Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.Wenn die Volksvertretung aber gar nichts mit der Verwal- Als nach vierwöchentlichem Warten die Minister endlich am Wenn die Volksvertretung aber gar nichts mit der Verwal- Als nach vierwöchentlichem Warten die Miniſter endlich am <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0020" n="10"/> Wenn die Volksvertretung aber gar nichts mit der Verwal-<lb/> tung und Ausübung zu thun haben ſoll, ſo müßte die aus-<lb/> übende Gewalt auch nichts mit der Geſetzgebung zu thun haben;<lb/> dann fällt ein, wenn auch nur zeitweiſes, Geſetzverweigerungsrecht<lb/> der ausübenden Gewalt fort, wie es auch in England und ſelbſt<lb/> Frankreich vor der Februar-Umwälzung der That nach nicht vor-<lb/> handen war. Erwiedert die Rückſchrittspartei darauf, das ſei der<lb/> Freiſtaat: nun gut, ſo wollen wir beim verfaſſungsmäßigen Grund-<lb/> ſatz bleiben, daß die Trennung der Gewalten nicht die Theilung<lb/> derſelben ausſchließe. Wenn die Krone der Geſetzgebung ein<lb/> Geſetzverweigerungsrecht entgegenſetzt, ſo hat die Volksvertretung<lb/> daſſelbe Recht der Verweigerung, der Verwaltung gegenüber.<lb/> Fällt dieſe nicht im Geiſte der Volksvertretung aus, ſo verweigert<lb/> dieſelbe dem Miniſterium die Zuſtimmung der Mehrheit und als<lb/> letztes Mittel die Steuern. Dann kann ein unvolksthümliches<lb/> Miniſterium nicht weiter verwalten und muß abtreten. Das ver-<lb/> faſſungsmäßige Königthum wird damit freilich zu einem bloßen<lb/> Syſtem von Hemmſchuhen. Ohne dieſe Befugniß der Volksver-<lb/> treter iſt aber keine Volksfreiheit, und das unumſchränkte Herr-<lb/> ſcherthum geblieben. Hat die Verſammlung nun mit dem Stein-<lb/> ſchen Antrage einen Uebergriff gethan? Einen Formfehler aller-<lb/> dings können wir darin erblicken, daß ſie unmittelbar eine That<lb/> forderte, die ſie mittelbar durch Entziehung der Mehrheit erzwingen<lb/> konnte. Man kann dies der Neuheit der Verhältniſſe, ſo wie<lb/> der außerordentlichen Lage einer Verfaſſungsgründenden Verſamm-<lb/> lung, mit der ſich die Krone eben wegen Abgrenzung der gegen-<lb/> ſeitigen Rechte erſt zu vereinbaren hatte, zu gute halten.</p><lb/> <p>Als nach vierwöchentlichem Warten die Miniſter endlich am<lb/> 4. September erklärten, ſie könnten den Stein’ſchen Beſchluß nicht<lb/> ausführen, entſchied die Volksvertretung am 7. September mit<lb/> der großen Mehrheit von 219. gegen 152. Stimmen, daß die Mi-<lb/> niſter den Stein’ſchen Antrag in ſeinem ganzen Umfange aus-<lb/> zuführen hätten. Hiermit ſcheint, wie jetzt erhellt, der Bruch voll-<lb/> ſtändig geworden zu ſein. Die Miniſter forderten am 9. ihren<lb/> Abſchied, indem ſie den verfaſſungsmäßigen Grundſatz noch aner-<lb/> kannten, daß ein Miniſterium vor dem Mistrauens-Beſchluß der<lb/> Volksvertreter abtreten müſſe; zugleich aber ließ der Vorſitzende<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [10/0020]
Wenn die Volksvertretung aber gar nichts mit der Verwal-
tung und Ausübung zu thun haben ſoll, ſo müßte die aus-
übende Gewalt auch nichts mit der Geſetzgebung zu thun haben;
dann fällt ein, wenn auch nur zeitweiſes, Geſetzverweigerungsrecht
der ausübenden Gewalt fort, wie es auch in England und ſelbſt
Frankreich vor der Februar-Umwälzung der That nach nicht vor-
handen war. Erwiedert die Rückſchrittspartei darauf, das ſei der
Freiſtaat: nun gut, ſo wollen wir beim verfaſſungsmäßigen Grund-
ſatz bleiben, daß die Trennung der Gewalten nicht die Theilung
derſelben ausſchließe. Wenn die Krone der Geſetzgebung ein
Geſetzverweigerungsrecht entgegenſetzt, ſo hat die Volksvertretung
daſſelbe Recht der Verweigerung, der Verwaltung gegenüber.
Fällt dieſe nicht im Geiſte der Volksvertretung aus, ſo verweigert
dieſelbe dem Miniſterium die Zuſtimmung der Mehrheit und als
letztes Mittel die Steuern. Dann kann ein unvolksthümliches
Miniſterium nicht weiter verwalten und muß abtreten. Das ver-
faſſungsmäßige Königthum wird damit freilich zu einem bloßen
Syſtem von Hemmſchuhen. Ohne dieſe Befugniß der Volksver-
treter iſt aber keine Volksfreiheit, und das unumſchränkte Herr-
ſcherthum geblieben. Hat die Verſammlung nun mit dem Stein-
ſchen Antrage einen Uebergriff gethan? Einen Formfehler aller-
dings können wir darin erblicken, daß ſie unmittelbar eine That
forderte, die ſie mittelbar durch Entziehung der Mehrheit erzwingen
konnte. Man kann dies der Neuheit der Verhältniſſe, ſo wie
der außerordentlichen Lage einer Verfaſſungsgründenden Verſamm-
lung, mit der ſich die Krone eben wegen Abgrenzung der gegen-
ſeitigen Rechte erſt zu vereinbaren hatte, zu gute halten.
Als nach vierwöchentlichem Warten die Miniſter endlich am
4. September erklärten, ſie könnten den Stein’ſchen Beſchluß nicht
ausführen, entſchied die Volksvertretung am 7. September mit
der großen Mehrheit von 219. gegen 152. Stimmen, daß die Mi-
niſter den Stein’ſchen Antrag in ſeinem ganzen Umfange aus-
zuführen hätten. Hiermit ſcheint, wie jetzt erhellt, der Bruch voll-
ſtändig geworden zu ſein. Die Miniſter forderten am 9. ihren
Abſchied, indem ſie den verfaſſungsmäßigen Grundſatz noch aner-
kannten, daß ein Miniſterium vor dem Mistrauens-Beſchluß der
Volksvertreter abtreten müſſe; zugleich aber ließ der Vorſitzende
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