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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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lichen Unterricht auch sogleich den gewerblichen, den die
französische Verfassung sehr richtig fordert. Die Erziehung muß
zugleich eine staatliche und gesellschaftliche sein, den ganzen Cha-
rakter bilden, und den gemeinsamen Grund alles Berufs legen.
Jm Landbau und in Kunstfertigkeiten muß die Jugend früh geübt
und auf die Erwerbung der Lebensklugheit hingeführt werden, --
wenn wir auch nicht an die Ausdehnung einer Goethe'schen Er-
ziehungs-Provinz denken wollen. Zu Palmyra in Amerika be-
sitzen die Schüler Land und verdienen ihre Erziehungs-Kosten.
Jn der Stadt Columbia findet ein gänzliches Zusammenwohnen
der Schüler und Lehrer Statt. Es muß kein Schulgeld bezahlt
werden. Sondern die Gemeinde bringt die Kosten durch Zusätze
zur allgemeinen Einkommensteuer auf und zur Aushülfe der Ge-
meinde der höhere staatliche Verband.

Der mittlere Unterricht auf Gymnasien, wo die ge-
lehrtere Bildung eintritt, muß nicht so abgeschieden werden von
dem weiteren gewerblichen Unterricht in landwirthschaftlichen
Anstalten, Gewerbeschulen, Handelsschulen
u. s. w.
Eine Prüfung giebt dem Knaben Eintritt in diese zweite Stufe
des Unterrichts. Wer sie nicht besteht, ergreift einen Stand, der aus-
gefüllt werden kann, auch ohne in jene Stufe eingetreten zu sein.
Es versteht sich, daß auch hier der freie Unterricht in der Familie
nicht ausgeschlossen sein soll. Der mittlere Unterricht steht unter
den Kreis- und Provinzial-Räthen, und die Kosten werden durch
deren Steuern aufgebracht.

Endlich der höhere Unterricht, auch durch eine Prüfung
zugänglich, tritt in den Hochschulen ein, deren Kosten der Bund
trägt, welcher wiederum nur im Unvermögensfalle auch für die
Kreis- und Provinzial-Anstalten sorgt. Die Gliederung und
Neugestaltung der Hochschulen, deren sie so sehr bedürfen, wird der
besondere Gegenstand eines zweiten Heftes Zur Unterrichtsfrage sein.

Die Erziehung und der Unterricht hört nicht mit der Schule
auf. Auch die Erwachsenen, bis auf den geringsten Arbeiter,
müssen noch gebildet werden. Hierher gehören Sonntagsschu-
len für Lehrlinge, Ausbildungsschulen für Handwer-
ker,
wie sie in Frankreich und Belgien schon vielfach bestehen.
Jm "Conservatorium der Künste und Handwerke zu Paris er-

lichen Unterricht auch ſogleich den gewerblichen, den die
franzöſiſche Verfaſſung ſehr richtig fordert. Die Erziehung muß
zugleich eine ſtaatliche und geſellſchaftliche ſein, den ganzen Cha-
rakter bilden, und den gemeinſamen Grund alles Berufs legen.
Jm Landbau und in Kunſtfertigkeiten muß die Jugend früh geübt
und auf die Erwerbung der Lebensklugheit hingeführt werden, —
wenn wir auch nicht an die Ausdehnung einer Goethe’ſchen Er-
ziehungs-Provinz denken wollen. Zu Palmyra in Amerika be-
ſitzen die Schüler Land und verdienen ihre Erziehungs-Koſten.
Jn der Stadt Columbia findet ein gänzliches Zuſammenwohnen
der Schüler und Lehrer Statt. Es muß kein Schulgeld bezahlt
werden. Sondern die Gemeinde bringt die Koſten durch Zuſätze
zur allgemeinen Einkommenſteuer auf und zur Aushülfe der Ge-
meinde der höhere ſtaatliche Verband.

Der mittlere Unterricht auf Gymnaſien, wo die ge-
lehrtere Bildung eintritt, muß nicht ſo abgeſchieden werden von
dem weiteren gewerblichen Unterricht in landwirthſchaftlichen
Anſtalten, Gewerbeſchulen, Handelsſchulen
u. ſ. w.
Eine Prüfung giebt dem Knaben Eintritt in dieſe zweite Stufe
des Unterrichts. Wer ſie nicht beſteht, ergreift einen Stand, der aus-
gefüllt werden kann, auch ohne in jene Stufe eingetreten zu ſein.
Es verſteht ſich, daß auch hier der freie Unterricht in der Familie
nicht ausgeſchloſſen ſein ſoll. Der mittlere Unterricht ſteht unter
den Kreis- und Provinzial-Räthen, und die Koſten werden durch
deren Steuern aufgebracht.

Endlich der höhere Unterricht, auch durch eine Prüfung
zugänglich, tritt in den Hochſchulen ein, deren Koſten der Bund
trägt, welcher wiederum nur im Unvermögensfalle auch für die
Kreis- und Provinzial-Anſtalten ſorgt. Die Gliederung und
Neugeſtaltung der Hochſchulen, deren ſie ſo ſehr bedürfen, wird der
beſondere Gegenſtand eines zweiten Heftes Zur Unterrichtsfrage ſein.

Die Erziehung und der Unterricht hört nicht mit der Schule
auf. Auch die Erwachſenen, bis auf den geringſten Arbeiter,
müſſen noch gebildet werden. Hierher gehören Sonntagsſchu-
len für Lehrlinge, Ausbildungsſchulen für Handwer-
ker,
wie ſie in Frankreich und Belgien ſchon vielfach beſtehen.
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[120/0130] lichen Unterricht auch ſogleich den gewerblichen, den die franzöſiſche Verfaſſung ſehr richtig fordert. Die Erziehung muß zugleich eine ſtaatliche und geſellſchaftliche ſein, den ganzen Cha- rakter bilden, und den gemeinſamen Grund alles Berufs legen. Jm Landbau und in Kunſtfertigkeiten muß die Jugend früh geübt und auf die Erwerbung der Lebensklugheit hingeführt werden, — wenn wir auch nicht an die Ausdehnung einer Goethe’ſchen Er- ziehungs-Provinz denken wollen. Zu Palmyra in Amerika be- ſitzen die Schüler Land und verdienen ihre Erziehungs-Koſten. Jn der Stadt Columbia findet ein gänzliches Zuſammenwohnen der Schüler und Lehrer Statt. Es muß kein Schulgeld bezahlt werden. Sondern die Gemeinde bringt die Koſten durch Zuſätze zur allgemeinen Einkommenſteuer auf und zur Aushülfe der Ge- meinde der höhere ſtaatliche Verband. Der mittlere Unterricht auf Gymnaſien, wo die ge- lehrtere Bildung eintritt, muß nicht ſo abgeſchieden werden von dem weiteren gewerblichen Unterricht in landwirthſchaftlichen Anſtalten, Gewerbeſchulen, Handelsſchulen u. ſ. w. Eine Prüfung giebt dem Knaben Eintritt in dieſe zweite Stufe des Unterrichts. Wer ſie nicht beſteht, ergreift einen Stand, der aus- gefüllt werden kann, auch ohne in jene Stufe eingetreten zu ſein. Es verſteht ſich, daß auch hier der freie Unterricht in der Familie nicht ausgeſchloſſen ſein ſoll. Der mittlere Unterricht ſteht unter den Kreis- und Provinzial-Räthen, und die Koſten werden durch deren Steuern aufgebracht. Endlich der höhere Unterricht, auch durch eine Prüfung zugänglich, tritt in den Hochſchulen ein, deren Koſten der Bund trägt, welcher wiederum nur im Unvermögensfalle auch für die Kreis- und Provinzial-Anſtalten ſorgt. Die Gliederung und Neugeſtaltung der Hochſchulen, deren ſie ſo ſehr bedürfen, wird der beſondere Gegenſtand eines zweiten Heftes Zur Unterrichtsfrage ſein. Die Erziehung und der Unterricht hört nicht mit der Schule auf. Auch die Erwachſenen, bis auf den geringſten Arbeiter, müſſen noch gebildet werden. Hierher gehören Sonntagsſchu- len für Lehrlinge, Ausbildungsſchulen für Handwer- ker, wie ſie in Frankreich und Belgien ſchon vielfach beſtehen. Jm „Conſervatorium der Künſte und Handwerke zu Paris er-

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/130>, abgerufen am 23.11.2024.