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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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Schiffszwiebacknaturen -- Fähigkeit anzuregen -- Gemüthlichkeit.
sie nun einmal einen Fremden, der sie mit weicher Hand
anfaßt, sie ruhig anhört, mit ihnen plaudert, so ist das
eine wahre Wohlthat und ein gutes Stück Cur für sie. Auch
rein egoistisch angesehen, dürfen wir nicht zu rasch auf Ab-
wesenheit aller Eigenschaften schließen, die den geselligen
Verkehr lieb und ersprießlich machen. Mehr als einmal traf
ich auf Menschen, die mir zuerst hart und trocken wie Schiffs-
zwieback erschienen, allmählich aber erkennen ließen, daß sie
aus edlem Stoff gebildet und nur einer gewissen Behandlung
bedürfen, um genießbar zu werden, und daß die anfängliche
Steifheit und Trockenheit nur ein Product ihrer körperlichen
Beschwerden oder ihrer Lebensschicksale war. Gerade sie sind
es vorzugsweise, welche dann jene für den Umgang so wichtige
Eigenschaft, die Fähigkeit anzuregen, entwickeln. Sie
mag zum Theil Sache des Temperaments sein, mehr aber
noch entspringt sie wohl einem scharfen geistigen Gepräge,
das sehr oft denen fehlt, welchen die viel beliebte "Gemüth-
lichkeit" -- nicht selten nur eine Mischung gemeiner Metalle,
versteckt unter einem galvanischen Niederschlage von Zuthun-
lichkeit und Allerweltsfreundlichkeit -- nachgerühmt wird.
Eines hohen Maßes von Bildung scheint es zu jener Fähigkeit
nicht zu bedürfen, nicht einmal der Heiterkeit, denn sie wird
zuweilen getroffen, wo beides fehlt, und vermißt, wo es
vorhanden.

Neue sehr willkommene Bekanntschaften gleich anfangs in
jener übereifrigen Weise zu pflegen, wie es enthusiastisch an-
gelegte Naturen gern thun, ist zu vermeiden, um erst gründ-
licher zu untersuchen, ob die vermuthete Wahlverwandtschaft
auch wirklich besteht. Sind zwei Menschen, die sich vorher
nicht kannten, erst einmal mehre Tage lang von früh bis spät
zusammen gewesen, in belebtem, traulichem Zwiegespräch
intim geworden, und es findet sich ein leiser Mißklang, oder
nur Einer von Beiden fühlt das Bedürfniß zeitweiliger Ver-
änderung, so ist in der Regel ein völliger Bruch oder eine
dauernde Erkaltung die Folge, während die junge Freund-

Schiffszwiebacknaturen — Fähigkeit anzuregen — Gemüthlichkeit.
ſie nun einmal einen Fremden, der ſie mit weicher Hand
anfaßt, ſie ruhig anhört, mit ihnen plaudert, ſo iſt das
eine wahre Wohlthat und ein gutes Stück Cur für ſie. Auch
rein egoiſtiſch angeſehen, dürfen wir nicht zu raſch auf Ab-
weſenheit aller Eigenſchaften ſchließen, die den geſelligen
Verkehr lieb und erſprießlich machen. Mehr als einmal traf
ich auf Menſchen, die mir zuerſt hart und trocken wie Schiffs-
zwieback erſchienen, allmählich aber erkennen ließen, daß ſie
aus edlem Stoff gebildet und nur einer gewiſſen Behandlung
bedürfen, um genießbar zu werden, und daß die anfängliche
Steifheit und Trockenheit nur ein Product ihrer körperlichen
Beſchwerden oder ihrer Lebensſchickſale war. Gerade ſie ſind
es vorzugsweiſe, welche dann jene für den Umgang ſo wichtige
Eigenſchaft, die Fähigkeit anzuregen, entwickeln. Sie
mag zum Theil Sache des Temperaments ſein, mehr aber
noch entſpringt ſie wohl einem ſcharfen geiſtigen Gepräge,
das ſehr oft denen fehlt, welchen die viel beliebte „Gemüth-
lichkeit“ — nicht ſelten nur eine Miſchung gemeiner Metalle,
verſteckt unter einem galvaniſchen Niederſchlage von Zuthun-
lichkeit und Allerweltsfreundlichkeit — nachgerühmt wird.
Eines hohen Maßes von Bildung ſcheint es zu jener Fähigkeit
nicht zu bedürfen, nicht einmal der Heiterkeit, denn ſie wird
zuweilen getroffen, wo beides fehlt, und vermißt, wo es
vorhanden.

Neue ſehr willkommene Bekanntſchaften gleich anfangs in
jener übereifrigen Weiſe zu pflegen, wie es enthuſiaſtiſch an-
gelegte Naturen gern thun, iſt zu vermeiden, um erſt gründ-
licher zu unterſuchen, ob die vermuthete Wahlverwandtſchaft
auch wirklich beſteht. Sind zwei Menſchen, die ſich vorher
nicht kannten, erſt einmal mehre Tage lang von früh bis ſpät
zuſammen geweſen, in belebtem, traulichem Zwiegeſpräch
intim geworden, und es findet ſich ein leiſer Mißklang, oder
nur Einer von Beiden fühlt das Bedürfniß zeitweiliger Ver-
änderung, ſo iſt in der Regel ein völliger Bruch oder eine
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[224/0238] Schiffszwiebacknaturen — Fähigkeit anzuregen — Gemüthlichkeit. ſie nun einmal einen Fremden, der ſie mit weicher Hand anfaßt, ſie ruhig anhört, mit ihnen plaudert, ſo iſt das eine wahre Wohlthat und ein gutes Stück Cur für ſie. Auch rein egoiſtiſch angeſehen, dürfen wir nicht zu raſch auf Ab- weſenheit aller Eigenſchaften ſchließen, die den geſelligen Verkehr lieb und erſprießlich machen. Mehr als einmal traf ich auf Menſchen, die mir zuerſt hart und trocken wie Schiffs- zwieback erſchienen, allmählich aber erkennen ließen, daß ſie aus edlem Stoff gebildet und nur einer gewiſſen Behandlung bedürfen, um genießbar zu werden, und daß die anfängliche Steifheit und Trockenheit nur ein Product ihrer körperlichen Beſchwerden oder ihrer Lebensſchickſale war. Gerade ſie ſind es vorzugsweiſe, welche dann jene für den Umgang ſo wichtige Eigenſchaft, die Fähigkeit anzuregen, entwickeln. Sie mag zum Theil Sache des Temperaments ſein, mehr aber noch entſpringt ſie wohl einem ſcharfen geiſtigen Gepräge, das ſehr oft denen fehlt, welchen die viel beliebte „Gemüth- lichkeit“ — nicht ſelten nur eine Miſchung gemeiner Metalle, verſteckt unter einem galvaniſchen Niederſchlage von Zuthun- lichkeit und Allerweltsfreundlichkeit — nachgerühmt wird. Eines hohen Maßes von Bildung ſcheint es zu jener Fähigkeit nicht zu bedürfen, nicht einmal der Heiterkeit, denn ſie wird zuweilen getroffen, wo beides fehlt, und vermißt, wo es vorhanden. Neue ſehr willkommene Bekanntſchaften gleich anfangs in jener übereifrigen Weiſe zu pflegen, wie es enthuſiaſtiſch an- gelegte Naturen gern thun, iſt zu vermeiden, um erſt gründ- licher zu unterſuchen, ob die vermuthete Wahlverwandtſchaft auch wirklich beſteht. Sind zwei Menſchen, die ſich vorher nicht kannten, erſt einmal mehre Tage lang von früh bis ſpät zuſammen geweſen, in belebtem, traulichem Zwiegeſpräch intim geworden, und es findet ſich ein leiſer Mißklang, oder nur Einer von Beiden fühlt das Bedürfniß zeitweiliger Ver- änderung, ſo iſt in der Regel ein völliger Bruch oder eine dauernde Erkaltung die Folge, während die junge Freund-

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/238>, abgerufen am 24.11.2024.