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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Heimwege fragen wollte sie nicht; ihre bedenkliche Stimmung erfuhr daher keine Milderung.

Sie war in der untern Stube allein -- der Geistliche erquickte sich in der Gartenlaube --, als die Bäbe von der Küche hereinkam, um eine Frage wegen des Mittagessens an sie zu richten. Das Mädchen zeigte das gefaßte, stillhoffende, sanft melancholische Gesicht, das man seit dem entscheidenden Gespräch im Hause an ihr gewohnt war. Die Frau gab ihre Anweisung und fuhr dann mit der Miene des Bedauerns, ja der Anklage fort: Bei dem Schneider hat's gestern wieder Streit gegeben! Hast du schon was davon gehört? -- Ja, versetzte die Bäbe mit dem Ton der Ergebung; aber nichts Genaueres. Man hat mir nur gesagt, daß Vater und Sohn hintereinandergekommen sind. -- Die Pfarrerin fuhr fort: Mir ist dieser ewige Unfriede fatal, sehr fatal! Ich wüßte nicht, was ich drum gäbe, wenn ich nichts mehr davon hörte! -- Ich bedaur' es auch, erwiderte die Bäbe, aber ich kann nichts dafür. -- Wirklich nicht? versetzte die Frau. Hast du dir keinen Vorwurf zu machen? Hast du das Wort, das du mir gegeben, nicht gebrochen? -- Nein, Frau Pfarrerin, entgegnen das Mädchen. Einmal, vor acht Tagen, Abends gegen neun Uhr, sind wir uns zufällig auf der Gasse begegnet; aber wir haben kaum eine Minute mit einander gesprochen und uns nur unser Leid geklagt. -- Und du hast nicht an ihn geschrieben? Hast ihn nicht durch Klagen dazu gebracht, daß er seinen Vater mit Zu-

Heimwege fragen wollte sie nicht; ihre bedenkliche Stimmung erfuhr daher keine Milderung.

Sie war in der untern Stube allein — der Geistliche erquickte sich in der Gartenlaube —, als die Bäbe von der Küche hereinkam, um eine Frage wegen des Mittagessens an sie zu richten. Das Mädchen zeigte das gefaßte, stillhoffende, sanft melancholische Gesicht, das man seit dem entscheidenden Gespräch im Hause an ihr gewohnt war. Die Frau gab ihre Anweisung und fuhr dann mit der Miene des Bedauerns, ja der Anklage fort: Bei dem Schneider hat's gestern wieder Streit gegeben! Hast du schon was davon gehört? — Ja, versetzte die Bäbe mit dem Ton der Ergebung; aber nichts Genaueres. Man hat mir nur gesagt, daß Vater und Sohn hintereinandergekommen sind. — Die Pfarrerin fuhr fort: Mir ist dieser ewige Unfriede fatal, sehr fatal! Ich wüßte nicht, was ich drum gäbe, wenn ich nichts mehr davon hörte! — Ich bedaur' es auch, erwiderte die Bäbe, aber ich kann nichts dafür. — Wirklich nicht? versetzte die Frau. Hast du dir keinen Vorwurf zu machen? Hast du das Wort, das du mir gegeben, nicht gebrochen? — Nein, Frau Pfarrerin, entgegnen das Mädchen. Einmal, vor acht Tagen, Abends gegen neun Uhr, sind wir uns zufällig auf der Gasse begegnet; aber wir haben kaum eine Minute mit einander gesprochen und uns nur unser Leid geklagt. — Und du hast nicht an ihn geschrieben? Hast ihn nicht durch Klagen dazu gebracht, daß er seinen Vater mit Zu-

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[0189] Heimwege fragen wollte sie nicht; ihre bedenkliche Stimmung erfuhr daher keine Milderung. Sie war in der untern Stube allein — der Geistliche erquickte sich in der Gartenlaube —, als die Bäbe von der Küche hereinkam, um eine Frage wegen des Mittagessens an sie zu richten. Das Mädchen zeigte das gefaßte, stillhoffende, sanft melancholische Gesicht, das man seit dem entscheidenden Gespräch im Hause an ihr gewohnt war. Die Frau gab ihre Anweisung und fuhr dann mit der Miene des Bedauerns, ja der Anklage fort: Bei dem Schneider hat's gestern wieder Streit gegeben! Hast du schon was davon gehört? — Ja, versetzte die Bäbe mit dem Ton der Ergebung; aber nichts Genaueres. Man hat mir nur gesagt, daß Vater und Sohn hintereinandergekommen sind. — Die Pfarrerin fuhr fort: Mir ist dieser ewige Unfriede fatal, sehr fatal! Ich wüßte nicht, was ich drum gäbe, wenn ich nichts mehr davon hörte! — Ich bedaur' es auch, erwiderte die Bäbe, aber ich kann nichts dafür. — Wirklich nicht? versetzte die Frau. Hast du dir keinen Vorwurf zu machen? Hast du das Wort, das du mir gegeben, nicht gebrochen? — Nein, Frau Pfarrerin, entgegnen das Mädchen. Einmal, vor acht Tagen, Abends gegen neun Uhr, sind wir uns zufällig auf der Gasse begegnet; aber wir haben kaum eine Minute mit einander gesprochen und uns nur unser Leid geklagt. — Und du hast nicht an ihn geschrieben? Hast ihn nicht durch Klagen dazu gebracht, daß er seinen Vater mit Zu-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/189>, abgerufen am 24.11.2024.