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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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Thätigkeit der Gesammt-Mensch an die Stelle des Einzelnen ge-
setzt wird. Das Hirngespinnst der Gemeinschaft ist das Gegen-
stück zum selbstsüchtigen Eigenthumsschlendrian. Jn der Gemein-
schaft sind die Menschen nicht besser, als Austern; sie hangen an
dem Felsen der Brüderschaft ohne Thätigkeit und Empfindung.
Die Dictatur beherrscht Alles. Wenn alle Menschen durchaus
gleich sein sollen, warum lebt dann mehr als Ein Paar? Die
Freiheit macht dieser künstlichen Lehre einen Querstrich. Die Per-
sönlichkeit wird von dem Staatsganzen verschluckt, und die Men-
schen werden zu bloßen Schaupuppen oder Buchdrucker-Abzügen
herabgesetzt, und so ein Elend anderer Art erzeugt. Cabet selbst
fühlte dies, indem er Ausnahmen von der Gemeinschaft gestattete.
Aber die Gemeinschaft widerspricht sich auch in sich selbst. Denn
wenn Jedem nach seinem Bedürfniß, nach den Hülfsmitteln des
Staats sein Antheil gegeben wird, so ist diese Vertheilung selbst
das Aufheben der Gemeinschaft, und das Eintreten der Un-
gleichheit.

Diese Vertheilung, diese Ungleichheit kann von der Gemein-
schaftslehre nicht geläugnet werden; die Saint-Simonisten gehen
also davon aus. Sie wollen das Eigenthum der Lebenden nicht
aufheben; sie wollen nur, besonders nach den späteren Darstellun-
gen der Lehre, daß es nicht auf die Erben übertragen werde.
Der Staat ist also der einzige Erbe alles Eigenthums. Die
Ungleichheit der äußern Güter durch die Geburt wollen die Saint-
Simonisten also nicht zulassen. Die Ungleichheit des Talents,
die doch auch durch die Geburt gegeben ist, erkennen sie aber an,
während Cabet streben muß, sie zu verwischen. Außer dem Talente
ist dann auch noch die Arbeit eine Quelle der Ungleichheit; denn
der Eine arbeitet mehr, der Andere weniger. Saint-Simon stellte
so an die Spitze seiner Lehre den Satz: "Jedem nach seinen
Fähigkeiten, jeder Fähigkeit nach ihren Werken." Dies Hervorhe-
ben der alleinigen Berechtigung der Arbeit ist das ganz Richtige.
Alle Menschen sollen sich ausehen als Arbeiter in Einer gemein-
samen Werkstätte. Die Vereinigung und Vergesellschaftung aller
Menschen und Stände in der Arbeit wurde als der lebendige, in
der Menschheit wohnende Gott angesehen. Wer nicht arbeitet,
wurde als eine Last der Gesellschaft, als der "müßige Eigenthümer"

Thätigkeit der Geſammt-Menſch an die Stelle des Einzelnen ge-
ſetzt wird. Das Hirngeſpinnſt der Gemeinſchaft iſt das Gegen-
ſtück zum ſelbſtſüchtigen Eigenthumsſchlendrian. Jn der Gemein-
ſchaft ſind die Menſchen nicht beſſer, als Auſtern; ſie hangen an
dem Felſen der Brüderſchaft ohne Thätigkeit und Empfindung.
Die Dictatur beherrſcht Alles. Wenn alle Menſchen durchaus
gleich ſein ſollen, warum lebt dann mehr als Ein Paar? Die
Freiheit macht dieſer künſtlichen Lehre einen Querſtrich. Die Per-
ſönlichkeit wird von dem Staatsganzen verſchluckt, und die Men-
ſchen werden zu bloßen Schaupuppen oder Buchdrucker-Abzügen
herabgeſetzt, und ſo ein Elend anderer Art erzeugt. Cabet ſelbſt
fühlte dies, indem er Ausnahmen von der Gemeinſchaft geſtattete.
Aber die Gemeinſchaft widerſpricht ſich auch in ſich ſelbſt. Denn
wenn Jedem nach ſeinem Bedürfniß, nach den Hülfsmitteln des
Staats ſein Antheil gegeben wird, ſo iſt dieſe Vertheilung ſelbſt
das Aufheben der Gemeinſchaft, und das Eintreten der Un-
gleichheit.

Dieſe Vertheilung, dieſe Ungleichheit kann von der Gemein-
ſchaftslehre nicht geläugnet werden; die Saint-Simoniſten gehen
alſo davon aus. Sie wollen das Eigenthum der Lebenden nicht
aufheben; ſie wollen nur, beſonders nach den ſpäteren Darſtellun-
gen der Lehre, daß es nicht auf die Erben übertragen werde.
Der Staat iſt alſo der einzige Erbe alles Eigenthums. Die
Ungleichheit der äußern Güter durch die Geburt wollen die Saint-
Simoniſten alſo nicht zulaſſen. Die Ungleichheit des Talents,
die doch auch durch die Geburt gegeben iſt, erkennen ſie aber an,
während Cabet ſtreben muß, ſie zu verwiſchen. Außer dem Talente
iſt dann auch noch die Arbeit eine Quelle der Ungleichheit; denn
der Eine arbeitet mehr, der Andere weniger. Saint-Simon ſtellte
ſo an die Spitze ſeiner Lehre den Satz: „Jedem nach ſeinen
Fähigkeiten, jeder Fähigkeit nach ihren Werken.‟ Dies Hervorhe-
ben der alleinigen Berechtigung der Arbeit iſt das ganz Richtige.
Alle Menſchen ſollen ſich auſehen als Arbeiter in Einer gemein-
ſamen Werkſtätte. Die Vereinigung und Vergeſellſchaftung aller
Menſchen und Stände in der Arbeit wurde als der lebendige, in
der Menſchheit wohnende Gott angeſehen. Wer nicht arbeitet,
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[71/0081] Thätigkeit der Geſammt-Menſch an die Stelle des Einzelnen ge- ſetzt wird. Das Hirngeſpinnſt der Gemeinſchaft iſt das Gegen- ſtück zum ſelbſtſüchtigen Eigenthumsſchlendrian. Jn der Gemein- ſchaft ſind die Menſchen nicht beſſer, als Auſtern; ſie hangen an dem Felſen der Brüderſchaft ohne Thätigkeit und Empfindung. Die Dictatur beherrſcht Alles. Wenn alle Menſchen durchaus gleich ſein ſollen, warum lebt dann mehr als Ein Paar? Die Freiheit macht dieſer künſtlichen Lehre einen Querſtrich. Die Per- ſönlichkeit wird von dem Staatsganzen verſchluckt, und die Men- ſchen werden zu bloßen Schaupuppen oder Buchdrucker-Abzügen herabgeſetzt, und ſo ein Elend anderer Art erzeugt. Cabet ſelbſt fühlte dies, indem er Ausnahmen von der Gemeinſchaft geſtattete. Aber die Gemeinſchaft widerſpricht ſich auch in ſich ſelbſt. Denn wenn Jedem nach ſeinem Bedürfniß, nach den Hülfsmitteln des Staats ſein Antheil gegeben wird, ſo iſt dieſe Vertheilung ſelbſt das Aufheben der Gemeinſchaft, und das Eintreten der Un- gleichheit. Dieſe Vertheilung, dieſe Ungleichheit kann von der Gemein- ſchaftslehre nicht geläugnet werden; die Saint-Simoniſten gehen alſo davon aus. Sie wollen das Eigenthum der Lebenden nicht aufheben; ſie wollen nur, beſonders nach den ſpäteren Darſtellun- gen der Lehre, daß es nicht auf die Erben übertragen werde. Der Staat iſt alſo der einzige Erbe alles Eigenthums. Die Ungleichheit der äußern Güter durch die Geburt wollen die Saint- Simoniſten alſo nicht zulaſſen. Die Ungleichheit des Talents, die doch auch durch die Geburt gegeben iſt, erkennen ſie aber an, während Cabet ſtreben muß, ſie zu verwiſchen. Außer dem Talente iſt dann auch noch die Arbeit eine Quelle der Ungleichheit; denn der Eine arbeitet mehr, der Andere weniger. Saint-Simon ſtellte ſo an die Spitze ſeiner Lehre den Satz: „Jedem nach ſeinen Fähigkeiten, jeder Fähigkeit nach ihren Werken.‟ Dies Hervorhe- ben der alleinigen Berechtigung der Arbeit iſt das ganz Richtige. Alle Menſchen ſollen ſich auſehen als Arbeiter in Einer gemein- ſamen Werkſtätte. Die Vereinigung und Vergeſellſchaftung aller Menſchen und Stände in der Arbeit wurde als der lebendige, in der Menſchheit wohnende Gott angeſehen. Wer nicht arbeitet, wurde als eine Laſt der Geſellſchaft, als der „müßige Eigenthümer‟

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/81>, abgerufen am 22.11.2024.