Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

Thaten der Gnade. III. Stück.
lassen. Aber damit wird das Uebel nur
ärger, denn entweder kommen härtere Schlä-
ge, schärfere Züchtigungen und schwerere
Proben, die wieder aufwecken müssen, blei-
ben aber diese aussen, so bringt die Untreue
und Sicherheit endlich in den Tod.

Diese Aufdeckung der Sünde, das Ge-
sichte von der Gefahr der Seele, und das
Gefühl der stetswährenden Unruhe in dem
Gewissen, ließ unsere nun selige Person auf
ihren Hefen nicht stille sitzen, denn wo ein-
mahl die Last der Sünden aufs Herze fäl-
let, da zeigt sich etwas treibendes und zie-
hendes, man kan sich mit denen Erfindun-
gen des bösen Herzens nicht mehr behelfen,
das Geschrey des Gewissens lässet sich von
der Stimme des Fleisches und Blutes nicht
mehr abtreiben, wo man sich in der Sün-
dennoth und Seelenangst siehet, da kan man
sich nicht mehr so leicht verstecken, das Herze
muß gelähret werden, man muß für das
Gewissen Rath und Hülfe suchen. Sie gieng
dessetwegen zu dem Prediger, und entdeckte
ihm ihren ganzen Seelenzustand, offen-
bahrte ihm ungescheut ihren bishieher in
der Finsterniß und Leichtsinnigkeit geführ-
ten Lebenswandel, bekannte ihm ihre Sün-
den, und zwar solche besondere Mißhand-
lungen, die ihr niemand hätte vorwerfen
können, klagte über alles sich ernstlich an,

be-
O 5

Thaten der Gnade. III. Stuͤck.
laſſen. Aber damit wird das Uebel nur
aͤrger, denn entweder kommen haͤrtere Schlaͤ-
ge, ſchaͤrfere Zuͤchtigungen und ſchwerere
Proben, die wieder aufwecken muͤſſen, blei-
ben aber dieſe auſſen, ſo bringt die Untreue
und Sicherheit endlich in den Tod.

Dieſe Aufdeckung der Suͤnde, das Ge-
ſichte von der Gefahr der Seele, und das
Gefuͤhl der ſtetswaͤhrenden Unruhe in dem
Gewiſſen, ließ unſere nun ſelige Perſon auf
ihren Hefen nicht ſtille ſitzen, denn wo ein-
mahl die Laſt der Suͤnden aufs Herze faͤl-
let, da zeigt ſich etwas treibendes und zie-
hendes, man kan ſich mit denen Erfindun-
gen des boͤſen Herzens nicht mehr behelfen,
das Geſchrey des Gewiſſens laͤſſet ſich von
der Stimme des Fleiſches und Blutes nicht
mehr abtreiben, wo man ſich in der Suͤn-
dennoth und Seelenangſt ſiehet, da kan man
ſich nicht mehr ſo leicht verſtecken, das Herze
muß gelaͤhret werden, man muß fuͤr das
Gewiſſen Rath und Huͤlfe ſuchen. Sie gieng
deſſetwegen zu dem Prediger, und entdeckte
ihm ihren ganzen Seelenzuſtand, offen-
bahrte ihm ungeſcheut ihren bishieher in
der Finſterniß und Leichtſinnigkeit gefuͤhr-
ten Lebenswandel, bekannte ihm ihre Suͤn-
den, und zwar ſolche beſondere Mißhand-
lungen, die ihr niemand haͤtte vorwerfen
koͤnnen, klagte uͤber alles ſich ernſtlich an,

be-
O 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0269" n="217"/><fw place="top" type="header">Thaten der Gnade. <hi rendition="#aq">III</hi>. Stu&#x0364;ck.</fw><lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Aber damit wird das Uebel nur<lb/>
a&#x0364;rger, denn entweder kommen ha&#x0364;rtere Schla&#x0364;-<lb/>
ge, &#x017F;cha&#x0364;rfere Zu&#x0364;chtigungen und &#x017F;chwerere<lb/>
Proben, die wieder aufwecken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, blei-<lb/>
ben aber die&#x017F;e au&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o bringt die Untreue<lb/>
und Sicherheit endlich in den Tod.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Aufdeckung der Su&#x0364;nde, das Ge-<lb/>
&#x017F;ichte von der Gefahr der Seele, und das<lb/>
Gefu&#x0364;hl der &#x017F;tetswa&#x0364;hrenden Unruhe in dem<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;en, ließ un&#x017F;ere nun &#x017F;elige Per&#x017F;on auf<lb/>
ihren Hefen nicht &#x017F;tille &#x017F;itzen, denn wo ein-<lb/>
mahl die La&#x017F;t der Su&#x0364;nden aufs Herze fa&#x0364;l-<lb/>
let, da zeigt &#x017F;ich etwas treibendes und zie-<lb/>
hendes, man kan &#x017F;ich mit denen Erfindun-<lb/>
gen des bo&#x0364;&#x017F;en Herzens nicht mehr behelfen,<lb/>
das Ge&#x017F;chrey des Gewi&#x017F;&#x017F;ens la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich von<lb/>
der Stimme des Flei&#x017F;ches und Blutes nicht<lb/>
mehr abtreiben, wo man &#x017F;ich in der Su&#x0364;n-<lb/>
dennoth und Seelenang&#x017F;t &#x017F;iehet, da kan man<lb/>
&#x017F;ich nicht mehr &#x017F;o leicht ver&#x017F;tecken, das Herze<lb/>
muß gela&#x0364;hret werden, man muß fu&#x0364;r das<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;en Rath und Hu&#x0364;lfe &#x017F;uchen. Sie gieng<lb/>
de&#x017F;&#x017F;etwegen zu dem Prediger, und entdeckte<lb/>
ihm ihren ganzen Seelenzu&#x017F;tand, offen-<lb/>
bahrte ihm unge&#x017F;cheut ihren bishieher in<lb/>
der Fin&#x017F;terniß und Leicht&#x017F;innigkeit gefu&#x0364;hr-<lb/>
ten Lebenswandel, bekannte ihm ihre Su&#x0364;n-<lb/>
den, und zwar &#x017F;olche be&#x017F;ondere Mißhand-<lb/>
lungen, die ihr niemand ha&#x0364;tte vorwerfen<lb/>
ko&#x0364;nnen, klagte u&#x0364;ber alles &#x017F;ich ern&#x017F;tlich an,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 5</fw><fw place="bottom" type="catch">be-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0269] Thaten der Gnade. III. Stuͤck. laſſen. Aber damit wird das Uebel nur aͤrger, denn entweder kommen haͤrtere Schlaͤ- ge, ſchaͤrfere Zuͤchtigungen und ſchwerere Proben, die wieder aufwecken muͤſſen, blei- ben aber dieſe auſſen, ſo bringt die Untreue und Sicherheit endlich in den Tod. Dieſe Aufdeckung der Suͤnde, das Ge- ſichte von der Gefahr der Seele, und das Gefuͤhl der ſtetswaͤhrenden Unruhe in dem Gewiſſen, ließ unſere nun ſelige Perſon auf ihren Hefen nicht ſtille ſitzen, denn wo ein- mahl die Laſt der Suͤnden aufs Herze faͤl- let, da zeigt ſich etwas treibendes und zie- hendes, man kan ſich mit denen Erfindun- gen des boͤſen Herzens nicht mehr behelfen, das Geſchrey des Gewiſſens laͤſſet ſich von der Stimme des Fleiſches und Blutes nicht mehr abtreiben, wo man ſich in der Suͤn- dennoth und Seelenangſt ſiehet, da kan man ſich nicht mehr ſo leicht verſtecken, das Herze muß gelaͤhret werden, man muß fuͤr das Gewiſſen Rath und Huͤlfe ſuchen. Sie gieng deſſetwegen zu dem Prediger, und entdeckte ihm ihren ganzen Seelenzuſtand, offen- bahrte ihm ungeſcheut ihren bishieher in der Finſterniß und Leichtſinnigkeit gefuͤhr- ten Lebenswandel, bekannte ihm ihre Suͤn- den, und zwar ſolche beſondere Mißhand- lungen, die ihr niemand haͤtte vorwerfen koͤnnen, klagte uͤber alles ſich ernſtlich an, be- O 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/269
Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/269>, abgerufen am 25.11.2024.