Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.V. Siedelungsversuche. wissenhaft eine Stunde täglich gleich nach Tisch, anderthalbAbendstunden wurden der Unterhaltung mit Freunden bei bairischem Biere gewidmet, natürlich auch im dicksten Tabaks- rauch *) eines kleinen niedrigen Zimmers, an dessen Athem- luft außer einem Dutzend Menschen eine Anzahl Gasflammen und ein eiserner Steinkohlenofen zehrten. Jetzt wo ich die Wirkung dieser Dinge kenne, begreife ich nicht, daß meine Natur so lange Stand hielt. Als es höchste Zeit oder vielmehr als sie schon vorüber und ich in einem Zustande war, der eine gründliche Heilung unmöglich macht, sagte endlich mein Arzt: herumdoctern an Ihnen will ich nun nicht länger, denn es hilft nichts. Ich wußte aber, wie schwer Sie sich entschließen würden, Ihre Arbeiten, Familie, Freunde, Ge- wohnheiten zu verlassen, sonst hätte ich schon früher darauf gedrungen. Für Sie gibt es nur ein Recept und das ist geistige Ruhe, mäßige, geregelte körperliche Bewegung und Aufenthalt in Berg- und Waldluft mehre Monate hindurch. Suchen Sie sich in den Alpen oder einem deutschen Mittel- gebirge ein Eckchen, das Ihnen gefällt, und schlagen Sie dort Ihr Zelt auf. Der letzte Theil des Rathes söhnte mich mit dem Uebrigen aus. Ich hasse nämlich elegante Modebäder, die nur ein Stück Großstadt in Sommerkleidern sind, wo die Langeweile in Lackstiefeln auf den Schlangenwegen eines Parks hin und her promenirt und von ungestörtem Natur- genuß keine Rede ist. Ich suchte und fand im nächsten Wald- revier ein Dutzend Plätzchen, an denen meine Augen Wohl- gefallen hatten, die mich entzückten und von denen ich mir Alles versprach, was ich zu bedürfen meinte, machte hinter- *) Im londoner Punch erschien ein Bild, welches eine deutsche Mutter mit
einem Säugling auf dem Schooße zeigt, dem sie statt der Brust die Tabakspfeife in den Mund steckt. Der Spott trifft in der That eine schwache Stelle des deutschen Körpers, denn schwerlich wird irgendwo in einem der fünf Welttheile so viel gepafft, auch von Kindern, als in Deutschland. Das Zollparlament sollte eine hohe Steuer auf Tabak legen, vielleicht trüge das bei, dieses Nationallaster, das viele Dampfen, etwas zu dämpfen. V. Siedelungsverſuche. wiſſenhaft eine Stunde täglich gleich nach Tiſch, anderthalbAbendſtunden wurden der Unterhaltung mit Freunden bei bairiſchem Biere gewidmet, natürlich auch im dickſten Tabaks- rauch *) eines kleinen niedrigen Zimmers, an deſſen Athem- luft außer einem Dutzend Menſchen eine Anzahl Gasflammen und ein eiſerner Steinkohlenofen zehrten. Jetzt wo ich die Wirkung dieſer Dinge kenne, begreife ich nicht, daß meine Natur ſo lange Stand hielt. Als es höchſte Zeit oder vielmehr als ſie ſchon vorüber und ich in einem Zuſtande war, der eine gründliche Heilung unmöglich macht, ſagte endlich mein Arzt: herumdoctern an Ihnen will ich nun nicht länger, denn es hilft nichts. Ich wußte aber, wie ſchwer Sie ſich entſchließen würden, Ihre Arbeiten, Familie, Freunde, Ge- wohnheiten zu verlaſſen, ſonſt hätte ich ſchon früher darauf gedrungen. Für Sie gibt es nur ein Recept und das iſt geiſtige Ruhe, mäßige, geregelte körperliche Bewegung und Aufenthalt in Berg- und Waldluft mehre Monate hindurch. Suchen Sie ſich in den Alpen oder einem deutſchen Mittel- gebirge ein Eckchen, das Ihnen gefällt, und ſchlagen Sie dort Ihr Zelt auf. Der letzte Theil des Rathes ſöhnte mich mit dem Uebrigen aus. Ich haſſe nämlich elegante Modebäder, die nur ein Stück Großſtadt in Sommerkleidern ſind, wo die Langeweile in Lackſtiefeln auf den Schlangenwegen eines Parks hin und her promenirt und von ungeſtörtem Natur- genuß keine Rede iſt. Ich ſuchte und fand im nächſten Wald- revier ein Dutzend Plätzchen, an denen meine Augen Wohl- gefallen hatten, die mich entzückten und von denen ich mir Alles verſprach, was ich zu bedürfen meinte, machte hinter- *) Im londoner Punch erſchien ein Bild, welches eine deutſche Mutter mit
einem Säugling auf dem Schooße zeigt, dem ſie ſtatt der Bruſt die Tabakspfeife in den Mund ſteckt. Der Spott trifft in der That eine ſchwache Stelle des deutſchen Körpers, denn ſchwerlich wird irgendwo in einem der fünf Welttheile ſo viel gepafft, auch von Kindern, als in Deutſchland. Das Zollparlament ſollte eine hohe Steuer auf Tabak legen, vielleicht trüge das bei, dieſes Nationallaſter, das viele Dampfen, etwas zu dämpfen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0133" n="119"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Siedelungsverſuche.</fw><lb/> wiſſenhaft eine Stunde täglich gleich nach Tiſch, anderthalb<lb/> Abendſtunden wurden der Unterhaltung mit Freunden bei<lb/> bairiſchem Biere gewidmet, natürlich auch im dickſten Tabaks-<lb/> rauch <note place="foot" n="*)">Im londoner Punch erſchien ein Bild, welches eine deutſche Mutter mit<lb/> einem Säugling auf dem Schooße zeigt, dem ſie ſtatt der Bruſt die Tabakspfeife<lb/> in den Mund ſteckt. Der Spott trifft in der That eine ſchwache Stelle des deutſchen<lb/> Körpers, denn ſchwerlich wird irgendwo in einem der fünf Welttheile ſo viel gepafft,<lb/> auch von Kindern, als in <placeName>Deutſchland</placeName>. Das Zollparlament ſollte eine hohe Steuer<lb/> auf Tabak legen, vielleicht trüge das bei, dieſes Nationallaſter, das viele Dampfen,<lb/> etwas zu dämpfen.</note> eines kleinen niedrigen Zimmers, an deſſen Athem-<lb/> luft außer einem Dutzend Menſchen eine Anzahl Gasflammen<lb/> und ein eiſerner Steinkohlenofen zehrten. Jetzt wo ich die<lb/> Wirkung dieſer Dinge kenne, begreife ich nicht, daß meine<lb/> Natur ſo lange Stand hielt. Als es höchſte Zeit oder vielmehr<lb/> als ſie ſchon vorüber und ich in einem Zuſtande war, der<lb/> eine gründliche Heilung unmöglich macht, ſagte endlich mein<lb/> Arzt: herumdoctern an Ihnen will ich nun nicht länger,<lb/> denn es hilft nichts. Ich wußte aber, wie ſchwer Sie ſich<lb/> entſchließen würden, Ihre Arbeiten, Familie, Freunde, Ge-<lb/> wohnheiten zu verlaſſen, ſonſt hätte ich ſchon früher darauf<lb/> gedrungen. Für Sie gibt es nur ein Recept und das iſt<lb/> geiſtige Ruhe, mäßige, geregelte körperliche Bewegung und<lb/> Aufenthalt in Berg- und Waldluft mehre Monate hindurch.<lb/> Suchen Sie ſich in den <placeName>Alpen</placeName> oder einem deutſchen Mittel-<lb/> gebirge ein Eckchen, das Ihnen gefällt, und ſchlagen Sie dort<lb/> Ihr Zelt auf. Der letzte Theil des Rathes ſöhnte mich mit<lb/> dem Uebrigen aus. Ich haſſe nämlich elegante Modebäder,<lb/> die nur ein Stück Großſtadt in Sommerkleidern ſind, wo<lb/> die Langeweile in Lackſtiefeln auf den Schlangenwegen eines<lb/> Parks hin und her promenirt und von ungeſtörtem Natur-<lb/> genuß keine Rede iſt. Ich ſuchte und fand im nächſten Wald-<lb/> revier ein Dutzend Plätzchen, an denen meine Augen Wohl-<lb/> gefallen hatten, die mich entzückten und von denen ich mir<lb/> Alles verſprach, was ich zu bedürfen meinte, machte hinter-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [119/0133]
V. Siedelungsverſuche.
wiſſenhaft eine Stunde täglich gleich nach Tiſch, anderthalb
Abendſtunden wurden der Unterhaltung mit Freunden bei
bairiſchem Biere gewidmet, natürlich auch im dickſten Tabaks-
rauch *) eines kleinen niedrigen Zimmers, an deſſen Athem-
luft außer einem Dutzend Menſchen eine Anzahl Gasflammen
und ein eiſerner Steinkohlenofen zehrten. Jetzt wo ich die
Wirkung dieſer Dinge kenne, begreife ich nicht, daß meine
Natur ſo lange Stand hielt. Als es höchſte Zeit oder vielmehr
als ſie ſchon vorüber und ich in einem Zuſtande war, der
eine gründliche Heilung unmöglich macht, ſagte endlich mein
Arzt: herumdoctern an Ihnen will ich nun nicht länger,
denn es hilft nichts. Ich wußte aber, wie ſchwer Sie ſich
entſchließen würden, Ihre Arbeiten, Familie, Freunde, Ge-
wohnheiten zu verlaſſen, ſonſt hätte ich ſchon früher darauf
gedrungen. Für Sie gibt es nur ein Recept und das iſt
geiſtige Ruhe, mäßige, geregelte körperliche Bewegung und
Aufenthalt in Berg- und Waldluft mehre Monate hindurch.
Suchen Sie ſich in den Alpen oder einem deutſchen Mittel-
gebirge ein Eckchen, das Ihnen gefällt, und ſchlagen Sie dort
Ihr Zelt auf. Der letzte Theil des Rathes ſöhnte mich mit
dem Uebrigen aus. Ich haſſe nämlich elegante Modebäder,
die nur ein Stück Großſtadt in Sommerkleidern ſind, wo
die Langeweile in Lackſtiefeln auf den Schlangenwegen eines
Parks hin und her promenirt und von ungeſtörtem Natur-
genuß keine Rede iſt. Ich ſuchte und fand im nächſten Wald-
revier ein Dutzend Plätzchen, an denen meine Augen Wohl-
gefallen hatten, die mich entzückten und von denen ich mir
Alles verſprach, was ich zu bedürfen meinte, machte hinter-
*) Im londoner Punch erſchien ein Bild, welches eine deutſche Mutter mit
einem Säugling auf dem Schooße zeigt, dem ſie ſtatt der Bruſt die Tabakspfeife
in den Mund ſteckt. Der Spott trifft in der That eine ſchwache Stelle des deutſchen
Körpers, denn ſchwerlich wird irgendwo in einem der fünf Welttheile ſo viel gepafft,
auch von Kindern, als in Deutſchland. Das Zollparlament ſollte eine hohe Steuer
auf Tabak legen, vielleicht trüge das bei, dieſes Nationallaſter, das viele Dampfen,
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