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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Andern und sich abängstigen aus lauter Dummheit? Solch elende Leut' sollte man nach Amerika schicken, da würden sie bald anders werden! Ich hab' die Herren grad nicht so arg gefürchtet, wie mancher Andere, aber doch noch viel zu viel, und ich kann jetzt gar nicht begreifen, wie ich so ein Narr hab' sein können! Was der Mensch aus sich macht, das ist er! Wer seinen Charakter nicht behauptet, ist ein Tropf und an seinem Elend nur selber schuld! -- Liebe Mutter und Geschwister, ich zweifle daran, Deutschland noch einmal zu sehen; ich wüßte nicht, was ich draußen thun sollte. Den Herren einen Sklaven machen? -- Nein, das thu' ich nicht, und ich danke Gott, daß er mir dies eingeprägt hat. Lebt Alle wohl und gesund; mit dem nächsten Brief will ich euch ein Päckchen Thaler schicken, und lang wird's nimmer dauern, so kann ich euch auf mein Gut nach Amerika einladen!" --

Dieser im ersten Amerika-Stolz geschriebene und schon eine gewisse Journalbildung verrathende Brief übte auf unsern Schneider die tiefste Wirkung. Das Selbstgefühl des Andres erhob seine Seele, die verachtungsvollen Ausdrücke über die Furchtsamen trafen ihn ins Herz; aber er las sie nicht kleinlaut, sondern mit Kraft, denn er wollte sich ja strafen durch die Wahrheit! Indem er die Schwäche seines Wesens mit dem neuen Amerikaner verdammte, tilgte er sie weg und konnte völlig Eins werden mit ihm. Die letzten Sätze las er mit einer Miene, als ob er der Andres selber wäre, und

Andern und sich abängstigen aus lauter Dummheit? Solch elende Leut' sollte man nach Amerika schicken, da würden sie bald anders werden! Ich hab' die Herren grad nicht so arg gefürchtet, wie mancher Andere, aber doch noch viel zu viel, und ich kann jetzt gar nicht begreifen, wie ich so ein Narr hab' sein können! Was der Mensch aus sich macht, das ist er! Wer seinen Charakter nicht behauptet, ist ein Tropf und an seinem Elend nur selber schuld! — Liebe Mutter und Geschwister, ich zweifle daran, Deutschland noch einmal zu sehen; ich wüßte nicht, was ich draußen thun sollte. Den Herren einen Sklaven machen? — Nein, das thu' ich nicht, und ich danke Gott, daß er mir dies eingeprägt hat. Lebt Alle wohl und gesund; mit dem nächsten Brief will ich euch ein Päckchen Thaler schicken, und lang wird's nimmer dauern, so kann ich euch auf mein Gut nach Amerika einladen!“ —

Dieser im ersten Amerika-Stolz geschriebene und schon eine gewisse Journalbildung verrathende Brief übte auf unsern Schneider die tiefste Wirkung. Das Selbstgefühl des Andres erhob seine Seele, die verachtungsvollen Ausdrücke über die Furchtsamen trafen ihn ins Herz; aber er las sie nicht kleinlaut, sondern mit Kraft, denn er wollte sich ja strafen durch die Wahrheit! Indem er die Schwäche seines Wesens mit dem neuen Amerikaner verdammte, tilgte er sie weg und konnte völlig Eins werden mit ihm. Die letzten Sätze las er mit einer Miene, als ob er der Andres selber wäre, und

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[0164] Andern und sich abängstigen aus lauter Dummheit? Solch elende Leut' sollte man nach Amerika schicken, da würden sie bald anders werden! Ich hab' die Herren grad nicht so arg gefürchtet, wie mancher Andere, aber doch noch viel zu viel, und ich kann jetzt gar nicht begreifen, wie ich so ein Narr hab' sein können! Was der Mensch aus sich macht, das ist er! Wer seinen Charakter nicht behauptet, ist ein Tropf und an seinem Elend nur selber schuld! — Liebe Mutter und Geschwister, ich zweifle daran, Deutschland noch einmal zu sehen; ich wüßte nicht, was ich draußen thun sollte. Den Herren einen Sklaven machen? — Nein, das thu' ich nicht, und ich danke Gott, daß er mir dies eingeprägt hat. Lebt Alle wohl und gesund; mit dem nächsten Brief will ich euch ein Päckchen Thaler schicken, und lang wird's nimmer dauern, so kann ich euch auf mein Gut nach Amerika einladen!“ — Dieser im ersten Amerika-Stolz geschriebene und schon eine gewisse Journalbildung verrathende Brief übte auf unsern Schneider die tiefste Wirkung. Das Selbstgefühl des Andres erhob seine Seele, die verachtungsvollen Ausdrücke über die Furchtsamen trafen ihn ins Herz; aber er las sie nicht kleinlaut, sondern mit Kraft, denn er wollte sich ja strafen durch die Wahrheit! Indem er die Schwäche seines Wesens mit dem neuen Amerikaner verdammte, tilgte er sie weg und konnte völlig Eins werden mit ihm. Die letzten Sätze las er mit einer Miene, als ob er der Andres selber wäre, und

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/164>, abgerufen am 24.11.2024.