft eine Wunde empfängt, die vielleicht bald wieder zuheilt, aber dann doch bei Wetterveränderungen sich fühlbar macht. Je höher wir eine Freundschaft anschlagen, je mehr ist Ursache, sie in keine solche Versuchung zu führen. Wie manche scheiterte schon daran, daß ein Herzenswunsch beider Theile endlich in Erfüllung ging, daß dieselben z. B. ein Haus beziehen konnten, oder Geschäftsgenossen wurden, oder ihre Familien sich verschwägerten. Kurz, wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, so schreiben Sie Ihren Freun- den recht fleißig, schicken, bringen ihnen meinetwegen von jeder schönen Stelle, wo Sie ihrer gedenken, ein Erinnerungs- zeichen mit, bedauern in jedem Briefe, daß sie den Genuß
VII. Schwerſte Geduldsprüfungen — kleine Ueberraſchungen.
— Ah, Sie meinen, fiel ich in’s Wort, daß auch ſie ein Artikel iſt, der den Transport nicht vertragen kann? Unſre Freundſchaft, Hermann’s und meine, hat ſchon die ſchwerſten Prüfungen überdauert.
— Die ſchwerſten Prüfungen der Freundſchaft, verſetzte der alte Herr, ſind nicht die großen, tiefgreifenden, für die wir alle unſre Kräfte zuſammenzunehmen pflegen, auch nicht die gewohnten des täglichen Lebens, für welche unſre Geduld be- reits eingeübt iſt, ſondern — jene kleinen Ueberraſchungen, die uns unvorbereitet finden. Noch aus der Schulzeit her erinnere ich mich und Sie wahrſcheinlich auch, daß die feier- lichen Oſterexamina immer glänzend ausfielen, auch bei den regelmäßigen Exercitien Alles noch leidlich ging, nur wenn einmal ein neuer Lehrer des erkrankten Collegen Stelle ver- trat und uns auf den Zahn fühlte, da war die Noth groß. Auf einer längeren Reiſe kann ſo Manches vorkommen, auf das wir nicht gefaßt ſind, vielerlei wirkt zuſammen, das un- unterbrochene Beieinanderſein, Mangel der gewohnten Thätig- keit, Entbehrungen, Ermüdung. So trifft es ſich, daß beide Freunde einmal gleichzeitig in üble Laune gerathen, Einer den Anderen herrſchſüchtig, rückſichtslos, rechthaberiſch findet, wenn er’s auch nicht ausſpricht, oder eine ſonſtige Falte in ſeinem Herzen oder einen Defect in ſeinem Hirn entdeckt und die Freundſchaft eine Wunde empfängt, die vielleicht bald wieder zuheilt, aber dann doch bei Wetterveränderungen ſich fühlbar macht. Je höher wir eine Freundſchaft anſchlagen, je mehr iſt Urſache, ſie in keine ſolche Verſuchung zu führen. Wie manche ſcheiterte ſchon daran, daß ein Herzenswunſch beider Theile endlich in Erfüllung ging, daß dieſelben z. B. ein Haus beziehen konnten, oder Geſchäftsgenoſſen wurden, oder ihre Familien ſich verſchwägerten. Kurz, wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, ſo ſchreiben Sie Ihren Freun- den recht fleißig, ſchicken, bringen ihnen meinetwegen von jeder ſchönen Stelle, wo Sie ihrer gedenken, ein Erinnerungs- zeichen mit, bedauern in jedem Briefe, daß ſie den Genuß
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0246"n="232"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">VII.</hi> Schwerſte Geduldsprüfungen — kleine Ueberraſchungen.</fw><lb/><p>— Ah, Sie meinen, fiel ich in’s Wort, daß auch ſie<lb/>
ein Artikel iſt, der den Transport nicht vertragen kann?<lb/>
Unſre Freundſchaft, <persNameref="nognd">Hermann’s</persName> und meine, hat ſchon die<lb/>ſchwerſten Prüfungen überdauert.</p><lb/><p>— Die ſchwerſten Prüfungen der Freundſchaft, verſetzte<lb/>
der alte Herr, ſind nicht die großen, tiefgreifenden, für die wir<lb/>
alle unſre Kräfte zuſammenzunehmen pflegen, auch nicht die<lb/>
gewohnten des täglichen Lebens, für welche unſre Geduld be-<lb/>
reits eingeübt iſt, ſondern — jene kleinen Ueberraſchungen,<lb/>
die uns unvorbereitet finden. Noch aus der Schulzeit her<lb/>
erinnere ich mich und Sie wahrſcheinlich auch, daß die feier-<lb/>
lichen Oſterexamina immer glänzend ausfielen, auch bei den<lb/>
regelmäßigen Exercitien Alles noch leidlich ging, nur wenn<lb/>
einmal ein neuer Lehrer des erkrankten Collegen Stelle ver-<lb/>
trat und uns auf den Zahn fühlte, da war die Noth groß.<lb/>
Auf einer längeren Reiſe kann ſo Manches vorkommen, auf<lb/>
das wir nicht gefaßt ſind, vielerlei wirkt zuſammen, das un-<lb/>
unterbrochene Beieinanderſein, Mangel der gewohnten Thätig-<lb/>
keit, Entbehrungen, Ermüdung. So trifft es ſich, daß beide<lb/>
Freunde einmal gleichzeitig in üble Laune gerathen, Einer<lb/>
den Anderen herrſchſüchtig, rückſichtslos, rechthaberiſch findet,<lb/>
wenn er’s auch nicht ausſpricht, oder eine ſonſtige Falte in<lb/>ſeinem Herzen oder einen Defect in ſeinem Hirn entdeckt und<lb/>
die Freundſchaft eine Wunde empfängt, die vielleicht bald<lb/>
wieder zuheilt, aber dann doch bei Wetterveränderungen ſich<lb/>
fühlbar macht. Je höher wir eine Freundſchaft anſchlagen,<lb/>
je mehr iſt Urſache, ſie in keine ſolche Verſuchung zu führen.<lb/>
Wie manche ſcheiterte ſchon daran, daß ein Herzenswunſch<lb/>
beider Theile endlich in Erfüllung ging, daß dieſelben z. B.<lb/><hirendition="#g">ein</hi> Haus beziehen konnten, oder Geſchäftsgenoſſen wurden,<lb/>
oder ihre Familien ſich verſchwägerten. Kurz, wenn Sie<lb/>
meinem Rathe folgen wollen, ſo ſchreiben Sie Ihren Freun-<lb/>
den recht fleißig, ſchicken, bringen ihnen meinetwegen von<lb/>
jeder ſchönen Stelle, wo Sie ihrer gedenken, ein Erinnerungs-<lb/>
zeichen mit, bedauern in jedem Briefe, daß ſie den Genuß<lb/></p></div></body></text></TEI>
[232/0246]
VII. Schwerſte Geduldsprüfungen — kleine Ueberraſchungen.
— Ah, Sie meinen, fiel ich in’s Wort, daß auch ſie
ein Artikel iſt, der den Transport nicht vertragen kann?
Unſre Freundſchaft, Hermann’s und meine, hat ſchon die
ſchwerſten Prüfungen überdauert.
— Die ſchwerſten Prüfungen der Freundſchaft, verſetzte
der alte Herr, ſind nicht die großen, tiefgreifenden, für die wir
alle unſre Kräfte zuſammenzunehmen pflegen, auch nicht die
gewohnten des täglichen Lebens, für welche unſre Geduld be-
reits eingeübt iſt, ſondern — jene kleinen Ueberraſchungen,
die uns unvorbereitet finden. Noch aus der Schulzeit her
erinnere ich mich und Sie wahrſcheinlich auch, daß die feier-
lichen Oſterexamina immer glänzend ausfielen, auch bei den
regelmäßigen Exercitien Alles noch leidlich ging, nur wenn
einmal ein neuer Lehrer des erkrankten Collegen Stelle ver-
trat und uns auf den Zahn fühlte, da war die Noth groß.
Auf einer längeren Reiſe kann ſo Manches vorkommen, auf
das wir nicht gefaßt ſind, vielerlei wirkt zuſammen, das un-
unterbrochene Beieinanderſein, Mangel der gewohnten Thätig-
keit, Entbehrungen, Ermüdung. So trifft es ſich, daß beide
Freunde einmal gleichzeitig in üble Laune gerathen, Einer
den Anderen herrſchſüchtig, rückſichtslos, rechthaberiſch findet,
wenn er’s auch nicht ausſpricht, oder eine ſonſtige Falte in
ſeinem Herzen oder einen Defect in ſeinem Hirn entdeckt und
die Freundſchaft eine Wunde empfängt, die vielleicht bald
wieder zuheilt, aber dann doch bei Wetterveränderungen ſich
fühlbar macht. Je höher wir eine Freundſchaft anſchlagen,
je mehr iſt Urſache, ſie in keine ſolche Verſuchung zu führen.
Wie manche ſcheiterte ſchon daran, daß ein Herzenswunſch
beider Theile endlich in Erfüllung ging, daß dieſelben z. B.
ein Haus beziehen konnten, oder Geſchäftsgenoſſen wurden,
oder ihre Familien ſich verſchwägerten. Kurz, wenn Sie
meinem Rathe folgen wollen, ſo ſchreiben Sie Ihren Freun-
den recht fleißig, ſchicken, bringen ihnen meinetwegen von
jeder ſchönen Stelle, wo Sie ihrer gedenken, ein Erinnerungs-
zeichen mit, bedauern in jedem Briefe, daß ſie den Genuß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/246>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.