Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.werk versteht und die Landwirthschaft dazu! Dann ist sein Glück so gut wie gewiß! Der Schneider hielt wieder inne. Die letzten Zeilen waren ihm wunderbar durch die Seele gegangen -- er verstand ja ein Handwerk und die Landwirthschaft dazu! Er war ja derjenige, dessen Glück in dem Lande gewiß war; denn fleißig und arbeitsam war er ja auch! -- Sein Gesicht erhielt einen muthigen Ausdruck, er erhob den Kopf, und zu der Alten gewendet rief er nachdrücklich: Euer Andres hat den Gescheidten gemacht -- das sag' ich Euch! -- Ja du lieb's Gottele, erwiderte das Weib, wenn's nur Alles so ist, wie er schreibt! Nun, wir wollen das Best' hoffen! Tobias, den Umstand benützend, daß sie an ihrem Tisch allein saßen und auch der benachbarte leer geworden war, las den Schluß des Briefes mit erhöhtem Ton und einem Ausdruck, der dem Inhalt entsprach. Er lautete: "Ja, ein anderes Leben hat man schon hier, wie bei den Bauern in Deutschland. Wie sich mancher Dienstbote von früh Morgens bis in die Nacht plagen muß um seine etliche Kreuzer, wo er verdient, es ist wirklich bedauernswerth, wenn man zurückdenkt. Dem Pfarrer und Beamten muß der Bauersmann das Geld hintragen, wo er das ganze Jahr mit seinem Schweiß verdienen muß. Das ist in Amerika nicht; da leben wir so gut jede Mahlzeit, wie die Herren Beamten in Deutschland. So lange der Bauer bei euch noch einen Kreu- werk versteht und die Landwirthschaft dazu! Dann ist sein Glück so gut wie gewiß! Der Schneider hielt wieder inne. Die letzten Zeilen waren ihm wunderbar durch die Seele gegangen — er verstand ja ein Handwerk und die Landwirthschaft dazu! Er war ja derjenige, dessen Glück in dem Lande gewiß war; denn fleißig und arbeitsam war er ja auch! — Sein Gesicht erhielt einen muthigen Ausdruck, er erhob den Kopf, und zu der Alten gewendet rief er nachdrücklich: Euer Andres hat den Gescheidten gemacht — das sag' ich Euch! — Ja du lieb's Gottele, erwiderte das Weib, wenn's nur Alles so ist, wie er schreibt! Nun, wir wollen das Best' hoffen! Tobias, den Umstand benützend, daß sie an ihrem Tisch allein saßen und auch der benachbarte leer geworden war, las den Schluß des Briefes mit erhöhtem Ton und einem Ausdruck, der dem Inhalt entsprach. Er lautete: „Ja, ein anderes Leben hat man schon hier, wie bei den Bauern in Deutschland. Wie sich mancher Dienstbote von früh Morgens bis in die Nacht plagen muß um seine etliche Kreuzer, wo er verdient, es ist wirklich bedauernswerth, wenn man zurückdenkt. Dem Pfarrer und Beamten muß der Bauersmann das Geld hintragen, wo er das ganze Jahr mit seinem Schweiß verdienen muß. Das ist in Amerika nicht; da leben wir so gut jede Mahlzeit, wie die Herren Beamten in Deutschland. So lange der Bauer bei euch noch einen Kreu- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0162"/> werk versteht und die Landwirthschaft dazu! Dann ist sein Glück so gut wie gewiß!</p><lb/> <p>Der Schneider hielt wieder inne. Die letzten Zeilen waren ihm wunderbar durch die Seele gegangen — er verstand ja ein Handwerk und die Landwirthschaft dazu! Er war ja derjenige, dessen Glück in dem Lande gewiß war; denn fleißig und arbeitsam war er ja auch! — Sein Gesicht erhielt einen muthigen Ausdruck, er erhob den Kopf, und zu der Alten gewendet rief er nachdrücklich: Euer Andres hat den Gescheidten gemacht — das sag' ich Euch! — Ja du lieb's Gottele, erwiderte das Weib, wenn's nur Alles so ist, wie er schreibt! Nun, wir wollen das Best' hoffen!</p><lb/> <p>Tobias, den Umstand benützend, daß sie an ihrem Tisch allein saßen und auch der benachbarte leer geworden war, las den Schluß des Briefes mit erhöhtem Ton und einem Ausdruck, der dem Inhalt entsprach. Er lautete:</p><lb/> <p>„Ja, ein anderes Leben hat man schon hier, wie bei den Bauern in Deutschland. Wie sich mancher Dienstbote von früh Morgens bis in die Nacht plagen muß um seine etliche Kreuzer, wo er verdient, es ist wirklich bedauernswerth, wenn man zurückdenkt. Dem Pfarrer und Beamten muß der Bauersmann das Geld hintragen, wo er das ganze Jahr mit seinem Schweiß verdienen muß. Das ist in Amerika nicht; da leben wir so gut jede Mahlzeit, wie die Herren Beamten in Deutschland. So lange der Bauer bei euch noch einen Kreu-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0162]
werk versteht und die Landwirthschaft dazu! Dann ist sein Glück so gut wie gewiß!
Der Schneider hielt wieder inne. Die letzten Zeilen waren ihm wunderbar durch die Seele gegangen — er verstand ja ein Handwerk und die Landwirthschaft dazu! Er war ja derjenige, dessen Glück in dem Lande gewiß war; denn fleißig und arbeitsam war er ja auch! — Sein Gesicht erhielt einen muthigen Ausdruck, er erhob den Kopf, und zu der Alten gewendet rief er nachdrücklich: Euer Andres hat den Gescheidten gemacht — das sag' ich Euch! — Ja du lieb's Gottele, erwiderte das Weib, wenn's nur Alles so ist, wie er schreibt! Nun, wir wollen das Best' hoffen!
Tobias, den Umstand benützend, daß sie an ihrem Tisch allein saßen und auch der benachbarte leer geworden war, las den Schluß des Briefes mit erhöhtem Ton und einem Ausdruck, der dem Inhalt entsprach. Er lautete:
„Ja, ein anderes Leben hat man schon hier, wie bei den Bauern in Deutschland. Wie sich mancher Dienstbote von früh Morgens bis in die Nacht plagen muß um seine etliche Kreuzer, wo er verdient, es ist wirklich bedauernswerth, wenn man zurückdenkt. Dem Pfarrer und Beamten muß der Bauersmann das Geld hintragen, wo er das ganze Jahr mit seinem Schweiß verdienen muß. Das ist in Amerika nicht; da leben wir so gut jede Mahlzeit, wie die Herren Beamten in Deutschland. So lange der Bauer bei euch noch einen Kreu-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T14:49:07Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T14:49:07Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |