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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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IV. Cum grano salis -- Vesuv -- Durst.

Bei Ausflügen mit obligatem Mundvorrath vergessen
von zehn Touristen neun, Salz mitzunehmen. Auf Tabellen
beruht diese statistische Notiz zwar nicht, wohl aber kann ich
sie einigermaßen annehmbar machen durch ein Geschichtchen.
Im Frühling 186[verlorenes Material - 1 Zeichen fehlt]. traf ich eines Morgens im Zöpf-Weber'-
schen Kaffeehaus in Neapel mit drei Anderen zum Zweck einer
gemeinschaftlichen Besteigung des Vesuvs zusammen. Der
Wagen nach Resina stand vor der Thür, unsren Imbiß von
kaltem Geflügel hatten wir eben eingesteckt, am Schenktisch
ließ ich mir noch etwas Salz geben und bemerkte, daß jeder
der drei Herren dies flugs nachahmte. Als wir nun oben
in dem von Lavablöcken erbauten kleinen Circus saßen, dem
herkömmlichen Speisesaal der Besteiger des Aschenkegels, in
dichtgedrängter Reihe um uns herum andere Besucher, zeigte
sich, daß keiner von allen diesen cum grano salis war, und
ihre Blicke verlangend an dem kleinen Salzlager schleckten,
das wir vor uns auf dem Schooße hatten. Da wandte ich
mich an meine Gefährten, die meiner Erinnerung ihren Vor-
rath verdankten, mit dem Antrag, unser Salzmonopol nicht
selbstsüchtig auszubeuten, sondern bedürftigen Nebenmenschen
davon mitzutheilen. Wir hatten die Genugthuung, im ganzen
Kreise ringsum Heiterkeit zu verbreiten, und machten einige
willkommene Bekanntschaften; die wenigen Messerspitzen Salz
hatten eine befreundende Wirkung, die nach dem Sprüchworte
sonst nur an einem Tische gemeinsam verzehrte Scheffel haben
sollen. Seit der Zeit vergesse ich den Artikel nicht mehr.

Vor und während schweren Tagewerks viel zu trin-
ken
, trägt nicht zur Beförderung der Spannkraft bei, eben-
sowenig ist aber, namentlich bei großer Sonnenhitze, das
entgegengesetzte Extrem zu rühmen, wie es in Büchern so oft
geschieht; denn allerdings schwitzt man bei strenger Ent-
haltung und stoischer Ertragung des Durstes nicht leicht, doch
keineswegs zum Vortheil der Haut und des ganzen Körpers,
welche hierdurch nur um so heißer und unbehaglicher werden,
während die Feuchtigkeit kühlend wirkt. Ueberhaupt sollten

IV. Cum grano salisVeſuv — Durſt.

Bei Ausflügen mit obligatem Mundvorrath vergeſſen
von zehn Touriſten neun, Salz mitzunehmen. Auf Tabellen
beruht dieſe ſtatiſtiſche Notiz zwar nicht, wohl aber kann ich
ſie einigermaßen annehmbar machen durch ein Geſchichtchen.
Im Frühling 186[verlorenes Material – 1 Zeichen fehlt]. traf ich eines Morgens im Zöpf-Weber’-
ſchen Kaffeehaus in Neapel mit drei Anderen zum Zweck einer
gemeinſchaftlichen Beſteigung des Veſuvs zuſammen. Der
Wagen nach Reſina ſtand vor der Thür, unſren Imbiß von
kaltem Geflügel hatten wir eben eingeſteckt, am Schenktiſch
ließ ich mir noch etwas Salz geben und bemerkte, daß jeder
der drei Herren dies flugs nachahmte. Als wir nun oben
in dem von Lavablöcken erbauten kleinen Circus ſaßen, dem
herkömmlichen Speiſeſaal der Beſteiger des Aſchenkegels, in
dichtgedrängter Reihe um uns herum andere Beſucher, zeigte
ſich, daß keiner von allen dieſen cum grano salis war, und
ihre Blicke verlangend an dem kleinen Salzlager ſchleckten,
das wir vor uns auf dem Schooße hatten. Da wandte ich
mich an meine Gefährten, die meiner Erinnerung ihren Vor-
rath verdankten, mit dem Antrag, unſer Salzmonopol nicht
ſelbſtſüchtig auszubeuten, ſondern bedürftigen Nebenmenſchen
davon mitzutheilen. Wir hatten die Genugthuung, im ganzen
Kreiſe ringsum Heiterkeit zu verbreiten, und machten einige
willkommene Bekanntſchaften; die wenigen Meſſerſpitzen Salz
hatten eine befreundende Wirkung, die nach dem Sprüchworte
ſonſt nur an einem Tiſche gemeinſam verzehrte Scheffel haben
ſollen. Seit der Zeit vergeſſe ich den Artikel nicht mehr.

Vor und während ſchweren Tagewerks viel zu trin-
ken
, trägt nicht zur Beförderung der Spannkraft bei, eben-
ſowenig iſt aber, namentlich bei großer Sonnenhitze, das
entgegengeſetzte Extrem zu rühmen, wie es in Büchern ſo oft
geſchieht; denn allerdings ſchwitzt man bei ſtrenger Ent-
haltung und ſtoiſcher Ertragung des Durſtes nicht leicht, doch
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welche hierdurch nur um ſo heißer und unbehaglicher werden,
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[89/0103] IV. Cum grano salis — Veſuv — Durſt. Bei Ausflügen mit obligatem Mundvorrath vergeſſen von zehn Touriſten neun, Salz mitzunehmen. Auf Tabellen beruht dieſe ſtatiſtiſche Notiz zwar nicht, wohl aber kann ich ſie einigermaßen annehmbar machen durch ein Geſchichtchen. Im Frühling 186_. traf ich eines Morgens im Zöpf-Weber’- ſchen Kaffeehaus in Neapel mit drei Anderen zum Zweck einer gemeinſchaftlichen Beſteigung des Veſuvs zuſammen. Der Wagen nach Reſina ſtand vor der Thür, unſren Imbiß von kaltem Geflügel hatten wir eben eingeſteckt, am Schenktiſch ließ ich mir noch etwas Salz geben und bemerkte, daß jeder der drei Herren dies flugs nachahmte. Als wir nun oben in dem von Lavablöcken erbauten kleinen Circus ſaßen, dem herkömmlichen Speiſeſaal der Beſteiger des Aſchenkegels, in dichtgedrängter Reihe um uns herum andere Beſucher, zeigte ſich, daß keiner von allen dieſen cum grano salis war, und ihre Blicke verlangend an dem kleinen Salzlager ſchleckten, das wir vor uns auf dem Schooße hatten. Da wandte ich mich an meine Gefährten, die meiner Erinnerung ihren Vor- rath verdankten, mit dem Antrag, unſer Salzmonopol nicht ſelbſtſüchtig auszubeuten, ſondern bedürftigen Nebenmenſchen davon mitzutheilen. Wir hatten die Genugthuung, im ganzen Kreiſe ringsum Heiterkeit zu verbreiten, und machten einige willkommene Bekanntſchaften; die wenigen Meſſerſpitzen Salz hatten eine befreundende Wirkung, die nach dem Sprüchworte ſonſt nur an einem Tiſche gemeinſam verzehrte Scheffel haben ſollen. Seit der Zeit vergeſſe ich den Artikel nicht mehr. Vor und während ſchweren Tagewerks viel zu trin- ken, trägt nicht zur Beförderung der Spannkraft bei, eben- ſowenig iſt aber, namentlich bei großer Sonnenhitze, das entgegengeſetzte Extrem zu rühmen, wie es in Büchern ſo oft geſchieht; denn allerdings ſchwitzt man bei ſtrenger Ent- haltung und ſtoiſcher Ertragung des Durſtes nicht leicht, doch keineswegs zum Vortheil der Haut und des ganzen Körpers, welche hierdurch nur um ſo heißer und unbehaglicher werden, während die Feuchtigkeit kühlend wirkt. Ueberhaupt ſollten

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/103>, abgerufen am 24.11.2024.