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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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schiedene Richtung der Ansichten und Wollungen selbst. Es ist
dies die Anforderung, die Marquis Posa bei Schiller an König
Philipp macht:

-- Seinen Sie
Von Millionen Königen ein König;

und Proudhon nennt diesen von ihm beschriebenen Zustand die
geregelte Herrschlosigkeit des wahren Freistaats, wo weder die Frei-
heit der Ordnung unterworfen, noch die Ordnung der Freiheit
aufgeopfert ist. Es ist die Freiheit, die nicht die Tochter der
Ordnung, sondern ihre Mutter ist. Das ist das Glaubensbekennt-
niß der neuen Gesellschaft.

Ueberlassen wir die Ausführung dieses Glaubensbekenntnisses
auf religiösem und staatlichem Gebiete einer andern Gelegenheit,
einer andern Feder, dem Gange ihrer eigenen weltgeschichtlichen
Entwickelung. Diese geistigen Bedürfnisse, wie sehr sie auch auf
Befriedigung dringen, sie haben doch nicht das Mahnende, das
Gebieterische, welches die unmittelbaren leiblichen Bedürfnisse in
sich schließen. Durch den Kampf der Geschichte, durch die immer
höher gesteigerte geistige Bildung der Völker sind diese leiblichen
Bedürfnisse einer großen Anzahl von Menschen aber eben in
Frage gestellt; und ihre Befriedigung herbeizuführen bei der
gegenseitigen Abhängigkeit der Menschen in der bürgerlichen Ge-
sellschaft, das ist nun die Lösung der sogenannten gesellschaftlichen
Frage, welche sich in unsrer Zeit als die dritte neben die reli-
giöse und staatliche hinstellt. Während aber das Wort des Räth-
sels in diesen beiden Fragen gesprochen worden ist, weil die
deutsche Wissenschaft die religiöse, das Staatsleben anderer Völker
die staatliche Frage gelöst haben, und die Verknüpfung des Ein-
zellebens mit dem Allleben für diese Gebiete unzweifelhaft als
der wahre Grundsatz anerkannt wird: so ist das innere Gesetz,
wie in der gesellschaftlichen Frage die Ausgleichung geschehen soll,
noch nicht gefunden. "Es ist der Hebel," sagt Jules le Che-
valier,
"der die Welt bewegt. Aber was sind die Wege, um
dies gesellschaftliche Leben zu verwirklichen?" Die Gründung der
wahren "gesellschaftlichen Persönlichkeit des Menschen"
muß nicht der Umsturz alles Bestehenden sein; sondern an den
vorhandenen Elementen, die sie umbildet, muß immer eine neue

ſchiedene Richtung der Anſichten und Wollungen ſelbſt. Es iſt
dies die Anforderung, die Marquis Poſa bei Schiller an König
Philipp macht:

— Seinen Sie
Von Millionen Königen ein König;

und Proudhon nennt dieſen von ihm beſchriebenen Zuſtand die
geregelte Herrſchloſigkeit des wahren Freiſtaats, wo weder die Frei-
heit der Ordnung unterworfen, noch die Ordnung der Freiheit
aufgeopfert iſt. Es iſt die Freiheit, die nicht die Tochter der
Ordnung, ſondern ihre Mutter iſt. Das iſt das Glaubensbekennt-
niß der neuen Geſellſchaft.

Ueberlaſſen wir die Ausführung dieſes Glaubensbekenntniſſes
auf religiöſem und ſtaatlichem Gebiete einer andern Gelegenheit,
einer andern Feder, dem Gange ihrer eigenen weltgeſchichtlichen
Entwickelung. Dieſe geiſtigen Bedürfniſſe, wie ſehr ſie auch auf
Befriedigung dringen, ſie haben doch nicht das Mahnende, das
Gebieteriſche, welches die unmittelbaren leiblichen Bedürfniſſe in
ſich ſchließen. Durch den Kampf der Geſchichte, durch die immer
höher geſteigerte geiſtige Bildung der Völker ſind dieſe leiblichen
Bedürfniſſe einer großen Anzahl von Menſchen aber eben in
Frage geſtellt; und ihre Befriedigung herbeizuführen bei der
gegenſeitigen Abhängigkeit der Menſchen in der bürgerlichen Ge-
ſellſchaft, das iſt nun die Löſung der ſogenannten geſellſchaftlichen
Frage, welche ſich in unſrer Zeit als die dritte neben die reli-
giöſe und ſtaatliche hinſtellt. Während aber das Wort des Räth-
ſels in dieſen beiden Fragen geſprochen worden iſt, weil die
deutſche Wiſſenſchaft die religiöſe, das Staatsleben anderer Völker
die ſtaatliche Frage gelöſt haben, und die Verknüpfung des Ein-
zellebens mit dem Allleben für dieſe Gebiete unzweifelhaft als
der wahre Grundſatz anerkannt wird: ſo iſt das innere Geſetz,
wie in der geſellſchaftlichen Frage die Ausgleichung geſchehen ſoll,
noch nicht gefunden. „Es iſt der Hebel,‟ ſagt Jules le Che-
valier,
„der die Welt bewegt. Aber was ſind die Wege, um
dies geſellſchaftliche Leben zu verwirklichen?‟ Die Gründung der
wahren „geſellſchaftlichen Perſönlichkeit des Menſchen‟
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[40/0050] ſchiedene Richtung der Anſichten und Wollungen ſelbſt. Es iſt dies die Anforderung, die Marquis Poſa bei Schiller an König Philipp macht: — Seinen Sie Von Millionen Königen ein König; und Proudhon nennt dieſen von ihm beſchriebenen Zuſtand die geregelte Herrſchloſigkeit des wahren Freiſtaats, wo weder die Frei- heit der Ordnung unterworfen, noch die Ordnung der Freiheit aufgeopfert iſt. Es iſt die Freiheit, die nicht die Tochter der Ordnung, ſondern ihre Mutter iſt. Das iſt das Glaubensbekennt- niß der neuen Geſellſchaft. Ueberlaſſen wir die Ausführung dieſes Glaubensbekenntniſſes auf religiöſem und ſtaatlichem Gebiete einer andern Gelegenheit, einer andern Feder, dem Gange ihrer eigenen weltgeſchichtlichen Entwickelung. Dieſe geiſtigen Bedürfniſſe, wie ſehr ſie auch auf Befriedigung dringen, ſie haben doch nicht das Mahnende, das Gebieteriſche, welches die unmittelbaren leiblichen Bedürfniſſe in ſich ſchließen. Durch den Kampf der Geſchichte, durch die immer höher geſteigerte geiſtige Bildung der Völker ſind dieſe leiblichen Bedürfniſſe einer großen Anzahl von Menſchen aber eben in Frage geſtellt; und ihre Befriedigung herbeizuführen bei der gegenſeitigen Abhängigkeit der Menſchen in der bürgerlichen Ge- ſellſchaft, das iſt nun die Löſung der ſogenannten geſellſchaftlichen Frage, welche ſich in unſrer Zeit als die dritte neben die reli- giöſe und ſtaatliche hinſtellt. Während aber das Wort des Räth- ſels in dieſen beiden Fragen geſprochen worden iſt, weil die deutſche Wiſſenſchaft die religiöſe, das Staatsleben anderer Völker die ſtaatliche Frage gelöſt haben, und die Verknüpfung des Ein- zellebens mit dem Allleben für dieſe Gebiete unzweifelhaft als der wahre Grundſatz anerkannt wird: ſo iſt das innere Geſetz, wie in der geſellſchaftlichen Frage die Ausgleichung geſchehen ſoll, noch nicht gefunden. „Es iſt der Hebel,‟ ſagt Jules le Che- valier, „der die Welt bewegt. Aber was ſind die Wege, um dies geſellſchaftliche Leben zu verwirklichen?‟ Die Gründung der wahren „geſellſchaftlichen Perſönlichkeit des Menſchen‟ muß nicht der Umſturz alles Beſtehenden ſein; ſondern an den vorhandenen Elementen, die ſie umbildet, muß immer eine neue

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/50>, abgerufen am 23.11.2024.