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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Reih' hat auch einmal an mich kommen müssen. Bedenk, daß ich vierundzwanzig Jahr' alt bin, und daß es für dich eine größere Ehr' ist, wenn dein Sohn Haar auf den Zähnen hat, als wenn er ein Tropf wär' und sich Alles gefallen ließe. Beim Teufel! Kurasche muß man haben, dann setzt man seine Sachen durch! Du sollst sehen, wie's mit mir nun vorwärts gehen wird, und nicht reuen, sondern freuen wird es dich, daß du mir nachgegeben hast! -- Der Vater zuckte die Achseln und sagte: Wir wollen sehen!

Die beiden Schneider waren so ausschließlich mit sich beschäftigt, daß sie einen Trupp Menschen, der sich auf der Gasse angesammelt hatte, durch die freilich kleinen, etwas trüben und überdies von Geranien verdunkelten Fenster entweder nicht wahrnahmen, oder wenigstens nichts darauf gaben. Jetzt aber mußten sie emporsehen -- die Thür ging auf, und die Walpurg trat ein, mit allen Zeichen des Schreckens in ihrem Gesicht.

Die Haushälterin war bei dem Krämer des Ortes, der am andern Ende des Dorfes sein Haus hatte. Wie sie eben nach abgeschlossenem Kauf mit dem Weibe desselben noch eine gemüthliche Plauderei begann, ging ein Bauer vorbei, sah die unter der Thür Stehenden und rief: Walpurg, macht, daß Ihr nach Hause kommt, sonst schlägt Euer Alter den Tobias noch gar todt! Es geht fürchterlich zu bei Euch! -- Um Gottes Himmels willen, rief das gute Weib und eilte, was sie eilen konnte. Wie sie den Haufen Menschen vor ihrem Hause sah,

Reih' hat auch einmal an mich kommen müssen. Bedenk, daß ich vierundzwanzig Jahr' alt bin, und daß es für dich eine größere Ehr' ist, wenn dein Sohn Haar auf den Zähnen hat, als wenn er ein Tropf wär' und sich Alles gefallen ließe. Beim Teufel! Kurasche muß man haben, dann setzt man seine Sachen durch! Du sollst sehen, wie's mit mir nun vorwärts gehen wird, und nicht reuen, sondern freuen wird es dich, daß du mir nachgegeben hast! — Der Vater zuckte die Achseln und sagte: Wir wollen sehen!

Die beiden Schneider waren so ausschließlich mit sich beschäftigt, daß sie einen Trupp Menschen, der sich auf der Gasse angesammelt hatte, durch die freilich kleinen, etwas trüben und überdies von Geranien verdunkelten Fenster entweder nicht wahrnahmen, oder wenigstens nichts darauf gaben. Jetzt aber mußten sie emporsehen — die Thür ging auf, und die Walpurg trat ein, mit allen Zeichen des Schreckens in ihrem Gesicht.

Die Haushälterin war bei dem Krämer des Ortes, der am andern Ende des Dorfes sein Haus hatte. Wie sie eben nach abgeschlossenem Kauf mit dem Weibe desselben noch eine gemüthliche Plauderei begann, ging ein Bauer vorbei, sah die unter der Thür Stehenden und rief: Walpurg, macht, daß Ihr nach Hause kommt, sonst schlägt Euer Alter den Tobias noch gar todt! Es geht fürchterlich zu bei Euch! — Um Gottes Himmels willen, rief das gute Weib und eilte, was sie eilen konnte. Wie sie den Haufen Menschen vor ihrem Hause sah,

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[0179] Reih' hat auch einmal an mich kommen müssen. Bedenk, daß ich vierundzwanzig Jahr' alt bin, und daß es für dich eine größere Ehr' ist, wenn dein Sohn Haar auf den Zähnen hat, als wenn er ein Tropf wär' und sich Alles gefallen ließe. Beim Teufel! Kurasche muß man haben, dann setzt man seine Sachen durch! Du sollst sehen, wie's mit mir nun vorwärts gehen wird, und nicht reuen, sondern freuen wird es dich, daß du mir nachgegeben hast! — Der Vater zuckte die Achseln und sagte: Wir wollen sehen! Die beiden Schneider waren so ausschließlich mit sich beschäftigt, daß sie einen Trupp Menschen, der sich auf der Gasse angesammelt hatte, durch die freilich kleinen, etwas trüben und überdies von Geranien verdunkelten Fenster entweder nicht wahrnahmen, oder wenigstens nichts darauf gaben. Jetzt aber mußten sie emporsehen — die Thür ging auf, und die Walpurg trat ein, mit allen Zeichen des Schreckens in ihrem Gesicht. Die Haushälterin war bei dem Krämer des Ortes, der am andern Ende des Dorfes sein Haus hatte. Wie sie eben nach abgeschlossenem Kauf mit dem Weibe desselben noch eine gemüthliche Plauderei begann, ging ein Bauer vorbei, sah die unter der Thür Stehenden und rief: Walpurg, macht, daß Ihr nach Hause kommt, sonst schlägt Euer Alter den Tobias noch gar todt! Es geht fürchterlich zu bei Euch! — Um Gottes Himmels willen, rief das gute Weib und eilte, was sie eilen konnte. Wie sie den Haufen Menschen vor ihrem Hause sah,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/179>, abgerufen am 24.11.2024.