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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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innere Absatz Hand in Hand mit dem vermehrten äußern gehen.
Der ungeheure Reichthum Englands ist das schlagendste Beispiel
von diesem, aus der vermehrten Bevölkerung hervorgegangenen
Erfolge.

Aber auch hier schlägt aller Vortheil wieder für den Eigen-
thümer und gegen den Arbeiter aus. Wenn England das reichste
Land ist, so hat es auch das größte Proletariat; die Engländer
arbeiten und fasten am meisten. Das erstaunlichste Ergebniß einer
höhern Bildungsstufe ist das Elend; und durch Bevölkerung und
Ehe wird das Elend nur immer größer. Während die Bevölke-
rung in geometrischer Reihe steigt, steigen die Lebensmittel nur in
arithmetischer; woraus unrettbar der Schluß folgt, daß in jedem
Lande ein Theil der Bevölkerung aus Mangel an Brod stirbt.
Das oben dagegen vorgeschlagene Mittel der Pflanzstädte hält
nur so lange vor, als die Erde noch nicht voll ist. Tritt dieser
Fall ein, wie dann? Das Menschengeschlecht geht so zu Grunde
durch die Bethätigung seiner Lebensfähigkeiten. Liebe und Arbeit
sind die Bedingungen seines Glückes. Aber die Liebe geht zu
schnell, die Arbeit zu langsam. Die Zeugungsglut kann nicht ge-
hemmt werden; und würde sie es, so würde damit auch die Er-
zeugungskraft der Arbeit gehemmt. Denn, wie Homer sagt, "des
Liebeswerkes bedarf die Jugend;" und alle Spannkraft erschlafft,
wenn dieser Trieb gewaltsam zurückgedrängt wird. Gerade beim
Proletarier aber, wie uns auch sein Name andeutet, ist die Zeu-
gungskraft stärker, weil er in Ermangelung der andern Genüsse
des Luxus diesen Naturtrieb am stärksten bei sich erwachen fühlt.
Er kann ihm keine Zerstreuung durch andere Genüsse, wie der
Reiche bieten, der daher auch im Allgemeinen eine weniger zahl-
reiche Nachkommenschaft hat. Dazu kommt, daß der Arme nicht
für die Zukunft sorgen kann, und also in den Tag hinein ge-
nießt, -- Kinder zeugt, wenn er auch nicht die Aussicht hat, sie
ernähren zu können. Sollte die ewige Vernunft sich so bei dem
Menschengeschlecht in eine Sackgasse verrannt haben? Die Mittel
der Abhülfe, welche die Staatswirthschaft vorschlägt, sind unzu-
reichend; Malthus' Vorschlag, den wir schon anführten, nämlich
den Tod als Gegengift gegen das Elend zu gebrauchen, ist frei-
lich das wirksamste Mittel. Aber Niemand wird es wohl ernst-

innere Abſatz Hand in Hand mit dem vermehrten äußern gehen.
Der ungeheure Reichthum Englands iſt das ſchlagendſte Beiſpiel
von dieſem, aus der vermehrten Bevölkerung hervorgegangenen
Erfolge.

Aber auch hier ſchlägt aller Vortheil wieder für den Eigen-
thümer und gegen den Arbeiter aus. Wenn England das reichſte
Land iſt, ſo hat es auch das größte Proletariat; die Engländer
arbeiten und faſten am meiſten. Das erſtaunlichſte Ergebniß einer
höhern Bildungsſtufe iſt das Elend; und durch Bevölkerung und
Ehe wird das Elend nur immer größer. Während die Bevölke-
rung in geometriſcher Reihe ſteigt, ſteigen die Lebensmittel nur in
arithmetiſcher; woraus unrettbar der Schluß folgt, daß in jedem
Lande ein Theil der Bevölkerung aus Mangel an Brod ſtirbt.
Das oben dagegen vorgeſchlagene Mittel der Pflanzſtädte hält
nur ſo lange vor, als die Erde noch nicht voll iſt. Tritt dieſer
Fall ein, wie dann? Das Menſchengeſchlecht geht ſo zu Grunde
durch die Bethätigung ſeiner Lebensfähigkeiten. Liebe und Arbeit
ſind die Bedingungen ſeines Glückes. Aber die Liebe geht zu
ſchnell, die Arbeit zu langſam. Die Zeugungsglut kann nicht ge-
hemmt werden; und würde ſie es, ſo würde damit auch die Er-
zeugungskraft der Arbeit gehemmt. Denn, wie Homer ſagt, „des
Liebeswerkes bedarf die Jugend;‟ und alle Spannkraft erſchlafft,
wenn dieſer Trieb gewaltſam zurückgedrängt wird. Gerade beim
Proletarier aber, wie uns auch ſein Name andeutet, iſt die Zeu-
gungskraft ſtärker, weil er in Ermangelung der andern Genüſſe
des Luxus dieſen Naturtrieb am ſtärkſten bei ſich erwachen fühlt.
Er kann ihm keine Zerſtreuung durch andere Genüſſe, wie der
Reiche bieten, der daher auch im Allgemeinen eine weniger zahl-
reiche Nachkommenſchaft hat. Dazu kommt, daß der Arme nicht
für die Zukunft ſorgen kann, und alſo in den Tag hinein ge-
nießt, — Kinder zeugt, wenn er auch nicht die Ausſicht hat, ſie
ernähren zu können. Sollte die ewige Vernunft ſich ſo bei dem
Menſchengeſchlecht in eine Sackgaſſe verrannt haben? Die Mittel
der Abhülfe, welche die Staatswirthſchaft vorſchlägt, ſind unzu-
reichend; Malthus’ Vorſchlag, den wir ſchon anführten, nämlich
den Tod als Gegengift gegen das Elend zu gebrauchen, iſt frei-
lich das wirkſamſte Mittel. Aber Niemand wird es wohl ernſt-

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[61/0071] innere Abſatz Hand in Hand mit dem vermehrten äußern gehen. Der ungeheure Reichthum Englands iſt das ſchlagendſte Beiſpiel von dieſem, aus der vermehrten Bevölkerung hervorgegangenen Erfolge. Aber auch hier ſchlägt aller Vortheil wieder für den Eigen- thümer und gegen den Arbeiter aus. Wenn England das reichſte Land iſt, ſo hat es auch das größte Proletariat; die Engländer arbeiten und faſten am meiſten. Das erſtaunlichſte Ergebniß einer höhern Bildungsſtufe iſt das Elend; und durch Bevölkerung und Ehe wird das Elend nur immer größer. Während die Bevölke- rung in geometriſcher Reihe ſteigt, ſteigen die Lebensmittel nur in arithmetiſcher; woraus unrettbar der Schluß folgt, daß in jedem Lande ein Theil der Bevölkerung aus Mangel an Brod ſtirbt. Das oben dagegen vorgeſchlagene Mittel der Pflanzſtädte hält nur ſo lange vor, als die Erde noch nicht voll iſt. Tritt dieſer Fall ein, wie dann? Das Menſchengeſchlecht geht ſo zu Grunde durch die Bethätigung ſeiner Lebensfähigkeiten. Liebe und Arbeit ſind die Bedingungen ſeines Glückes. Aber die Liebe geht zu ſchnell, die Arbeit zu langſam. Die Zeugungsglut kann nicht ge- hemmt werden; und würde ſie es, ſo würde damit auch die Er- zeugungskraft der Arbeit gehemmt. Denn, wie Homer ſagt, „des Liebeswerkes bedarf die Jugend;‟ und alle Spannkraft erſchlafft, wenn dieſer Trieb gewaltſam zurückgedrängt wird. Gerade beim Proletarier aber, wie uns auch ſein Name andeutet, iſt die Zeu- gungskraft ſtärker, weil er in Ermangelung der andern Genüſſe des Luxus dieſen Naturtrieb am ſtärkſten bei ſich erwachen fühlt. Er kann ihm keine Zerſtreuung durch andere Genüſſe, wie der Reiche bieten, der daher auch im Allgemeinen eine weniger zahl- reiche Nachkommenſchaft hat. Dazu kommt, daß der Arme nicht für die Zukunft ſorgen kann, und alſo in den Tag hinein ge- nießt, — Kinder zeugt, wenn er auch nicht die Ausſicht hat, ſie ernähren zu können. Sollte die ewige Vernunft ſich ſo bei dem Menſchengeſchlecht in eine Sackgaſſe verrannt haben? Die Mittel der Abhülfe, welche die Staatswirthſchaft vorſchlägt, ſind unzu- reichend; Malthus’ Vorſchlag, den wir ſchon anführten, nämlich den Tod als Gegengift gegen das Elend zu gebrauchen, iſt frei- lich das wirkſamſte Mittel. Aber Niemand wird es wohl ernſt-

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/71>, abgerufen am 24.11.2024.