Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.
V. Farbenblinde Augen -- Meteorologisches. bilanz, kann auf Reserveconto gutschreiben und kehrt vergnügtzurück. Auf vereinzelte Stimmen ist dabei übrigens nichts zu geben, denn an fast allen schön gelegenen Punkten Deutsch- lands und der Alpen kann man Versicherungen hören, "so viel als da regne es sonst nirgend". Diese gehen von un- geduldigen Besuchern aus, welche vor der Abreise versäumt haben, ihre Seele von unbilligen Ansprüchen und Schwärme- reien gründlich zu purgiren, während ihrer Ferien ein Recht auf ununterbrochen schönes Wetter zu haben meinen, und, wenn dann einige Regentage kommen, großes Geschrei erheben und mit dem Orte und seinen Schutzgeistern schmollen. Sie haben sich ein Phantasiebild von Normalwetter gemacht und sind entrüstet, wenn die Wirklichkeit dem nicht entspricht, wie es auch Menschen gibt, von denen jeder schwörte, daß er "der größte Pechvogel" sei, "so 'was kann nur mir passiren" etc. Ihr geistiges Auge ist farbenblind, es sieht nur die dunklen Farben. -- Die Meteorologie, eine der jüngsten naturwissen- schaftlichen Disciplinen, welche an Aufmerksamkeit und Fleiß seit einigen Jahren ihren älteren Schwestern gleichkommt, wird wohl nun bald hierüber soviel festgestellt haben, als ein Badegast für seine Zwecke braucht. -- Im Hochgebirge noch häufiger als anderswo kommt es vor, daß ein Regenwetter in einem Thale sich festsetzt und zwei, drei Wochen lang nicht weichen will. Die Einheimischen sehen dies aus gewissen Zeichen oft schon in den ersten Tagen vorher und Einige von ihnen, die am Fremdenbesuch ihres Thales nicht unmittelbar betheiligt sind, machen kein Hehl daraus. In solchen Fällen halte ich mich für berechtigt, auf gut Glück abzureisen in eine andere Gegend. Treffe ich's dort abermals schlecht, so tröste ich mich durch die Annahme, daß es ein Charakterfehler dieses Sommers sei, und bestärke mich darin durch Lesung der Wetterberichte in den Zeitungen. Wer der Hitze des Hochsommers ausweichen will, V. Farbenblinde Augen — Meteorologiſches. bilanz, kann auf Reſerveconto gutſchreiben und kehrt vergnügtzurück. Auf vereinzelte Stimmen iſt dabei übrigens nichts zu geben, denn an faſt allen ſchön gelegenen Punkten Deutſch- lands und der Alpen kann man Verſicherungen hören, „ſo viel als da regne es ſonſt nirgend“. Dieſe gehen von un- geduldigen Beſuchern aus, welche vor der Abreiſe verſäumt haben, ihre Seele von unbilligen Anſprüchen und Schwärme- reien gründlich zu purgiren, während ihrer Ferien ein Recht auf ununterbrochen ſchönes Wetter zu haben meinen, und, wenn dann einige Regentage kommen, großes Geſchrei erheben und mit dem Orte und ſeinen Schutzgeiſtern ſchmollen. Sie haben ſich ein Phantaſiebild von Normalwetter gemacht und ſind entrüſtet, wenn die Wirklichkeit dem nicht entſpricht, wie es auch Menſchen gibt, von denen jeder ſchwörte, daß er „der größte Pechvogel“ ſei, „ſo ’was kann nur mir paſſiren“ ꝛc. Ihr geiſtiges Auge iſt farbenblind, es ſieht nur die dunklen Farben. — Die Meteorologie, eine der jüngſten naturwiſſen- ſchaftlichen Disciplinen, welche an Aufmerkſamkeit und Fleiß ſeit einigen Jahren ihren älteren Schweſtern gleichkommt, wird wohl nun bald hierüber ſoviel feſtgeſtellt haben, als ein Badegaſt für ſeine Zwecke braucht. — Im Hochgebirge noch häufiger als anderswo kommt es vor, daß ein Regenwetter in einem Thale ſich feſtſetzt und zwei, drei Wochen lang nicht weichen will. Die Einheimiſchen ſehen dies aus gewiſſen Zeichen oft ſchon in den erſten Tagen vorher und Einige von ihnen, die am Fremdenbeſuch ihres Thales nicht unmittelbar betheiligt ſind, machen kein Hehl daraus. In ſolchen Fällen halte ich mich für berechtigt, auf gut Glück abzureiſen in eine andere Gegend. Treffe ich’s dort abermals ſchlecht, ſo tröſte ich mich durch die Annahme, daß es ein Charakterfehler dieſes Sommers ſei, und beſtärke mich darin durch Leſung der Wetterberichte in den Zeitungen. Wer der Hitze des Hochſommers ausweichen will, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0130" n="116"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Farbenblinde Augen — Meteorologiſches.</fw><lb/> bilanz, kann auf Reſerveconto gutſchreiben und kehrt vergnügt<lb/> zurück. Auf vereinzelte Stimmen iſt dabei übrigens nichts<lb/> zu geben, denn an faſt allen ſchön gelegenen Punkten <placeName>Deutſch-<lb/> lands</placeName> und der <placeName>Alpen</placeName> kann man Verſicherungen hören, „ſo<lb/> viel als da regne es ſonſt nirgend“. Dieſe gehen von un-<lb/> geduldigen Beſuchern aus, welche vor der Abreiſe verſäumt<lb/> haben, ihre Seele von unbilligen Anſprüchen und Schwärme-<lb/> reien gründlich zu purgiren, während ihrer Ferien ein<lb/> Recht auf ununterbrochen ſchönes Wetter zu haben meinen,<lb/> und, wenn dann einige Regentage kommen, großes Geſchrei<lb/> erheben und mit dem Orte und ſeinen Schutzgeiſtern ſchmollen.<lb/> Sie haben ſich ein Phantaſiebild von Normalwetter gemacht<lb/> und ſind entrüſtet, wenn die Wirklichkeit dem nicht entſpricht,<lb/> wie es auch Menſchen gibt, von denen jeder ſchwörte, daß er<lb/> „der größte Pechvogel“ ſei, „ſo ’was kann nur mir paſſiren“ ꝛc.<lb/> Ihr geiſtiges Auge iſt farbenblind, es ſieht nur die dunklen<lb/> Farben. — Die Meteorologie, eine der jüngſten naturwiſſen-<lb/> ſchaftlichen Disciplinen, welche an Aufmerkſamkeit und Fleiß<lb/> ſeit einigen Jahren ihren älteren Schweſtern gleichkommt,<lb/> wird wohl nun bald hierüber ſoviel feſtgeſtellt haben, als ein<lb/> Badegaſt für ſeine Zwecke braucht. — Im Hochgebirge noch<lb/> häufiger als anderswo kommt es vor, daß ein Regenwetter<lb/> in einem Thale ſich feſtſetzt und zwei, drei Wochen lang nicht<lb/> weichen will. Die Einheimiſchen ſehen dies aus gewiſſen<lb/> Zeichen oft ſchon in den erſten Tagen vorher und Einige von<lb/> ihnen, die am Fremdenbeſuch ihres Thales nicht unmittelbar<lb/> betheiligt ſind, machen kein Hehl daraus. In ſolchen Fällen<lb/> halte ich mich für berechtigt, auf gut Glück abzureiſen in eine<lb/> andere Gegend. Treffe ich’s dort abermals ſchlecht, ſo tröſte<lb/> ich mich durch die Annahme, daß es ein Charakterfehler dieſes<lb/> Sommers ſei, und beſtärke mich darin durch Leſung der<lb/> Wetterberichte in den Zeitungen.</p><lb/> <p>Wer der Hitze des <hi rendition="#g">Hochſommers</hi> ausweichen will,<lb/> ſucht den Seeſtrand auf oder ein hochliegendes Gelände. Am<lb/> offenen Meere (<placeName>Nordſee</placeName>) muß er aber dann meiſt auf Wald<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [116/0130]
V. Farbenblinde Augen — Meteorologiſches.
bilanz, kann auf Reſerveconto gutſchreiben und kehrt vergnügt
zurück. Auf vereinzelte Stimmen iſt dabei übrigens nichts
zu geben, denn an faſt allen ſchön gelegenen Punkten Deutſch-
lands und der Alpen kann man Verſicherungen hören, „ſo
viel als da regne es ſonſt nirgend“. Dieſe gehen von un-
geduldigen Beſuchern aus, welche vor der Abreiſe verſäumt
haben, ihre Seele von unbilligen Anſprüchen und Schwärme-
reien gründlich zu purgiren, während ihrer Ferien ein
Recht auf ununterbrochen ſchönes Wetter zu haben meinen,
und, wenn dann einige Regentage kommen, großes Geſchrei
erheben und mit dem Orte und ſeinen Schutzgeiſtern ſchmollen.
Sie haben ſich ein Phantaſiebild von Normalwetter gemacht
und ſind entrüſtet, wenn die Wirklichkeit dem nicht entſpricht,
wie es auch Menſchen gibt, von denen jeder ſchwörte, daß er
„der größte Pechvogel“ ſei, „ſo ’was kann nur mir paſſiren“ ꝛc.
Ihr geiſtiges Auge iſt farbenblind, es ſieht nur die dunklen
Farben. — Die Meteorologie, eine der jüngſten naturwiſſen-
ſchaftlichen Disciplinen, welche an Aufmerkſamkeit und Fleiß
ſeit einigen Jahren ihren älteren Schweſtern gleichkommt,
wird wohl nun bald hierüber ſoviel feſtgeſtellt haben, als ein
Badegaſt für ſeine Zwecke braucht. — Im Hochgebirge noch
häufiger als anderswo kommt es vor, daß ein Regenwetter
in einem Thale ſich feſtſetzt und zwei, drei Wochen lang nicht
weichen will. Die Einheimiſchen ſehen dies aus gewiſſen
Zeichen oft ſchon in den erſten Tagen vorher und Einige von
ihnen, die am Fremdenbeſuch ihres Thales nicht unmittelbar
betheiligt ſind, machen kein Hehl daraus. In ſolchen Fällen
halte ich mich für berechtigt, auf gut Glück abzureiſen in eine
andere Gegend. Treffe ich’s dort abermals ſchlecht, ſo tröſte
ich mich durch die Annahme, daß es ein Charakterfehler dieſes
Sommers ſei, und beſtärke mich darin durch Leſung der
Wetterberichte in den Zeitungen.
Wer der Hitze des Hochſommers ausweichen will,
ſucht den Seeſtrand auf oder ein hochliegendes Gelände. Am
offenen Meere (Nordſee) muß er aber dann meiſt auf Wald
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/130 |
| Zitationshilfe: | Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/130>, abgerufen am 22.11.2024. |
