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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VI. Volksthümliche Gerichte -- Particularismen und Vandalismen.
besten Schlaftrunk halten, durch Vorenthaltung umzustimmen
und zu verstimmen.

Ein Vorurtheil vieler Wirthe ist ferner, daß sie ihre
Mittagstafel zu schänden und "noble Herrschaften" zu ver-
scheuchen meinen, wenn sie nicht landesübliche, volksthüm-
liche
Gerichte ganz ausschließen. Es entgeht ihnen, daß
just jene solche ihnen neue Schüsseln gern sehen, kosten, davon
plaudern, daß hingegen Tadel oder Spöttereien über deren
Erscheinen aus Kreisen stammen, an deren Besuch und guter
Meinung ihnen nichts liegt, von Leuten, die "nicht weit her"
sind und von einem "feinen" Hotel erwarten, daß darin alles
anders ist, als sie es zu Hause gewohnt sind, einen bessern
Maßstab haben sie nicht. Daß solchen Stücken Volksthum
ihre volle Bäuerlichkeit und Ungeheuerlichkeit erhalten bleibt,
ist nicht vonnöthen, im Gegentheil darf die Hausfrau zum
Ruhme ihres Vaterlands gemeinschaftlich mit dem Küchenchef
streben -- sie kann dann den Triumph erleben, daß ein
Bischof das Recept zu der betreffenden Speise erbitten läßt,
oder eine russische Fürstin selbst in die Küche kommt -- sie
darf streben, das Urwüchsige zu veredeln. Nicht zu den
berechtigten Eigenthümlichkeiten zu zählen ist hingegen Alles,
was den Bedürfnissen der Gesammtheit in's Ge-
hege kommt und an den Grundsäulen guter Tafeln und guten
Geschmacks zu Gunsten irgend eines Particularismus rüttelt:
ich meine, wenn Speisen, die Jeder braucht oder mindestens
Jeder gern ißt, so zubereitet werden, wie sie nur den Be-
wohnern eines kleinen Gebietes zusagen, und nicht der Mehr-
zahl der Fremden, für deren Bewirthung doch gerade das
Hotel bestimmt ist, im Gegensatze zu Speisehäusern, kleinen
Garküchen, Suppenanstalten u. s. w. Dahin gehört vor
Allem Auswahl und Dosis der Gewürze. Viele können
einzelne Gewürze nicht vertragen oder lieben sie nicht, auf
eine Table d'hote passen somit nur Gerichte, die, wenn über-
haupt, dann sehr bescheiden gewürzt und gesalzen sind. So
sehr jedoch jene Herren an der Tafel zurückhalten mit den

VI. Volksthümliche Gerichte — Particularismen und Vandalismen.
beſten Schlaftrunk halten, durch Vorenthaltung umzuſtimmen
und zu verſtimmen.

Ein Vorurtheil vieler Wirthe iſt ferner, daß ſie ihre
Mittagstafel zu ſchänden und „noble Herrſchaften“ zu ver-
ſcheuchen meinen, wenn ſie nicht landesübliche, volksthüm-
liche
Gerichte ganz ausſchließen. Es entgeht ihnen, daß
juſt jene ſolche ihnen neue Schüſſeln gern ſehen, koſten, davon
plaudern, daß hingegen Tadel oder Spöttereien über deren
Erſcheinen aus Kreiſen ſtammen, an deren Beſuch und guter
Meinung ihnen nichts liegt, von Leuten, die „nicht weit her“
ſind und von einem „feinen“ Hôtel erwarten, daß darin alles
anders iſt, als ſie es zu Hauſe gewohnt ſind, einen beſſern
Maßſtab haben ſie nicht. Daß ſolchen Stücken Volksthum
ihre volle Bäuerlichkeit und Ungeheuerlichkeit erhalten bleibt,
iſt nicht vonnöthen, im Gegentheil darf die Hausfrau zum
Ruhme ihres Vaterlands gemeinſchaftlich mit dem Küchenchef
ſtreben — ſie kann dann den Triumph erleben, daß ein
Biſchof das Recept zu der betreffenden Speiſe erbitten läßt,
oder eine ruſſiſche Fürſtin ſelbſt in die Küche kommt — ſie
darf ſtreben, das Urwüchſige zu veredeln. Nicht zu den
berechtigten Eigenthümlichkeiten zu zählen iſt hingegen Alles,
was den Bedürfniſſen der Geſammtheit in’s Ge-
hege kommt und an den Grundſäulen guter Tafeln und guten
Geſchmacks zu Gunſten irgend eines Particularismus rüttelt:
ich meine, wenn Speiſen, die Jeder braucht oder mindeſtens
Jeder gern ißt, ſo zubereitet werden, wie ſie nur den Be-
wohnern eines kleinen Gebietes zuſagen, und nicht der Mehr-
zahl der Fremden, für deren Bewirthung doch gerade das
Hôtel beſtimmt iſt, im Gegenſatze zu Speiſehäuſern, kleinen
Garküchen, Suppenanſtalten u. ſ. w. Dahin gehört vor
Allem Auswahl und Doſis der Gewürze. Viele können
einzelne Gewürze nicht vertragen oder lieben ſie nicht, auf
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haupt, dann ſehr beſcheiden gewürzt und geſalzen ſind. So
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[173/0187] VI. Volksthümliche Gerichte — Particularismen und Vandalismen. beſten Schlaftrunk halten, durch Vorenthaltung umzuſtimmen und zu verſtimmen. Ein Vorurtheil vieler Wirthe iſt ferner, daß ſie ihre Mittagstafel zu ſchänden und „noble Herrſchaften“ zu ver- ſcheuchen meinen, wenn ſie nicht landesübliche, volksthüm- liche Gerichte ganz ausſchließen. Es entgeht ihnen, daß juſt jene ſolche ihnen neue Schüſſeln gern ſehen, koſten, davon plaudern, daß hingegen Tadel oder Spöttereien über deren Erſcheinen aus Kreiſen ſtammen, an deren Beſuch und guter Meinung ihnen nichts liegt, von Leuten, die „nicht weit her“ ſind und von einem „feinen“ Hôtel erwarten, daß darin alles anders iſt, als ſie es zu Hauſe gewohnt ſind, einen beſſern Maßſtab haben ſie nicht. Daß ſolchen Stücken Volksthum ihre volle Bäuerlichkeit und Ungeheuerlichkeit erhalten bleibt, iſt nicht vonnöthen, im Gegentheil darf die Hausfrau zum Ruhme ihres Vaterlands gemeinſchaftlich mit dem Küchenchef ſtreben — ſie kann dann den Triumph erleben, daß ein Biſchof das Recept zu der betreffenden Speiſe erbitten läßt, oder eine ruſſiſche Fürſtin ſelbſt in die Küche kommt — ſie darf ſtreben, das Urwüchſige zu veredeln. Nicht zu den berechtigten Eigenthümlichkeiten zu zählen iſt hingegen Alles, was den Bedürfniſſen der Geſammtheit in’s Ge- hege kommt und an den Grundſäulen guter Tafeln und guten Geſchmacks zu Gunſten irgend eines Particularismus rüttelt: ich meine, wenn Speiſen, die Jeder braucht oder mindeſtens Jeder gern ißt, ſo zubereitet werden, wie ſie nur den Be- wohnern eines kleinen Gebietes zuſagen, und nicht der Mehr- zahl der Fremden, für deren Bewirthung doch gerade das Hôtel beſtimmt iſt, im Gegenſatze zu Speiſehäuſern, kleinen Garküchen, Suppenanſtalten u. ſ. w. Dahin gehört vor Allem Auswahl und Doſis der Gewürze. Viele können einzelne Gewürze nicht vertragen oder lieben ſie nicht, auf eine Table d’hôte paſſen ſomit nur Gerichte, die, wenn über- haupt, dann ſehr beſcheiden gewürzt und geſalzen ſind. So ſehr jedoch jene Herren an der Tafel zurückhalten mit den

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/187>, abgerufen am 24.11.2024.