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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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V. Trösteinsamkeit -- Gärtnerei -- Zucht der Phantasie.
friedensten Menschen die Gärtner gehören. Auch gegen Nach-
bildungen vermittelst Bleistift, Kreide, Pinsel wird Euer
Arzt schwerlich etwas einwenden, wenn nicht etwa die Augen
leiden. Muß und soll schlechterdings das Haupttagewerk aus
Lesen oder Vorlesenlassen bestehen, so seien wenigstens ein
paar Stunden täglich solchen Büchern gewidmet, die nicht in
die Rubrik "leichte Unterhaltungslectüre" fallen. Fertigt,
wenn's Euer Doctor erlaubt, schriftliche Auszüge an aus dem
Gelesenen und lest lieber ein Buch öfter als viele Bücher
einmal. Das Geheimniß besteht darin, die Art und den
Grad der Thätigkeit zu ermitteln, der im vorliegenden Falle
angemessen ist.

Sehr wesentlich ist in allen diesen Dingen die Zucht
der Phantasie
. In den meisten Nervenleiden hat diese
den Hang, sich in die Krankheit selbst, ihre Ursachen und Wir-
kungen, ihren möglichen Verlauf und sonstige peinigende Vor-
stellungen, Erinnerungen, Befürchtungen zu vertiefen. Was
die Aerzte dabei zu verordnen haben, ist ihre Sache, wir Pa-
tienten thun auf alle Fälle wohl, Hilfe nicht allein von ihnen
zu erwarten, sondern selbst Hand anzulegen. Hufeland nennt
"eine lieblich gerichtete Einbildungskraft" eines der wichtig-
sten Lebensverlängerungsmittel. Ebenso wichtig als diese
Verlängerung scheint es, unsren Lebensweg möglichst zu
ebnen, an die vorhandenen Steine nicht hart zu stoßen,
vor Allem nicht neue eigenhändig herbeizutragen. Auch hier
spielt die Phantasie die Hauptrolle. Bei Einem, der dieser
traurigen Gewohnheit verfallen ist, würden wir jedoch mit
dem Rathe, seine Einbildungskraft lieblich zu richten, wenig
Glück machen, wahrscheinlich würde er ihn so aufnehmen, wie
ein Lahmer, dem wir riethen, nicht zu hinken, denn auf ein-
mal wäre es zu viel verlangt. Vielleicht findet derselbe Rath
in anderer Fassung Eingang, wenn wir ihn z. B. an das
erinnern, was im IV. Capitel Einem empfohlen wurde, der
das Unglück hatte, im Hochgebirg auf glatter, abschüssiger
Fläche zu stürzen und abwärts zu treiben. Mehre dort auf-

V. Tröſteinſamkeit — Gärtnerei — Zucht der Phantaſie.
friedenſten Menſchen die Gärtner gehören. Auch gegen Nach-
bildungen vermittelſt Bleiſtift, Kreide, Pinſel wird Euer
Arzt ſchwerlich etwas einwenden, wenn nicht etwa die Augen
leiden. Muß und ſoll ſchlechterdings das Haupttagewerk aus
Leſen oder Vorleſenlaſſen beſtehen, ſo ſeien wenigſtens ein
paar Stunden täglich ſolchen Büchern gewidmet, die nicht in
die Rubrik „leichte Unterhaltungslectüre“ fallen. Fertigt,
wenn’s Euer Doctor erlaubt, ſchriftliche Auszüge an aus dem
Geleſenen und lest lieber ein Buch öfter als viele Bücher
einmal. Das Geheimniß beſteht darin, die Art und den
Grad der Thätigkeit zu ermitteln, der im vorliegenden Falle
angemeſſen iſt.

Sehr weſentlich iſt in allen dieſen Dingen die Zucht
der Phantaſie
. In den meiſten Nervenleiden hat dieſe
den Hang, ſich in die Krankheit ſelbſt, ihre Urſachen und Wir-
kungen, ihren möglichen Verlauf und ſonſtige peinigende Vor-
ſtellungen, Erinnerungen, Befürchtungen zu vertiefen. Was
die Aerzte dabei zu verordnen haben, iſt ihre Sache, wir Pa-
tienten thun auf alle Fälle wohl, Hilfe nicht allein von ihnen
zu erwarten, ſondern ſelbſt Hand anzulegen. Hufeland nennt
„eine lieblich gerichtete Einbildungskraft“ eines der wichtig-
ſten Lebensverlängerungsmittel. Ebenſo wichtig als dieſe
Verlängerung ſcheint es, unſren Lebensweg möglichſt zu
ebnen, an die vorhandenen Steine nicht hart zu ſtoßen,
vor Allem nicht neue eigenhändig herbeizutragen. Auch hier
ſpielt die Phantaſie die Hauptrolle. Bei Einem, der dieſer
traurigen Gewohnheit verfallen iſt, würden wir jedoch mit
dem Rathe, ſeine Einbildungskraft lieblich zu richten, wenig
Glück machen, wahrſcheinlich würde er ihn ſo aufnehmen, wie
ein Lahmer, dem wir riethen, nicht zu hinken, denn auf ein-
mal wäre es zu viel verlangt. Vielleicht findet derſelbe Rath
in anderer Faſſung Eingang, wenn wir ihn z. B. an das
erinnern, was im IV. Capitel Einem empfohlen wurde, der
das Unglück hatte, im Hochgebirg auf glatter, abſchüſſiger
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[160/0174] V. Tröſteinſamkeit — Gärtnerei — Zucht der Phantaſie. friedenſten Menſchen die Gärtner gehören. Auch gegen Nach- bildungen vermittelſt Bleiſtift, Kreide, Pinſel wird Euer Arzt ſchwerlich etwas einwenden, wenn nicht etwa die Augen leiden. Muß und ſoll ſchlechterdings das Haupttagewerk aus Leſen oder Vorleſenlaſſen beſtehen, ſo ſeien wenigſtens ein paar Stunden täglich ſolchen Büchern gewidmet, die nicht in die Rubrik „leichte Unterhaltungslectüre“ fallen. Fertigt, wenn’s Euer Doctor erlaubt, ſchriftliche Auszüge an aus dem Geleſenen und lest lieber ein Buch öfter als viele Bücher einmal. Das Geheimniß beſteht darin, die Art und den Grad der Thätigkeit zu ermitteln, der im vorliegenden Falle angemeſſen iſt. Sehr weſentlich iſt in allen dieſen Dingen die Zucht der Phantaſie. In den meiſten Nervenleiden hat dieſe den Hang, ſich in die Krankheit ſelbſt, ihre Urſachen und Wir- kungen, ihren möglichen Verlauf und ſonſtige peinigende Vor- ſtellungen, Erinnerungen, Befürchtungen zu vertiefen. Was die Aerzte dabei zu verordnen haben, iſt ihre Sache, wir Pa- tienten thun auf alle Fälle wohl, Hilfe nicht allein von ihnen zu erwarten, ſondern ſelbſt Hand anzulegen. Hufeland nennt „eine lieblich gerichtete Einbildungskraft“ eines der wichtig- ſten Lebensverlängerungsmittel. Ebenſo wichtig als dieſe Verlängerung ſcheint es, unſren Lebensweg möglichſt zu ebnen, an die vorhandenen Steine nicht hart zu ſtoßen, vor Allem nicht neue eigenhändig herbeizutragen. Auch hier ſpielt die Phantaſie die Hauptrolle. Bei Einem, der dieſer traurigen Gewohnheit verfallen iſt, würden wir jedoch mit dem Rathe, ſeine Einbildungskraft lieblich zu richten, wenig Glück machen, wahrſcheinlich würde er ihn ſo aufnehmen, wie ein Lahmer, dem wir riethen, nicht zu hinken, denn auf ein- mal wäre es zu viel verlangt. Vielleicht findet derſelbe Rath in anderer Faſſung Eingang, wenn wir ihn z. B. an das erinnern, was im IV. Capitel Einem empfohlen wurde, der das Unglück hatte, im Hochgebirg auf glatter, abſchüſſiger Fläche zu ſtürzen und abwärts zu treiben. Mehre dort auf-

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/174>, abgerufen am 22.11.2024.