Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

V. Trösteinsamkeit -- Hantierungen.
Sprachen. Auch das Anlegen von Sammlungen (vergl.
VIII.), welche Umherziehen, Nachschlagen in Büchern und
Schreiberei verlangen, ist ein ganz annehmbares Mittel der
Aushilfe. Ich z. B. habe geraume Zeit hindurch Probestücke
von Mundarten gesammelt, charakteristische Redensarten und
Wendungen des Volksmunds, Lieder, Schnaderhupfeln, Mär-
chen, Schwänke. Anfangs dienten sie mir nur als Uebung in
Dialekten, bald aber nahm ich Interesse an der Sache und
fühlte mich zu fortgesetztem Sammeln angeregt. Geistliche,
Lehrer, Händler, Wirthe, Senner, Stadt- und Landleute
wurden meine Lieferanten. Auch im Unterrichtgeben finden
Manche eine willkommene Beschäftigung, zumal Solche, die
es nicht vorher berufsmäßig getrieben und das Glück haben,
gelehrige Schüler zu finden. Eine Winterpensionärin (es
war eine sehr aristokratisch erzogene junge Comtesse) wurde
von ihrem Arzte bewogen, dem Töchterchen eines Feld-
arbeiters täglich zwei Lehrstunden zu geben, und schon nach
Verlauf einer Woche versicherte sie, die beste Unterhaltung
dabei zu finden, setzte es eifrig fort und es währte nicht lange,
so hatte sich zwischen beiden, gesellschaftlich einander so fern
gestellten Wesen eine gegenseitige Anhänglichkeit gebildet, die
seitdem vorgehalten hat und beiden zu dauerndem Nutzen
gereichte.

-- Wären nun aber die Umstände der leidigen Art, daß
jenes ganze Zeughaus von Waffen gegen Langeweile und
Trübsinn verschlossen ist, forderten die Aerzte jede körperliche
und geistige Anstrengung zu fliehen, auch Musik zu meiden,
wie dann? --

-- Dann sucht wenigstens etwas auszumitteln, das
irgend einen Mechanismus hat, sei es auch nur ein leichtes
Handwerk oder sonstige Hantierung, womöglich eine, die sich
unter freiem Himmel vornehmen läßt, z. B. im Garten.
Gärtnerei wurde schon im Alterthum als Heilmittel empfohlen
und vielfach von Großen bis hinauf zum Kaiser geübt. Tre-
lawney versichert, daß nach seinen Erfahrungen unter die zu-

V. Tröſteinſamkeit — Hantierungen.
Sprachen. Auch das Anlegen von Sammlungen (vergl.
VIII.), welche Umherziehen, Nachſchlagen in Büchern und
Schreiberei verlangen, iſt ein ganz annehmbares Mittel der
Aushilfe. Ich z. B. habe geraume Zeit hindurch Probeſtücke
von Mundarten geſammelt, charakteriſtiſche Redensarten und
Wendungen des Volksmunds, Lieder, Schnaderhupfeln, Mär-
chen, Schwänke. Anfangs dienten ſie mir nur als Uebung in
Dialekten, bald aber nahm ich Intereſſe an der Sache und
fühlte mich zu fortgeſetztem Sammeln angeregt. Geiſtliche,
Lehrer, Händler, Wirthe, Senner, Stadt- und Landleute
wurden meine Lieferanten. Auch im Unterrichtgeben finden
Manche eine willkommene Beſchäftigung, zumal Solche, die
es nicht vorher berufsmäßig getrieben und das Glück haben,
gelehrige Schüler zu finden. Eine Winterpenſionärin (es
war eine ſehr ariſtokratiſch erzogene junge Comteſſe) wurde
von ihrem Arzte bewogen, dem Töchterchen eines Feld-
arbeiters täglich zwei Lehrſtunden zu geben, und ſchon nach
Verlauf einer Woche verſicherte ſie, die beſte Unterhaltung
dabei zu finden, ſetzte es eifrig fort und es währte nicht lange,
ſo hatte ſich zwiſchen beiden, geſellſchaftlich einander ſo fern
geſtellten Weſen eine gegenſeitige Anhänglichkeit gebildet, die
ſeitdem vorgehalten hat und beiden zu dauerndem Nutzen
gereichte.

— Wären nun aber die Umſtände der leidigen Art, daß
jenes ganze Zeughaus von Waffen gegen Langeweile und
Trübſinn verſchloſſen iſt, forderten die Aerzte jede körperliche
und geiſtige Anſtrengung zu fliehen, auch Muſik zu meiden,
wie dann? —

— Dann ſucht wenigſtens etwas auszumitteln, das
irgend einen Mechanismus hat, ſei es auch nur ein leichtes
Handwerk oder ſonſtige Hantierung, womöglich eine, die ſich
unter freiem Himmel vornehmen läßt, z. B. im Garten.
Gärtnerei wurde ſchon im Alterthum als Heilmittel empfohlen
und vielfach von Großen bis hinauf zum Kaiſer geübt. Tre-
lawney verſichert, daß nach ſeinen Erfahrungen unter die zu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0173" n="159"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Trö&#x017F;tein&#x017F;amkeit &#x2014; Hantierungen.</fw><lb/>
Sprachen. Auch das Anlegen von Sammlungen (vergl.<lb/><hi rendition="#aq">VIII.</hi>), welche Umherziehen, Nach&#x017F;chlagen in Büchern und<lb/>
Schreiberei verlangen, i&#x017F;t ein ganz annehmbares Mittel der<lb/>
Aushilfe. Ich z. B. habe geraume Zeit hindurch Probe&#x017F;tücke<lb/>
von Mundarten ge&#x017F;ammelt, charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Redensarten und<lb/>
Wendungen des Volksmunds, Lieder, Schnaderhupfeln, Mär-<lb/>
chen, Schwänke. Anfangs dienten &#x017F;ie mir nur als Uebung in<lb/>
Dialekten, bald aber nahm ich Intere&#x017F;&#x017F;e an der Sache und<lb/>
fühlte mich zu fortge&#x017F;etztem Sammeln angeregt. Gei&#x017F;tliche,<lb/>
Lehrer, Händler, Wirthe, Senner, Stadt- und Landleute<lb/>
wurden meine Lieferanten. Auch im Unterrichtgeben finden<lb/>
Manche eine willkommene Be&#x017F;chäftigung, zumal Solche, die<lb/>
es nicht vorher berufsmäßig getrieben und das Glück haben,<lb/>
gelehrige Schüler zu finden. Eine Winterpen&#x017F;ionärin (es<lb/>
war eine &#x017F;ehr ari&#x017F;tokrati&#x017F;ch erzogene junge Comte&#x017F;&#x017F;e) wurde<lb/>
von ihrem Arzte bewogen, dem Töchterchen eines Feld-<lb/>
arbeiters täglich zwei Lehr&#x017F;tunden zu geben, und &#x017F;chon nach<lb/>
Verlauf einer Woche ver&#x017F;icherte &#x017F;ie, die be&#x017F;te Unterhaltung<lb/>
dabei zu finden, &#x017F;etzte es eifrig fort und es währte nicht lange,<lb/>
&#x017F;o hatte &#x017F;ich zwi&#x017F;chen beiden, ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlich einander &#x017F;o fern<lb/>
ge&#x017F;tellten We&#x017F;en eine gegen&#x017F;eitige Anhänglichkeit gebildet, die<lb/>
&#x017F;eitdem vorgehalten hat und beiden zu dauerndem Nutzen<lb/>
gereichte.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Wären nun aber die Um&#x017F;tände der leidigen Art, daß<lb/>
jenes ganze Zeughaus von Waffen gegen Langeweile und<lb/>
Trüb&#x017F;inn ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, forderten die Aerzte jede körperliche<lb/>
und gei&#x017F;tige An&#x017F;trengung zu fliehen, auch Mu&#x017F;ik zu meiden,<lb/>
wie dann? &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; Dann &#x017F;ucht wenig&#x017F;tens etwas auszumitteln, das<lb/>
irgend einen Mechanismus hat, &#x017F;ei es auch nur ein leichtes<lb/>
Handwerk oder &#x017F;on&#x017F;tige Hantierung, womöglich eine, die &#x017F;ich<lb/>
unter freiem Himmel vornehmen läßt, z. B. im Garten.<lb/>
Gärtnerei wurde &#x017F;chon im Alterthum als Heilmittel empfohlen<lb/>
und vielfach von Großen bis hinauf zum Kai&#x017F;er geübt. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118814958">Tre-<lb/>
lawney</persName> ver&#x017F;ichert, daß nach &#x017F;einen Erfahrungen unter die zu-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0173] V. Tröſteinſamkeit — Hantierungen. Sprachen. Auch das Anlegen von Sammlungen (vergl. VIII.), welche Umherziehen, Nachſchlagen in Büchern und Schreiberei verlangen, iſt ein ganz annehmbares Mittel der Aushilfe. Ich z. B. habe geraume Zeit hindurch Probeſtücke von Mundarten geſammelt, charakteriſtiſche Redensarten und Wendungen des Volksmunds, Lieder, Schnaderhupfeln, Mär- chen, Schwänke. Anfangs dienten ſie mir nur als Uebung in Dialekten, bald aber nahm ich Intereſſe an der Sache und fühlte mich zu fortgeſetztem Sammeln angeregt. Geiſtliche, Lehrer, Händler, Wirthe, Senner, Stadt- und Landleute wurden meine Lieferanten. Auch im Unterrichtgeben finden Manche eine willkommene Beſchäftigung, zumal Solche, die es nicht vorher berufsmäßig getrieben und das Glück haben, gelehrige Schüler zu finden. Eine Winterpenſionärin (es war eine ſehr ariſtokratiſch erzogene junge Comteſſe) wurde von ihrem Arzte bewogen, dem Töchterchen eines Feld- arbeiters täglich zwei Lehrſtunden zu geben, und ſchon nach Verlauf einer Woche verſicherte ſie, die beſte Unterhaltung dabei zu finden, ſetzte es eifrig fort und es währte nicht lange, ſo hatte ſich zwiſchen beiden, geſellſchaftlich einander ſo fern geſtellten Weſen eine gegenſeitige Anhänglichkeit gebildet, die ſeitdem vorgehalten hat und beiden zu dauerndem Nutzen gereichte. — Wären nun aber die Umſtände der leidigen Art, daß jenes ganze Zeughaus von Waffen gegen Langeweile und Trübſinn verſchloſſen iſt, forderten die Aerzte jede körperliche und geiſtige Anſtrengung zu fliehen, auch Muſik zu meiden, wie dann? — — Dann ſucht wenigſtens etwas auszumitteln, das irgend einen Mechanismus hat, ſei es auch nur ein leichtes Handwerk oder ſonſtige Hantierung, womöglich eine, die ſich unter freiem Himmel vornehmen läßt, z. B. im Garten. Gärtnerei wurde ſchon im Alterthum als Heilmittel empfohlen und vielfach von Großen bis hinauf zum Kaiſer geübt. Tre- lawney verſichert, daß nach ſeinen Erfahrungen unter die zu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/173
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/173>, abgerufen am 22.11.2024.