Stand gesetzet, daß sie von ganzem Herzen, und in dem demüthigsten Gefühl mit Paulo sich für den ärgsten und größten unter allen Sündern hielte, ja sich für die verwerf- lichste, heßlichste und undankbarste Creatur achtete, die unter der Sonne könnte gefun- den werden.
Es ist oben erinnert worden, daß diese Person von Jugend auf einen vor der Welt ehrbaren Wandel geführet habe. Man kan daher demjenigen Glauben beymessen, was sie einmahl zum Preise göttlicher Güte von sich bezeuget, daß sie nämlich durch die Gnade vor groben Ausbrüchen sey bewah- ret worden. Aber dessen ohngeachtet wird sie in ihren Augen eine so grosse und tiefge- beugte Sünderin, daß sie von ihrer Fuß- sohle an biß an das Haupt nichts gesundes mehr an ihr findet, sondern eitel Wunden, Striemen und Eiterbeulen, die nicht gehef- tet, noch verbunden, noch mit Oele gelin- dert sind, nachdem das Licht der Gnade in ihr natürliches Sünderherz geleuchtet, und ihr die erschrecklichen Fußstapfen gezeiget, die die Sünde daselbst hinterlassen hat. So hilft also keine äussere Ehrbarkeit nichts, und alle eigene Gerechtigkeit fällt in den Staub, wenn das aufgewachte Gewissen sich auf den Richterstuhl gesetzet, und die Seele für das göttliche Gerichte zur Recht-
ferti-
Der groſſen und ſeligen
Stand geſetzet, daß ſie von ganzem Herzen, und in dem demuͤthigſten Gefuͤhl mit Paulo ſich fuͤr den aͤrgſten und groͤßten unter allen Suͤndern hielte, ja ſich fuͤr die verwerf- lichſte, heßlichſte und undankbarſte Creatur achtete, die unter der Sonne koͤnnte gefun- den werden.
Es iſt oben erinnert worden, daß dieſe Perſon von Jugend auf einen vor der Welt ehrbaren Wandel gefuͤhret habe. Man kan daher demjenigen Glauben beymeſſen, was ſie einmahl zum Preiſe goͤttlicher Guͤte von ſich bezeuget, daß ſie naͤmlich durch die Gnade vor groben Ausbruͤchen ſey bewah- ret worden. Aber deſſen ohngeachtet wird ſie in ihren Augen eine ſo groſſe und tiefge- beugte Suͤnderin, daß ſie von ihrer Fuß- ſohle an biß an das Haupt nichts geſundes mehr an ihr findet, ſondern eitel Wunden, Striemen und Eiterbeulen, die nicht gehef- tet, noch verbunden, noch mit Oele gelin- dert ſind, nachdem das Licht der Gnade in ihr natuͤrliches Suͤnderherz geleuchtet, und ihr die erſchrecklichen Fußſtapfen gezeiget, die die Suͤnde daſelbſt hinterlaſſen hat. So hilft alſo keine aͤuſſere Ehrbarkeit nichts, und alle eigene Gerechtigkeit faͤllt in den Staub, wenn das aufgewachte Gewiſſen ſich auf den Richterſtuhl geſetzet, und die Seele fuͤr das goͤttliche Gerichte zur Recht-
ferti-
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Der groſſen und ſeligen
Stand geſetzet, daß ſie von ganzem Herzen,
und in dem demuͤthigſten Gefuͤhl mit Paulo
ſich fuͤr den aͤrgſten und groͤßten unter allen
Suͤndern hielte, ja ſich fuͤr die verwerf-
lichſte, heßlichſte und undankbarſte Creatur
achtete, die unter der Sonne koͤnnte gefun-
den werden.
Es iſt oben erinnert worden, daß dieſe
Perſon von Jugend auf einen vor der Welt
ehrbaren Wandel gefuͤhret habe. Man kan
daher demjenigen Glauben beymeſſen, was
ſie einmahl zum Preiſe goͤttlicher Guͤte von
ſich bezeuget, daß ſie naͤmlich durch die
Gnade vor groben Ausbruͤchen ſey bewah-
ret worden. Aber deſſen ohngeachtet wird
ſie in ihren Augen eine ſo groſſe und tiefge-
beugte Suͤnderin, daß ſie von ihrer Fuß-
ſohle an biß an das Haupt nichts geſundes
mehr an ihr findet, ſondern eitel Wunden,
Striemen und Eiterbeulen, die nicht gehef-
tet, noch verbunden, noch mit Oele gelin-
dert ſind, nachdem das Licht der Gnade in
ihr natuͤrliches Suͤnderherz geleuchtet, und
ihr die erſchrecklichen Fußſtapfen gezeiget,
die die Suͤnde daſelbſt hinterlaſſen hat. So
hilft alſo keine aͤuſſere Ehrbarkeit nichts,
und alle eigene Gerechtigkeit faͤllt in den
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ſich auf den Richterſtuhl geſetzet, und die
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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/186>, abgerufen am 23.11.2024.
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