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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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Heraussetzung des Geistes, sein Leben ausgeben, aufopfern, ster-
ben; sie hat ihren Ausdruck und ihr Maaß in den Werken. Je
mehr wir also arbeiten, je eher sterben wir auch; und die höhere
Bildung ist auch von einer Verkürzung des menschlichen Lebens-
alters begleitet.

Durch diese Veredelung und Vergeistigung der Arbeit,
welche mit steigender Bildung eintritt, wird die Gewalt der Sinn-
lichkeit im Menschen gebrochen. Durch die Gewalt der Vernunft
und der Freiheit soll die Arbeit auf die Liebe einwirken. Jn der
Arbeit, wie in der Liebe, wird das Herz gewonnen durch den Be-
sitz, die Sinne dagegen fühlen sich abgestoßen. Dieser Gegensatz
des Natürlichen und Geistigen im Menschen, in der Ausübung
seiner gewerblichen und Zeugungs-Fähigkeiten, ist der Hersteller
des Gleichgewichts der gesellschaftlichen Maschine. Die Eigen-
thümlichkeit in der Arbeit ist ein Gipfelpunkt. Ebenso bestimmt
und verpersönlicht sich die Liebe durch die Ehe: und ebenso soll sie,
durch die Läuterung der Empfindungen, durch die Verehrung des
Gegenstandes, dem der Mensch sein Dasein gewidmet hat, über
den Materialismus der Liebe triumphiren. Die Kunst, d. h. das
Suchen des Schönen, die Vollkommenheit des Wahren,
in seiner Person, in seiner Frau, in seinen Kindern, in seinen
Gedanken, Worten, Handlungen, Werken, -- das ist die letzte
Entwickelung des Arbeiters, die dazu bestimmt ist, glorreich den
Kreis der Natur zu schließen. Die Wissenschaft des Schönen
und mit ihr die Sittlichkeit, das ist der Schlußstein des volks-
wirthschaftlichen Gebäudes. Statt das Geisterreich jenseits zu
suchen, und gegen die Nothwendigkeit des Elends nur eine Hülfe
in der Hoffnung auf ein anderes Leben zu finden, muß in die-
sem das Jenseits anbrechen, und die Verklärung der Arbeit
zur sittlichen Schönheit den Himmel im irdischen Dies-
seits finden lassen.
So ist die Nothwendigkeit des Elends
nur eine bedingte, etwas beziehungsweise Nothwendiges, so lange
die gesellschaftlichen Einrichtungen nicht durch die Lösung der ge-
sellschaftlichen Frage verändert worden.

Alles, was den Menschen rührt und fesselt, wird für ihn
Kunststoff. Er setzt es zusammen, bearbeitet es, bis er durch den
Zauber der Arbeit den Stoff, so zu sagen, von allem, was er

Herausſetzung des Geiſtes, ſein Leben ausgeben, aufopfern, ſter-
ben; ſie hat ihren Ausdruck und ihr Maaß in den Werken. Je
mehr wir alſo arbeiten, je eher ſterben wir auch; und die höhere
Bildung iſt auch von einer Verkürzung des menſchlichen Lebens-
alters begleitet.

Durch dieſe Veredelung und Vergeiſtigung der Arbeit,
welche mit ſteigender Bildung eintritt, wird die Gewalt der Sinn-
lichkeit im Menſchen gebrochen. Durch die Gewalt der Vernunft
und der Freiheit ſoll die Arbeit auf die Liebe einwirken. Jn der
Arbeit, wie in der Liebe, wird das Herz gewonnen durch den Be-
ſitz, die Sinne dagegen fühlen ſich abgeſtoßen. Dieſer Gegenſatz
des Natürlichen und Geiſtigen im Menſchen, in der Ausübung
ſeiner gewerblichen und Zeugungs-Fähigkeiten, iſt der Herſteller
des Gleichgewichts der geſellſchaftlichen Maſchine. Die Eigen-
thümlichkeit in der Arbeit iſt ein Gipfelpunkt. Ebenſo beſtimmt
und verperſönlicht ſich die Liebe durch die Ehe: und ebenſo ſoll ſie,
durch die Läuterung der Empfindungen, durch die Verehrung des
Gegenſtandes, dem der Menſch ſein Daſein gewidmet hat, über
den Materialismus der Liebe triumphiren. Die Kunſt, d. h. das
Suchen des Schönen, die Vollkommenheit des Wahren,
in ſeiner Perſon, in ſeiner Frau, in ſeinen Kindern, in ſeinen
Gedanken, Worten, Handlungen, Werken, — das iſt die letzte
Entwickelung des Arbeiters, die dazu beſtimmt iſt, glorreich den
Kreis der Natur zu ſchließen. Die Wiſſenſchaft des Schönen
und mit ihr die Sittlichkeit, das iſt der Schlußſtein des volks-
wirthſchaftlichen Gebäudes. Statt das Geiſterreich jenſeits zu
ſuchen, und gegen die Nothwendigkeit des Elends nur eine Hülfe
in der Hoffnung auf ein anderes Leben zu finden, muß in die-
ſem das Jenſeits anbrechen, und die Verklärung der Arbeit
zur ſittlichen Schönheit den Himmel im irdiſchen Dies-
ſeits finden laſſen.
So iſt die Nothwendigkeit des Elends
nur eine bedingte, etwas beziehungsweiſe Nothwendiges, ſo lange
die geſellſchaftlichen Einrichtungen nicht durch die Löſung der ge-
ſellſchaftlichen Frage verändert worden.

Alles, was den Menſchen rührt und feſſelt, wird für ihn
Kunſtſtoff. Er ſetzt es zuſammen, bearbeitet es, bis er durch den
Zauber der Arbeit den Stoff, ſo zu ſagen, von allem, was er

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[116/0126] Herausſetzung des Geiſtes, ſein Leben ausgeben, aufopfern, ſter- ben; ſie hat ihren Ausdruck und ihr Maaß in den Werken. Je mehr wir alſo arbeiten, je eher ſterben wir auch; und die höhere Bildung iſt auch von einer Verkürzung des menſchlichen Lebens- alters begleitet. Durch dieſe Veredelung und Vergeiſtigung der Arbeit, welche mit ſteigender Bildung eintritt, wird die Gewalt der Sinn- lichkeit im Menſchen gebrochen. Durch die Gewalt der Vernunft und der Freiheit ſoll die Arbeit auf die Liebe einwirken. Jn der Arbeit, wie in der Liebe, wird das Herz gewonnen durch den Be- ſitz, die Sinne dagegen fühlen ſich abgeſtoßen. Dieſer Gegenſatz des Natürlichen und Geiſtigen im Menſchen, in der Ausübung ſeiner gewerblichen und Zeugungs-Fähigkeiten, iſt der Herſteller des Gleichgewichts der geſellſchaftlichen Maſchine. Die Eigen- thümlichkeit in der Arbeit iſt ein Gipfelpunkt. Ebenſo beſtimmt und verperſönlicht ſich die Liebe durch die Ehe: und ebenſo ſoll ſie, durch die Läuterung der Empfindungen, durch die Verehrung des Gegenſtandes, dem der Menſch ſein Daſein gewidmet hat, über den Materialismus der Liebe triumphiren. Die Kunſt, d. h. das Suchen des Schönen, die Vollkommenheit des Wahren, in ſeiner Perſon, in ſeiner Frau, in ſeinen Kindern, in ſeinen Gedanken, Worten, Handlungen, Werken, — das iſt die letzte Entwickelung des Arbeiters, die dazu beſtimmt iſt, glorreich den Kreis der Natur zu ſchließen. Die Wiſſenſchaft des Schönen und mit ihr die Sittlichkeit, das iſt der Schlußſtein des volks- wirthſchaftlichen Gebäudes. Statt das Geiſterreich jenſeits zu ſuchen, und gegen die Nothwendigkeit des Elends nur eine Hülfe in der Hoffnung auf ein anderes Leben zu finden, muß in die- ſem das Jenſeits anbrechen, und die Verklärung der Arbeit zur ſittlichen Schönheit den Himmel im irdiſchen Dies- ſeits finden laſſen. So iſt die Nothwendigkeit des Elends nur eine bedingte, etwas beziehungsweiſe Nothwendiges, ſo lange die geſellſchaftlichen Einrichtungen nicht durch die Löſung der ge- ſellſchaftlichen Frage verändert worden. Alles, was den Menſchen rührt und feſſelt, wird für ihn Kunſtſtoff. Er ſetzt es zuſammen, bearbeitet es, bis er durch den Zauber der Arbeit den Stoff, ſo zu ſagen, von allem, was er

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/126>, abgerufen am 24.11.2024.