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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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V. Klimatologie -- zur Seelendiätetik.
den Berge u. s. w. Mit "Durchschnittstemperatur" wissen
wir nicht viel anzufangen, denn unsre kranken Lungen
empfinden keineswegs dieses Facit eines Additions- und
Divisionsexempels, sondern die Extreme von Kälte; eben-
sowenig lassen sich danach Schlüsse machen, wie weit ungefähr
auf die Möglichkeit des sitzenden Aufenthalts im Freien zu
rechnen ist. In Nordamerika kommen im Sommer hohe
Wärme- und im Winter desto extremere Kältegrade vor, die
durchschnittliche Jahrestemperatur stellt sich mithin nicht un-
günstig, die Ausgleichung findet indeß nur auf dem Papiere
statt und die Statistik weist schlimme Zahlen nach in Bezug
auf Tuberculose und Erkältungskrankheiten. In manchen
Thälern herrscht im Hochsommer drückende Schwüle, die aber
zeitweilig durch schneidend kalte Winde aus der Schneeregion
oder aus feuchten, dichtbewaldeten Schluchten unterbrochen
wird, wovon Durchschnittszahlen nichts erzählen.

Die klimatologische Literatur ist jünger und noch
weit unerfahrener als die balneologische, namentlich fehlt es
an einem Werke, das von allen nennenswerthen südeuropäi-
schen und nordafrikanischen Gesundheitsstationen für den
Winter eine unparteiische vergleichende Zusammenstellung
gibt, die sich nicht allein auf das vorhandene monographische
Material, sondern auch auf eigene eingehende Studien stützt
-- die großen Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens,
bei den weiten Entfernungen der einzelnen Punkte und den
eigenthümlichen Verhältnissen so vieler, leuchten ein -- und
daneben auch Touristisches nicht ganz vernachlässigt.

Ueber Heilbäder wäre noch Manches zu sagen, z. B. über
Aerzte, die zugleich Unternehmer sind, über Vergnügungs-
räthe, Curtaxen, Hazardspiele etc. etc., wir wollen jedoch den
Stoff lieber nicht erschöpfen und so mag es dabei bewenden.
Ehe wir weitergehen, jedoch noch Eins, Ihr lieben Curgäste,
jung und alt, Herren und Damen: vergeßt nicht, daß es
auch eine Diät der Seele gibt, die mindestens eben so
wichtig ist, wie die des Körpers. Fühlt Ihr den Ballon

V. Klimatologie — zur Seelendiätetik.
den Berge u. ſ. w. Mit „Durchſchnittstemperatur“ wiſſen
wir nicht viel anzufangen, denn unſre kranken Lungen
empfinden keineswegs dieſes Facit eines Additions- und
Diviſionsexempels, ſondern die Extreme von Kälte; eben-
ſowenig laſſen ſich danach Schlüſſe machen, wie weit ungefähr
auf die Möglichkeit des ſitzenden Aufenthalts im Freien zu
rechnen iſt. In Nordamerika kommen im Sommer hohe
Wärme- und im Winter deſto extremere Kältegrade vor, die
durchſchnittliche Jahrestemperatur ſtellt ſich mithin nicht un-
günſtig, die Ausgleichung findet indeß nur auf dem Papiere
ſtatt und die Statiſtik weiſt ſchlimme Zahlen nach in Bezug
auf Tuberculoſe und Erkältungskrankheiten. In manchen
Thälern herrſcht im Hochſommer drückende Schwüle, die aber
zeitweilig durch ſchneidend kalte Winde aus der Schneeregion
oder aus feuchten, dichtbewaldeten Schluchten unterbrochen
wird, wovon Durchſchnittszahlen nichts erzählen.

Die klimatologiſche Literatur iſt jünger und noch
weit unerfahrener als die balneologiſche, namentlich fehlt es
an einem Werke, das von allen nennenswerthen ſüdeuropäi-
ſchen und nordafrikaniſchen Geſundheitsſtationen für den
Winter eine unparteiiſche vergleichende Zuſammenſtellung
gibt, die ſich nicht allein auf das vorhandene monographiſche
Material, ſondern auch auf eigene eingehende Studien ſtützt
— die großen Schwierigkeiten eines ſolchen Unternehmens,
bei den weiten Entfernungen der einzelnen Punkte und den
eigenthümlichen Verhältniſſen ſo vieler, leuchten ein — und
daneben auch Touriſtiſches nicht ganz vernachläſſigt.

Ueber Heilbäder wäre noch Manches zu ſagen, z. B. über
Aerzte, die zugleich Unternehmer ſind, über Vergnügungs-
räthe, Curtaxen, Hazardſpiele ꝛc. ꝛc., wir wollen jedoch den
Stoff lieber nicht erſchöpfen und ſo mag es dabei bewenden.
Ehe wir weitergehen, jedoch noch Eins, Ihr lieben Curgäſte,
jung und alt, Herren und Damen: vergeßt nicht, daß es
auch eine Diät der Seele gibt, die mindeſtens eben ſo
wichtig iſt, wie die des Körpers. Fühlt Ihr den Ballon

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[139/0153] V. Klimatologie — zur Seelendiätetik. den Berge u. ſ. w. Mit „Durchſchnittstemperatur“ wiſſen wir nicht viel anzufangen, denn unſre kranken Lungen empfinden keineswegs dieſes Facit eines Additions- und Diviſionsexempels, ſondern die Extreme von Kälte; eben- ſowenig laſſen ſich danach Schlüſſe machen, wie weit ungefähr auf die Möglichkeit des ſitzenden Aufenthalts im Freien zu rechnen iſt. In Nordamerika kommen im Sommer hohe Wärme- und im Winter deſto extremere Kältegrade vor, die durchſchnittliche Jahrestemperatur ſtellt ſich mithin nicht un- günſtig, die Ausgleichung findet indeß nur auf dem Papiere ſtatt und die Statiſtik weiſt ſchlimme Zahlen nach in Bezug auf Tuberculoſe und Erkältungskrankheiten. In manchen Thälern herrſcht im Hochſommer drückende Schwüle, die aber zeitweilig durch ſchneidend kalte Winde aus der Schneeregion oder aus feuchten, dichtbewaldeten Schluchten unterbrochen wird, wovon Durchſchnittszahlen nichts erzählen. Die klimatologiſche Literatur iſt jünger und noch weit unerfahrener als die balneologiſche, namentlich fehlt es an einem Werke, das von allen nennenswerthen ſüdeuropäi- ſchen und nordafrikaniſchen Geſundheitsſtationen für den Winter eine unparteiiſche vergleichende Zuſammenſtellung gibt, die ſich nicht allein auf das vorhandene monographiſche Material, ſondern auch auf eigene eingehende Studien ſtützt — die großen Schwierigkeiten eines ſolchen Unternehmens, bei den weiten Entfernungen der einzelnen Punkte und den eigenthümlichen Verhältniſſen ſo vieler, leuchten ein — und daneben auch Touriſtiſches nicht ganz vernachläſſigt. Ueber Heilbäder wäre noch Manches zu ſagen, z. B. über Aerzte, die zugleich Unternehmer ſind, über Vergnügungs- räthe, Curtaxen, Hazardſpiele ꝛc. ꝛc., wir wollen jedoch den Stoff lieber nicht erſchöpfen und ſo mag es dabei bewenden. Ehe wir weitergehen, jedoch noch Eins, Ihr lieben Curgäſte, jung und alt, Herren und Damen: vergeßt nicht, daß es auch eine Diät der Seele gibt, die mindeſtens eben ſo wichtig iſt, wie die des Körpers. Fühlt Ihr den Ballon

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/153>, abgerufen am 24.11.2024.