Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

nem Andres aus Amerika! -- Was nicht noch! rief Tobias. Und der schreibt also gut! -- O ganz gut, versetzte die Alte; er verdient sich ein schönes Geld und lebt wie ein Graf. Da, lies selber! -- Der Schneider, theilnehmend und neugierig, nahm, entfaltete bedachtsam und fing an zu lesen, und zwar, für sich und das Weib, mit halblauter Stimme.

Der Brief war aus einem kleinern Ort in Michigan. Der Schreiber, der im Ries Bauernknecht gewesene Andreas Holl, meldet, daß er endlich einen Platz gefunden habe, ganz nach Wunsch, und giebt zunächst eine Schilderung der Ueberfahrt. Für den Sohn des Rieses, wo auch die geringern Leute verhältnißmäßig nicht schlecht leben und insbesondere auch die Ehehalten ihre Anforderungen zu steigern beginnen, ist es charakteristisch, daß er sich über die Schiffskost aufhält und von Erbsen und Bohnen sagt, man hätte mit ihnen schießen können! Die Fahrt, ohne besondere Abenteuer, währte lang. "Sechsundsiebzig Tage mußten wir auf dem Wasser herumschwimmen, aber dann kamen wir nach Quebec in der Früh, wo die Sonne aufging; das schaute uns herrlich entgegen, da war Freude auf dem ganzen Schiff!" Nach einer Schilderung seiner weitern Erlebnisse, woraus hervorgeht, daß er erst nach Versuchung mehrerer den ihm entsprechenden Dienstherrn gefunden hat, fährt er fort: "Nun geht's mir so gut, daß ich's fürs Erste gar nicht besser wünsche. Aber in Amerika denkt man nicht dran, immer zu bleiben, wo man ist;

nem Andres aus Amerika! — Was nicht noch! rief Tobias. Und der schreibt also gut! — O ganz gut, versetzte die Alte; er verdient sich ein schönes Geld und lebt wie ein Graf. Da, lies selber! — Der Schneider, theilnehmend und neugierig, nahm, entfaltete bedachtsam und fing an zu lesen, und zwar, für sich und das Weib, mit halblauter Stimme.

Der Brief war aus einem kleinern Ort in Michigan. Der Schreiber, der im Ries Bauernknecht gewesene Andreas Holl, meldet, daß er endlich einen Platz gefunden habe, ganz nach Wunsch, und giebt zunächst eine Schilderung der Ueberfahrt. Für den Sohn des Rieses, wo auch die geringern Leute verhältnißmäßig nicht schlecht leben und insbesondere auch die Ehehalten ihre Anforderungen zu steigern beginnen, ist es charakteristisch, daß er sich über die Schiffskost aufhält und von Erbsen und Bohnen sagt, man hätte mit ihnen schießen können! Die Fahrt, ohne besondere Abenteuer, währte lang. „Sechsundsiebzig Tage mußten wir auf dem Wasser herumschwimmen, aber dann kamen wir nach Quebec in der Früh, wo die Sonne aufging; das schaute uns herrlich entgegen, da war Freude auf dem ganzen Schiff!“ Nach einer Schilderung seiner weitern Erlebnisse, woraus hervorgeht, daß er erst nach Versuchung mehrerer den ihm entsprechenden Dienstherrn gefunden hat, fährt er fort: „Nun geht's mir so gut, daß ich's fürs Erste gar nicht besser wünsche. Aber in Amerika denkt man nicht dran, immer zu bleiben, wo man ist;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="5">
        <p><pb facs="#f0160"/>
nem Andres aus      Amerika! &#x2014; Was nicht noch! rief Tobias. Und der schreibt also gut! &#x2014; O ganz gut, versetzte die      Alte; er verdient sich ein schönes Geld und lebt wie ein Graf. Da, lies selber! &#x2014; Der      Schneider, theilnehmend und neugierig, nahm, entfaltete bedachtsam und fing an zu lesen, und      zwar, für sich und das Weib, mit halblauter Stimme.</p><lb/>
        <p>Der Brief war aus einem kleinern Ort in Michigan. Der Schreiber, der im Ries Bauernknecht      gewesene Andreas Holl, meldet, daß er endlich einen Platz gefunden habe, ganz nach Wunsch, und      giebt zunächst eine Schilderung der Ueberfahrt. Für den Sohn des Rieses, wo auch die geringern      Leute verhältnißmäßig nicht schlecht leben und insbesondere auch die Ehehalten ihre      Anforderungen zu steigern beginnen, ist es charakteristisch, daß er sich über die Schiffskost      aufhält und von Erbsen und Bohnen sagt, man hätte mit ihnen schießen können! Die Fahrt, ohne      besondere Abenteuer, währte lang. &#x201E;Sechsundsiebzig Tage mußten wir auf dem Wasser      herumschwimmen, aber dann kamen wir nach Quebec in der Früh, wo die Sonne aufging; das schaute      uns herrlich entgegen, da war Freude auf dem ganzen Schiff!&#x201C; Nach einer Schilderung seiner      weitern Erlebnisse, woraus hervorgeht, daß er erst nach Versuchung mehrerer den ihm      entsprechenden Dienstherrn gefunden hat, fährt er fort: &#x201E;Nun geht's mir so gut, daß ich's fürs      Erste gar nicht besser wünsche. Aber in Amerika denkt man nicht dran, immer zu bleiben, wo man      ist;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] nem Andres aus Amerika! — Was nicht noch! rief Tobias. Und der schreibt also gut! — O ganz gut, versetzte die Alte; er verdient sich ein schönes Geld und lebt wie ein Graf. Da, lies selber! — Der Schneider, theilnehmend und neugierig, nahm, entfaltete bedachtsam und fing an zu lesen, und zwar, für sich und das Weib, mit halblauter Stimme. Der Brief war aus einem kleinern Ort in Michigan. Der Schreiber, der im Ries Bauernknecht gewesene Andreas Holl, meldet, daß er endlich einen Platz gefunden habe, ganz nach Wunsch, und giebt zunächst eine Schilderung der Ueberfahrt. Für den Sohn des Rieses, wo auch die geringern Leute verhältnißmäßig nicht schlecht leben und insbesondere auch die Ehehalten ihre Anforderungen zu steigern beginnen, ist es charakteristisch, daß er sich über die Schiffskost aufhält und von Erbsen und Bohnen sagt, man hätte mit ihnen schießen können! Die Fahrt, ohne besondere Abenteuer, währte lang. „Sechsundsiebzig Tage mußten wir auf dem Wasser herumschwimmen, aber dann kamen wir nach Quebec in der Früh, wo die Sonne aufging; das schaute uns herrlich entgegen, da war Freude auf dem ganzen Schiff!“ Nach einer Schilderung seiner weitern Erlebnisse, woraus hervorgeht, daß er erst nach Versuchung mehrerer den ihm entsprechenden Dienstherrn gefunden hat, fährt er fort: „Nun geht's mir so gut, daß ich's fürs Erste gar nicht besser wünsche. Aber in Amerika denkt man nicht dran, immer zu bleiben, wo man ist;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/160
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/160>, abgerufen am 24.11.2024.