und netze mit meinen Thränen mein Lager. Dieser Zustand wurde endlich ih- rer Schwester so unerträglich und verdries- lich, daß sie sich beschwerte, ferners bey ihr zu schlafen, wegen der beständigen Unruhe, die sie ihr mit ihrem weinen, seufzen und kämpfen verursachte.
Sehet! mit so vieler Angst und Thrä- nen müssen öfters Seelen, die denen ersten göttlichen Führungen sich widersetzet, und der Arbeit der Gnade entloffen sind, nach- wärts den Weg zu ihrer Versöhnung su- chen. Da nun viele Menschen an allen Or- ten seyn werden, die wohl viele Rührungen der Gnade, innwendige Bestrafungen des Gewissens und kräftige Erweckungen in vo- rigen Zeiten erfahren, oder noch gegenwär- tig in sich fühlen, den verderbten Sünder- stand zu verlassen, und die Liebe GOttes in Christo JEsu in bußfertigem und gläubigem Herzen zu suchen und anzunehmen, die aber auch bey sich überzeugend sind, daß sie in vorsetzlicher Untreue, und darum, daß sie die Sünde und die Welt ferners lieben und behalten können, die Bemühungen GOttes zu ihrer Seligkeit unter tausend nichtigen Vorwenden von Zeit zu Zeit in sich unter- drucken, die Sorge für ihr Heyl immer weiter hinaus setzen, indessen aber das Maaß ihrer Sünden auch täglich mehr aufhäufen,
und
Thaten der Gnade. II. Stuͤck.
und netze mit meinen Thraͤnen mein Lager. Dieſer Zuſtand wurde endlich ih- rer Schweſter ſo unertraͤglich und verdries- lich, daß ſie ſich beſchwerte, ferners bey ihr zu ſchlafen, wegen der beſtaͤndigen Unruhe, die ſie ihr mit ihrem weinen, ſeufzen und kaͤmpfen verurſachte.
Sehet! mit ſo vieler Angſt und Thraͤ- nen muͤſſen oͤfters Seelen, die denen erſten goͤttlichen Fuͤhrungen ſich widerſetzet, und der Arbeit der Gnade entloffen ſind, nach- waͤrts den Weg zu ihrer Verſoͤhnung ſu- chen. Da nun viele Menſchen an allen Or- ten ſeyn werden, die wohl viele Ruͤhrungen der Gnade, innwendige Beſtrafungen des Gewiſſens und kraͤftige Erweckungen in vo- rigen Zeiten erfahren, oder noch gegenwaͤr- tig in ſich fuͤhlen, den verderbten Suͤnder- ſtand zu verlaſſen, und die Liebe GOttes in Chriſto JEſu in bußfertigem und glaͤubigem Herzen zu ſuchen und anzunehmen, die aber auch bey ſich uͤberzeugend ſind, daß ſie in vorſetzlicher Untreue, und darum, daß ſie die Suͤnde und die Welt ferners lieben und behalten koͤnnen, die Bemuͤhungen GOttes zu ihrer Seligkeit unter tauſend nichtigen Vorwenden von Zeit zu Zeit in ſich unter- drucken, die Sorge fuͤr ihr Heyl immer weiter hinaus ſetzen, indeſſen aber das Maaß ihrer Suͤnden auch taͤglich mehr aufhaͤufen,
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Thaten der Gnade. II. Stuͤck.
und netze mit meinen Thraͤnen mein
Lager. Dieſer Zuſtand wurde endlich ih-
rer Schweſter ſo unertraͤglich und verdries-
lich, daß ſie ſich beſchwerte, ferners bey ihr
zu ſchlafen, wegen der beſtaͤndigen Unruhe,
die ſie ihr mit ihrem weinen, ſeufzen und
kaͤmpfen verurſachte.
Sehet! mit ſo vieler Angſt und Thraͤ-
nen muͤſſen oͤfters Seelen, die denen erſten
goͤttlichen Fuͤhrungen ſich widerſetzet, und
der Arbeit der Gnade entloffen ſind, nach-
waͤrts den Weg zu ihrer Verſoͤhnung ſu-
chen. Da nun viele Menſchen an allen Or-
ten ſeyn werden, die wohl viele Ruͤhrungen
der Gnade, innwendige Beſtrafungen des
Gewiſſens und kraͤftige Erweckungen in vo-
rigen Zeiten erfahren, oder noch gegenwaͤr-
tig in ſich fuͤhlen, den verderbten Suͤnder-
ſtand zu verlaſſen, und die Liebe GOttes in
Chriſto JEſu in bußfertigem und glaͤubigem
Herzen zu ſuchen und anzunehmen, die aber
auch bey ſich uͤberzeugend ſind, daß ſie in
vorſetzlicher Untreue, und darum, daß ſie
die Suͤnde und die Welt ferners lieben und
behalten koͤnnen, die Bemuͤhungen GOttes
zu ihrer Seligkeit unter tauſend nichtigen
Vorwenden von Zeit zu Zeit in ſich unter-
drucken, die Sorge fuͤr ihr Heyl immer
weiter hinaus ſetzen, indeſſen aber das Maaß
ihrer Suͤnden auch taͤglich mehr aufhaͤufen,
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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/193>, abgerufen am 23.11.2024.
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