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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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bung dieses ganzen Artikels auch die seines Zwischensatzes einen
Sinn haben sollte, so wäre eben aufgehoben, daß die Verfassungs-
urkunde Ausnahmegerichte für zulässig erklären könne. Statt jenes
110. Artikels hat die Belgische Verfassung übrigens den 130.:
"Die Staatsverfassung kann weder ganz noch theilweise aufgeho-
ben werden." Und in der That, ohne diesen Paragraphen ist die
schönste Verfassung ein werthloses Stück Papier. Und ein solches
schiebt nun die Verwaltung selbst zwischen Volk und Krone, statt
abzuwarten, wie es naturwüchsig zwischen Beiden sich bilden werde.

Wir wissen zwar, daß das Steuerbewilligungsrecht nicht nur
vom Könige verheißen, sondern sogar schon im Gesetze vom 6. April
festgestellt worden ist. Die Artikel 98. und 99. stellen es auch
außer allem Zweifel. Die Worte des letztern lauten: "Steuern
und Abgaben für die Staatskasse dürfen nur, insoweit sie in den
Staatshaushalt aufgenommen oder durch besondere Gesetze
angeordnet sind, erhoben werden." Diese Gesetze sind im Zusam-
menhang solche, welche die Versammlung nicht beim Staatshaus-
halt, sondern im Laufe der ganzen Sitzung besonders beräth.
Nun lese man aber den Artikel 108., der unter den "allgemeinen,"
nicht den "Uebergangs-Bestimmungen" steht: "Die bestehenden
Steuern und Abgaben werden fort erhoben, und alle Bestimmun-
gen der bestehenden Gesetzbücher, einzelnen Gesetze und Verordnun-
gen, welche der gegenwärtigen Verfassung nicht zuwider laufen,
bleiben in Kraft, bis sie durch ein Gesetz abgeändert werden."
Wir haben diesen Artikel schon so auslegen hören, daß die Ge-
setzgebung hiernach nicht das Recht der Steuer-Bewilligung über-
haupt, sondern, wie der Vereinigte Landtag, nur neuer Steuern
und Anleihen habe. Wir wissen wohl, daß diese Auslegung un-
möglich ist. Aber eine amtliche Erklärung, wie in einem ähn-
lichen Falle Herr v. Bodelschwingh sie über die Darlehen, wo-
für das gesammte Staatsvermögen hafte, so bereitwillig gab,
wäre doch sehr wünschenswerth. Um so mehr, da wir noch eine
andere Auslegung vernahmen; wonach der Sinn blos sein soll,
daß das neue Steuersystem, welches der jetzigen Volksvertretung
"zur Berathung" vorgelegt werden soll, nur auf dem Wege der
Gesetzgebung geändert werden darf. Und einen andern Sinn
können die Worte nicht haben.

bung dieſes ganzen Artikels auch die ſeines Zwiſchenſatzes einen
Sinn haben ſollte, ſo wäre eben aufgehoben, daß die Verfaſſungs-
urkunde Ausnahmegerichte für zuläſſig erklären könne. Statt jenes
110. Artikels hat die Belgiſche Verfaſſung übrigens den 130.:
„Die Staatsverfaſſung kann weder ganz noch theilweiſe aufgeho-
ben werden.‟ Und in der That, ohne dieſen Paragraphen iſt die
ſchönſte Verfaſſung ein werthloſes Stück Papier. Und ein ſolches
ſchiebt nun die Verwaltung ſelbſt zwiſchen Volk und Krone, ſtatt
abzuwarten, wie es naturwüchſig zwiſchen Beiden ſich bilden werde.

Wir wiſſen zwar, daß das Steuerbewilligungsrecht nicht nur
vom Könige verheißen, ſondern ſogar ſchon im Geſetze vom 6. April
feſtgeſtellt worden iſt. Die Artikel 98. und 99. ſtellen es auch
außer allem Zweifel. Die Worte des letztern lauten: „Steuern
und Abgaben für die Staatskaſſe dürfen nur, inſoweit ſie in den
Staatshaushalt aufgenommen oder durch beſondere Geſetze
angeordnet ſind, erhoben werden.‟ Dieſe Geſetze ſind im Zuſam-
menhang ſolche, welche die Verſammlung nicht beim Staatshaus-
halt, ſondern im Laufe der ganzen Sitzung beſonders beräth.
Nun leſe man aber den Artikel 108., der unter den „allgemeinen,‟
nicht den „Uebergangs-Beſtimmungen‟ ſteht: „Die beſtehenden
Steuern und Abgaben werden fort erhoben, und alle Beſtimmun-
gen der beſtehenden Geſetzbücher, einzelnen Geſetze und Verordnun-
gen, welche der gegenwärtigen Verfaſſung nicht zuwider laufen,
bleiben in Kraft, bis ſie durch ein Geſetz abgeändert werden.‟
Wir haben dieſen Artikel ſchon ſo auslegen hören, daß die Ge-
ſetzgebung hiernach nicht das Recht der Steuer-Bewilligung über-
haupt, ſondern, wie der Vereinigte Landtag, nur neuer Steuern
und Anleihen habe. Wir wiſſen wohl, daß dieſe Auslegung un-
möglich iſt. Aber eine amtliche Erklärung, wie in einem ähn-
lichen Falle Herr v. Bodelſchwingh ſie über die Darlehen, wo-
für das geſammte Staatsvermögen hafte, ſo bereitwillig gab,
wäre doch ſehr wünſchenswerth. Um ſo mehr, da wir noch eine
andere Auslegung vernahmen; wonach der Sinn blos ſein ſoll,
daß das neue Steuerſyſtem, welches der jetzigen Volksvertretung
„zur Berathung‟ vorgelegt werden ſoll, nur auf dem Wege der
Geſetzgebung geändert werden darf. Und einen andern Sinn
können die Worte nicht haben.

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[24/0034] bung dieſes ganzen Artikels auch die ſeines Zwiſchenſatzes einen Sinn haben ſollte, ſo wäre eben aufgehoben, daß die Verfaſſungs- urkunde Ausnahmegerichte für zuläſſig erklären könne. Statt jenes 110. Artikels hat die Belgiſche Verfaſſung übrigens den 130.: „Die Staatsverfaſſung kann weder ganz noch theilweiſe aufgeho- ben werden.‟ Und in der That, ohne dieſen Paragraphen iſt die ſchönſte Verfaſſung ein werthloſes Stück Papier. Und ein ſolches ſchiebt nun die Verwaltung ſelbſt zwiſchen Volk und Krone, ſtatt abzuwarten, wie es naturwüchſig zwiſchen Beiden ſich bilden werde. Wir wiſſen zwar, daß das Steuerbewilligungsrecht nicht nur vom Könige verheißen, ſondern ſogar ſchon im Geſetze vom 6. April feſtgeſtellt worden iſt. Die Artikel 98. und 99. ſtellen es auch außer allem Zweifel. Die Worte des letztern lauten: „Steuern und Abgaben für die Staatskaſſe dürfen nur, inſoweit ſie in den Staatshaushalt aufgenommen oder durch beſondere Geſetze angeordnet ſind, erhoben werden.‟ Dieſe Geſetze ſind im Zuſam- menhang ſolche, welche die Verſammlung nicht beim Staatshaus- halt, ſondern im Laufe der ganzen Sitzung beſonders beräth. Nun leſe man aber den Artikel 108., der unter den „allgemeinen,‟ nicht den „Uebergangs-Beſtimmungen‟ ſteht: „Die beſtehenden Steuern und Abgaben werden fort erhoben, und alle Beſtimmun- gen der beſtehenden Geſetzbücher, einzelnen Geſetze und Verordnun- gen, welche der gegenwärtigen Verfaſſung nicht zuwider laufen, bleiben in Kraft, bis ſie durch ein Geſetz abgeändert werden.‟ Wir haben dieſen Artikel ſchon ſo auslegen hören, daß die Ge- ſetzgebung hiernach nicht das Recht der Steuer-Bewilligung über- haupt, ſondern, wie der Vereinigte Landtag, nur neuer Steuern und Anleihen habe. Wir wiſſen wohl, daß dieſe Auslegung un- möglich iſt. Aber eine amtliche Erklärung, wie in einem ähn- lichen Falle Herr v. Bodelſchwingh ſie über die Darlehen, wo- für das geſammte Staatsvermögen hafte, ſo bereitwillig gab, wäre doch ſehr wünſchenswerth. Um ſo mehr, da wir noch eine andere Auslegung vernahmen; wonach der Sinn blos ſein ſoll, daß das neue Steuerſyſtem, welches der jetzigen Volksvertretung „zur Berathung‟ vorgelegt werden ſoll, nur auf dem Wege der Geſetzgebung geändert werden darf. Und einen andern Sinn können die Worte nicht haben.

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/34>, abgerufen am 25.11.2024.