Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.End' -- kein Mensch geht mich jetzt mehr was an, als du, und um keinen Menschen kümmer' ich mich jetzt mehr was! Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, ich hab' mein eigenes Vermögen, wenn's auch wenig ist, und kann thun, was ich will. Und ich sag' dem Alten auf, ich verlang' mein Geld heraus, und wir gehen mit einander fort in die weite Welt! Die Augen des Mädchens richteten sich freudig und liebend auf den Schneider. Wenn du das könntest, entgegnete sie, dann wär' noch nichts verloren. Du weißt, daß ich mir noch was ausgedacht hab', was ich dir noch immer nicht hab' sagen können. Wenn du wirklich so denkst, dann können wir's mit einander thun und die Leut' hier auslachen. -- Bravo, rief Tobias. Hier meine Hand! Was ich gesagt hab', geschieht! -- Die Bäbe drückte seine Hand und rief: Ich dank' dir! Aber dort kommen Leute, und ich soll noch Milch holen. Gutnacht! Für heut ist's genug! -- V. Die Wolken, die sich erhoben und das kurze Gespräch unsers Liebespaares begünstigt hatten, brachten ein nächtliches Gewitter, und dieses hatte eine Reihe von Regentagen zur Folge. Die Bauernfamilien sahen sich auf Arbeiten in Stube und Stadel angewiesen und lebten jede möglichst für sich. In solcher Zeit bietet das Dorf einen öden, ungeselligen Anblick. Man sieht nur End' — kein Mensch geht mich jetzt mehr was an, als du, und um keinen Menschen kümmer' ich mich jetzt mehr was! Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, ich hab' mein eigenes Vermögen, wenn's auch wenig ist, und kann thun, was ich will. Und ich sag' dem Alten auf, ich verlang' mein Geld heraus, und wir gehen mit einander fort in die weite Welt! Die Augen des Mädchens richteten sich freudig und liebend auf den Schneider. Wenn du das könntest, entgegnete sie, dann wär' noch nichts verloren. Du weißt, daß ich mir noch was ausgedacht hab', was ich dir noch immer nicht hab' sagen können. Wenn du wirklich so denkst, dann können wir's mit einander thun und die Leut' hier auslachen. — Bravo, rief Tobias. Hier meine Hand! Was ich gesagt hab', geschieht! — Die Bäbe drückte seine Hand und rief: Ich dank' dir! Aber dort kommen Leute, und ich soll noch Milch holen. Gutnacht! Für heut ist's genug! — V. Die Wolken, die sich erhoben und das kurze Gespräch unsers Liebespaares begünstigt hatten, brachten ein nächtliches Gewitter, und dieses hatte eine Reihe von Regentagen zur Folge. Die Bauernfamilien sahen sich auf Arbeiten in Stube und Stadel angewiesen und lebten jede möglichst für sich. In solcher Zeit bietet das Dorf einen öden, ungeselligen Anblick. Man sieht nur <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0152"/> End' — kein Mensch geht mich jetzt mehr was an, als du, und um keinen Menschen kümmer' ich mich jetzt mehr was! Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, ich hab' mein eigenes Vermögen, wenn's auch wenig ist, und kann thun, was ich will. Und ich sag' dem Alten auf, ich verlang' mein Geld heraus, und wir gehen mit einander fort in die weite Welt!</p><lb/> <p>Die Augen des Mädchens richteten sich freudig und liebend auf den Schneider. Wenn du das könntest, entgegnete sie, dann wär' noch nichts verloren. Du weißt, daß ich mir noch was ausgedacht hab', was ich dir noch immer nicht hab' sagen können. Wenn du wirklich so denkst, dann können wir's mit einander thun und die Leut' hier auslachen. — Bravo, rief Tobias. Hier meine Hand! Was ich gesagt hab', geschieht! — Die Bäbe drückte seine Hand und rief: Ich dank' dir! Aber dort kommen Leute, und ich soll noch Milch holen. Gutnacht! Für heut ist's genug! —</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="5"> <head>V.</head> <p>Die Wolken, die sich erhoben und das kurze Gespräch unsers Liebespaares begünstigt hatten, brachten ein nächtliches Gewitter, und dieses hatte eine Reihe von Regentagen zur Folge. Die Bauernfamilien sahen sich auf Arbeiten in Stube und Stadel angewiesen und lebten jede möglichst für sich. In solcher Zeit bietet das Dorf einen öden, ungeselligen Anblick. Man sieht nur<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
End' — kein Mensch geht mich jetzt mehr was an, als du, und um keinen Menschen kümmer' ich mich jetzt mehr was! Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, ich hab' mein eigenes Vermögen, wenn's auch wenig ist, und kann thun, was ich will. Und ich sag' dem Alten auf, ich verlang' mein Geld heraus, und wir gehen mit einander fort in die weite Welt!
Die Augen des Mädchens richteten sich freudig und liebend auf den Schneider. Wenn du das könntest, entgegnete sie, dann wär' noch nichts verloren. Du weißt, daß ich mir noch was ausgedacht hab', was ich dir noch immer nicht hab' sagen können. Wenn du wirklich so denkst, dann können wir's mit einander thun und die Leut' hier auslachen. — Bravo, rief Tobias. Hier meine Hand! Was ich gesagt hab', geschieht! — Die Bäbe drückte seine Hand und rief: Ich dank' dir! Aber dort kommen Leute, und ich soll noch Milch holen. Gutnacht! Für heut ist's genug! —
V. Die Wolken, die sich erhoben und das kurze Gespräch unsers Liebespaares begünstigt hatten, brachten ein nächtliches Gewitter, und dieses hatte eine Reihe von Regentagen zur Folge. Die Bauernfamilien sahen sich auf Arbeiten in Stube und Stadel angewiesen und lebten jede möglichst für sich. In solcher Zeit bietet das Dorf einen öden, ungeselligen Anblick. Man sieht nur
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Zitationshilfe: | Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/152>, abgerufen am 15.08.2024. |