schreyenderen Sünden, in subtilere und nicht so in die Augen fallende Uebertrettungen treiben. Vor GOtt bleibet aber der arme Mensch in gleichem jämmerlichen und tödt- lichen Verderben, bis eine ganz andere und gründlichere Veränderung in seinem Herze durch die Gnade gewirket wird.
Es suchte zwar der HErr nach seiner treuen Liebe unserer Person ihre Wege zu verzäunen, um sie von der Welt und der Sünde loszureissen, und alle Hindernisse zu heben, die der Gnade den Weg zu ihrem Herze versperren konnten. Er ließ sie nach einem kurz geführten Ehestande in manches herbe und empfindliche Creutz und Leiden fallen, aber das war noch nicht vermögend ihre Seele zu dem Leben zu locken, und die- se väterliche Heimsuchungen wurden ihr kein Liebesseil, sie in die Gemeinschaft des HErrn JEsu zu ziehen. Sie gieng also noch einige Jahre in ihrer geistlichen Sicherheit hin, verließ sich auf ihre äusserliche Stille und Ehrbarkeit, und glaubte nicht, daß ein so grosser Ernst darzu erfordert werde, seine Seele zu erretten.
Freylich glaubt es die Welt nicht! daß so viel zum Seligwerden erfordert werde. Es ist bey der heutigen Welt fast ein allge- meiner aber höchst gefährlicher Wahn, wenn man dafür hält, es seye schon für den Him-
mel
Der groſſen und ſeligen
ſchreyenderen Suͤnden, in ſubtilere und nicht ſo in die Augen fallende Uebertrettungen treiben. Vor GOtt bleibet aber der arme Menſch in gleichem jaͤmmerlichen und toͤdt- lichen Verderben, bis eine ganz andere und gruͤndlichere Veraͤnderung in ſeinem Herze durch die Gnade gewirket wird.
Es ſuchte zwar der HErr nach ſeiner treuen Liebe unſerer Perſon ihre Wege zu verzaͤunen, um ſie von der Welt und der Suͤnde loszureiſſen, und alle Hinderniſſe zu heben, die der Gnade den Weg zu ihrem Herze verſperren konnten. Er ließ ſie nach einem kurz gefuͤhrten Eheſtande in manches herbe und empfindliche Creutz und Leiden fallen, aber das war noch nicht vermoͤgend ihre Seele zu dem Leben zu locken, und die- ſe vaͤterliche Heimſuchungen wurden ihr kein Liebesſeil, ſie in die Gemeinſchaft des HErrn JEſu zu ziehen. Sie gieng alſo noch einige Jahre in ihrer geiſtlichen Sicherheit hin, verließ ſich auf ihre aͤuſſerliche Stille und Ehrbarkeit, und glaubte nicht, daß ein ſo groſſer Ernſt darzu erfordert werde, ſeine Seele zu erretten.
Freylich glaubt es die Welt nicht! daß ſo viel zum Seligwerden erfordert werde. Es iſt bey der heutigen Welt faſt ein allge- meiner aber hoͤchſt gefaͤhrlicher Wahn, wenn man dafuͤr haͤlt, es ſeye ſchon fuͤr den Him-
mel
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0356"n="304"/><fwplace="top"type="header">Der groſſen und ſeligen</fw><lb/>ſchreyenderen Suͤnden, in ſubtilere und nicht<lb/>ſo in die Augen fallende Uebertrettungen<lb/>
treiben. Vor GOtt bleibet aber der arme<lb/>
Menſch in gleichem jaͤmmerlichen und toͤdt-<lb/>
lichen Verderben, bis eine ganz andere und<lb/>
gruͤndlichere Veraͤnderung in ſeinem Herze<lb/>
durch die Gnade gewirket wird.</p><lb/><p>Es ſuchte zwar der HErr nach ſeiner<lb/>
treuen Liebe unſerer Perſon ihre Wege zu<lb/>
verzaͤunen, um ſie von der Welt und der<lb/>
Suͤnde loszureiſſen, und alle Hinderniſſe<lb/>
zu heben, die der Gnade den Weg zu ihrem<lb/>
Herze verſperren konnten. Er ließ ſie nach<lb/>
einem kurz gefuͤhrten Eheſtande in manches<lb/>
herbe und empfindliche Creutz und Leiden<lb/>
fallen, aber das war noch nicht vermoͤgend<lb/>
ihre Seele zu dem Leben zu locken, und die-<lb/>ſe vaͤterliche Heimſuchungen wurden ihr kein<lb/>
Liebesſeil, ſie in die Gemeinſchaft des HErrn<lb/>
JEſu zu ziehen. Sie gieng alſo noch einige<lb/>
Jahre in ihrer geiſtlichen Sicherheit hin,<lb/>
verließ ſich auf ihre aͤuſſerliche Stille und<lb/>
Ehrbarkeit, und glaubte nicht, daß ein ſo<lb/>
groſſer Ernſt darzu erfordert werde, ſeine<lb/>
Seele zu erretten.</p><lb/><p>Freylich glaubt es die Welt nicht! daß<lb/>ſo viel zum Seligwerden erfordert werde.<lb/>
Es iſt bey der heutigen Welt faſt ein allge-<lb/>
meiner aber hoͤchſt gefaͤhrlicher Wahn, wenn<lb/>
man dafuͤr haͤlt, es ſeye ſchon fuͤr den Him-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">mel</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[304/0356]
Der groſſen und ſeligen
ſchreyenderen Suͤnden, in ſubtilere und nicht
ſo in die Augen fallende Uebertrettungen
treiben. Vor GOtt bleibet aber der arme
Menſch in gleichem jaͤmmerlichen und toͤdt-
lichen Verderben, bis eine ganz andere und
gruͤndlichere Veraͤnderung in ſeinem Herze
durch die Gnade gewirket wird.
Es ſuchte zwar der HErr nach ſeiner
treuen Liebe unſerer Perſon ihre Wege zu
verzaͤunen, um ſie von der Welt und der
Suͤnde loszureiſſen, und alle Hinderniſſe
zu heben, die der Gnade den Weg zu ihrem
Herze verſperren konnten. Er ließ ſie nach
einem kurz gefuͤhrten Eheſtande in manches
herbe und empfindliche Creutz und Leiden
fallen, aber das war noch nicht vermoͤgend
ihre Seele zu dem Leben zu locken, und die-
ſe vaͤterliche Heimſuchungen wurden ihr kein
Liebesſeil, ſie in die Gemeinſchaft des HErrn
JEſu zu ziehen. Sie gieng alſo noch einige
Jahre in ihrer geiſtlichen Sicherheit hin,
verließ ſich auf ihre aͤuſſerliche Stille und
Ehrbarkeit, und glaubte nicht, daß ein ſo
groſſer Ernſt darzu erfordert werde, ſeine
Seele zu erretten.
Freylich glaubt es die Welt nicht! daß
ſo viel zum Seligwerden erfordert werde.
Es iſt bey der heutigen Welt faſt ein allge-
meiner aber hoͤchſt gefaͤhrlicher Wahn, wenn
man dafuͤr haͤlt, es ſeye ſchon fuͤr den Him-
mel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/356>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.