Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

Thaten der Gnade. IV. Stück.
ten ist, desto tiefer senken sich die Aeste zur
Erde. Die schwersten und vollesten Aehren
neigen und beugen sich, da hingegen die
Brandähren sich erheben. Die Selbsterhe-
bung, und der geistliche Stolz ist sonsten
etwas, darein eine Seele, die Vergebung
der Sünde, und den göttlichen Frieden er-
fahren hat, leicht fallen kan, dieses ist auch
meistens die erste Anfechtung, wodurch der
Seelenfeind den Gnadenstand eines Kindes
GOttes zu beflecken suchet. Eine begna-
dete Seele weiß, was sie für eine erhabene
Herrlichkeit besitzet, da sie unter die Zahl
der Haußgenossen GOttes aufgenommen
ist. Sie geniesset etwas von denen Erst-
lingen der unaussprechlichen Seligkeiten,
in denen sie sich in Ewigkeit vor dem Thron
des Lammes erfreuen wird, es ist daher ge-
wiß, daß der ärmste Bettler, der etwas
von denen Seligkeiten, so in GOtt sind,
erfahren hat, seinen Gnadenstand mit der
glänzendesten Herrlichkeit des grösten Mo-
narchen auf Erden nicht vertauschen würde,
und daß er das, was die Welt für das grö-
ste und herrlichste hält, gegen das, was der
HErr seiner Seele geschenket, für den ver-
ächtlichsten Koth und Staub schätzet. Eine
Seele, die Licht und Gnade hat, beurtheilet
die Menschen niemahlen, nach denen Vor-

zügen,

Thaten der Gnade. IV. Stuͤck.
ten iſt, deſto tiefer ſenken ſich die Aeſte zur
Erde. Die ſchwerſten und volleſten Aehren
neigen und beugen ſich, da hingegen die
Brandaͤhren ſich erheben. Die Selbſterhe-
bung, und der geiſtliche Stolz iſt ſonſten
etwas, darein eine Seele, die Vergebung
der Suͤnde, und den goͤttlichen Frieden er-
fahren hat, leicht fallen kan, dieſes iſt auch
meiſtens die erſte Anfechtung, wodurch der
Seelenfeind den Gnadenſtand eines Kindes
GOttes zu beflecken ſuchet. Eine begna-
dete Seele weiß, was ſie fuͤr eine erhabene
Herrlichkeit beſitzet, da ſie unter die Zahl
der Haußgenoſſen GOttes aufgenommen
iſt. Sie genieſſet etwas von denen Erſt-
lingen der unausſprechlichen Seligkeiten,
in denen ſie ſich in Ewigkeit vor dem Thron
des Lammes erfreuen wird, es iſt daher ge-
wiß, daß der aͤrmſte Bettler, der etwas
von denen Seligkeiten, ſo in GOtt ſind,
erfahren hat, ſeinen Gnadenſtand mit der
glaͤnzendeſten Herrlichkeit des groͤſten Mo-
narchen auf Erden nicht vertauſchen wuͤrde,
und daß er das, was die Welt fuͤr das groͤ-
ſte und herrlichſte haͤlt, gegen das, was der
HErr ſeiner Seele geſchenket, fuͤr den ver-
aͤchtlichſten Koth und Staub ſchaͤtzet. Eine
Seele, die Licht und Gnade hat, beurtheilet
die Menſchen niemahlen, nach denen Vor-

zuͤgen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0415" n="363"/><fw place="top" type="header">Thaten der Gnade. <hi rendition="#aq">IV</hi>. Stu&#x0364;ck.</fw><lb/>
ten i&#x017F;t, de&#x017F;to tiefer &#x017F;enken &#x017F;ich die Ae&#x017F;te zur<lb/>
Erde. Die &#x017F;chwer&#x017F;ten und volle&#x017F;ten Aehren<lb/>
neigen und beugen &#x017F;ich, da hingegen die<lb/>
Branda&#x0364;hren &#x017F;ich erheben. Die Selb&#x017F;terhe-<lb/>
bung, und der gei&#x017F;tliche Stolz i&#x017F;t &#x017F;on&#x017F;ten<lb/>
etwas, darein eine Seele, die Vergebung<lb/>
der Su&#x0364;nde, und den go&#x0364;ttlichen Frieden er-<lb/>
fahren hat, leicht fallen kan, die&#x017F;es i&#x017F;t auch<lb/>
mei&#x017F;tens die er&#x017F;te Anfechtung, wodurch der<lb/>
Seelenfeind den Gnaden&#x017F;tand eines Kindes<lb/>
GOttes zu beflecken &#x017F;uchet. Eine begna-<lb/>
dete Seele weiß, was &#x017F;ie fu&#x0364;r eine erhabene<lb/>
Herrlichkeit be&#x017F;itzet, da &#x017F;ie unter die Zahl<lb/>
der Haußgeno&#x017F;&#x017F;en GOttes aufgenommen<lb/>
i&#x017F;t. Sie genie&#x017F;&#x017F;et etwas von denen Er&#x017F;t-<lb/>
lingen der unaus&#x017F;prechlichen Seligkeiten,<lb/>
in denen &#x017F;ie &#x017F;ich in Ewigkeit vor dem Thron<lb/>
des Lammes erfreuen wird, es i&#x017F;t daher ge-<lb/>
wiß, daß der a&#x0364;rm&#x017F;te Bettler, der etwas<lb/>
von denen Seligkeiten, &#x017F;o in GOtt &#x017F;ind,<lb/>
erfahren hat, &#x017F;einen Gnaden&#x017F;tand mit der<lb/>
gla&#x0364;nzende&#x017F;ten Herrlichkeit des gro&#x0364;&#x017F;ten Mo-<lb/>
narchen auf Erden nicht vertau&#x017F;chen wu&#x0364;rde,<lb/>
und daß er das, was die Welt fu&#x0364;r das gro&#x0364;-<lb/>
&#x017F;te und herrlich&#x017F;te ha&#x0364;lt, gegen das, was der<lb/>
HErr &#x017F;einer Seele ge&#x017F;chenket, fu&#x0364;r den ver-<lb/>
a&#x0364;chtlich&#x017F;ten Koth und Staub &#x017F;cha&#x0364;tzet. Eine<lb/>
Seele, die Licht und Gnade hat, beurtheilet<lb/>
die Men&#x017F;chen niemahlen, nach denen Vor-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu&#x0364;gen,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[363/0415] Thaten der Gnade. IV. Stuͤck. ten iſt, deſto tiefer ſenken ſich die Aeſte zur Erde. Die ſchwerſten und volleſten Aehren neigen und beugen ſich, da hingegen die Brandaͤhren ſich erheben. Die Selbſterhe- bung, und der geiſtliche Stolz iſt ſonſten etwas, darein eine Seele, die Vergebung der Suͤnde, und den goͤttlichen Frieden er- fahren hat, leicht fallen kan, dieſes iſt auch meiſtens die erſte Anfechtung, wodurch der Seelenfeind den Gnadenſtand eines Kindes GOttes zu beflecken ſuchet. Eine begna- dete Seele weiß, was ſie fuͤr eine erhabene Herrlichkeit beſitzet, da ſie unter die Zahl der Haußgenoſſen GOttes aufgenommen iſt. Sie genieſſet etwas von denen Erſt- lingen der unausſprechlichen Seligkeiten, in denen ſie ſich in Ewigkeit vor dem Thron des Lammes erfreuen wird, es iſt daher ge- wiß, daß der aͤrmſte Bettler, der etwas von denen Seligkeiten, ſo in GOtt ſind, erfahren hat, ſeinen Gnadenſtand mit der glaͤnzendeſten Herrlichkeit des groͤſten Mo- narchen auf Erden nicht vertauſchen wuͤrde, und daß er das, was die Welt fuͤr das groͤ- ſte und herrlichſte haͤlt, gegen das, was der HErr ſeiner Seele geſchenket, fuͤr den ver- aͤchtlichſten Koth und Staub ſchaͤtzet. Eine Seele, die Licht und Gnade hat, beurtheilet die Menſchen niemahlen, nach denen Vor- zuͤgen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/415
Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/415>, abgerufen am 23.11.2024.