Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Leonhardt: Theatrum Historicvm [...] Erzehlung der fürnemsten und nuzlichsten Historien und Geschichten. Schaffhausen, 1665.

Bild:
<< vorherige Seite

umständen das Vater unser beten/ welches er mit solchem eifer und einbrünstigen geberden gethan/ daß sie sich alle darüber verwunderten. Nach geendetem gebet sprach er: die zunge hat zwar gebettet/ das Herz ist aber weit davon gewesen. Gott hat mir alle seine gnad entzogen. Anderen tages kamen sie wider/ und befragten ihn/ ob er dann durch ihren vilfaltigen trost keine bessere hoffnung hette. Gar keine/ sprach er: Ia es wird mit mir von tage zu tage ärger. Er ward auch gefraget/ wann sich diser nagende wurm bej ihm erzeiget? Da sagte er: Bald die stunde/ da sich verleugnet: Ja er sagte/ sein zustand wäre ärger dann Cains und Judae: Wolte lieber tod und schon verdamt sein/ als solche pein leiben. Er vermeldete ihnen auch daß ihm abscheuliche/ erschrekliche gespenste für den augen schwebeten. Da understunden sie sich ihn wider zu trösten/ und ermahneten ihn/ er solte das Vater unser betten / welches er mit vergiessung viler threnen/ seuffzen/ und solcher andacht that/ daß alle mit weinen müsten. Doctor Gribaldus meinete/ dise threnen weren ein zeichen der reue / sagte derwegen: lieber Francisce/ dise threnen zeigen an/ daß dich Gott nicht ganz verworffen. Darauff saget Franciscus: Ich weiß es alles wol. Aber ein solcher glaub und vertrauen/ wie ihr haben/ ist Gottes gabe/ das manglet mir. O wann mich Gott nur diser einigen gabe würdigen wolte/ daß ich die wenigste hofnung auff Gottes barmherzigkeit in meinem herzen fühlen köndte. Aber dises ist so unmüglich/ als es unmüglich ist mit einem löffel das Meer außzuschöpfen. Das weiß ich gewüß/ daß kein mensch auff Erden gelebet / so je Gottes zorn so hart gefühlet als ich empfinde. O wolte Gott/ daß ich in eines anderen gottlosen stelle wäre. Weil er sich aber aller speise enthielt/ haben sie ihn gebunden/ und eine suppen eingeflössset: und wiewol ers mit der zungen zuruk stieß/ ist doch etwas in den magen kommen: aber es blib alles bei ihm. Sein einiger und steter wunsch war/ daß er sterben/ und in die helle kommen möchte. Auff den dritten tag sind vorige gelehrte leut neben etlichen studenten wider zu ihm kommenL under anderen war auch ein alter Priester von Citadella/ welcher nahe zu ihm trat und sprach: Kennestu mich auch Francisce/ ich bin der Antonius Fontanina/ der mit dir nach Venedig gereiset. Als er dises höret/ widerholet er sein seuffzen und weh-klagen/ und sprach: O den verfluchten und vermaledejeten tag/ da ich Venedig gesehen: wolte Gott/ ich were den

umständen das Vater unser beten/ welches er mit solchem eifer und einbrünstigen geberden gethan/ daß sie sich alle darüber verwunderten. Nach geendetem gebet sprach er: die zunge hat zwar gebettet/ das Herz ist aber weit davon gewesen. Gott hat mir alle seine gnad entzogen. Anderen tages kamen sie wider/ und befragten ihn/ ob er dann durch ihren vilfaltigen trost keine bessere hoffnung hette. Gar keine/ sprach er: Ia es wird mit mir von tage zu tage ärger. Er ward auch gefraget/ wann sich diser nagende wurm bej ihm erzeiget? Da sagte er: Bald die stunde/ da sich verleugnet: Ja er sagte/ sein zustand wäre ärger dann Cains und Judae: Wolte lieber tod und schon verdamt sein/ als solche pein leiben. Er vermeldete ihnen auch daß ihm abscheuliche/ erschrekliche gespenste für den augen schwebeten. Da understunden sie sich ihn wider zu trösten/ und ermahneten ihn/ er solte das Vater unser betten / welches er mit vergiessung viler threnen/ seuffzen/ und solcher andacht that/ daß alle mit weinen müsten. Doctor Gribaldus meinete/ dise threnen weren ein zeichen der reue / sagte derwegen: lieber Francisce/ dise threnen zeigen an/ daß dich Gott nicht ganz verworffen. Darauff saget Franciscus: Ich weiß es alles wol. Aber ein solcher glaub und vertrauen/ wie ihr haben/ ist Gottes gabe/ das manglet mir. O wann mich Gott nur diser einigen gabe würdigen wolte/ daß ich die wenigste hofnung auff Gottes barmherzigkeit in meinem herzen fühlen köndte. Aber dises ist so unmüglich/ als es unmüglich ist mit einem löffel das Meer außzuschöpfen. Das weiß ich gewüß/ daß kein mensch auff Erden gelebet / so je Gottes zorn so hart gefühlet als ich empfinde. O wolte Gott/ daß ich in eines anderen gottlosen stelle wäre. Weil er sich aber aller speise enthielt/ haben sie ihn gebunden/ und eine suppen eingeflössset: und wiewol ers mit der zungen zuruk stieß/ ist doch etwas in den magen kommen: aber es blib alles bei ihm. Sein einiger und steter wunsch war/ daß er sterben/ und in die helle kommen möchte. Auff den dritten tag sind vorige gelehrte leut neben etlichen studenten wider zu ihm kommenL under anderen war auch ein alter Priester von Citadella/ welcher nahe zu ihm trat und sprach: Kennestu mich auch Francisce/ ich bin der Antonius Fontanina/ der mit dir nach Venedig gereiset. Als er dises höret/ widerholet er sein seuffzen und weh-klagen/ und sprach: O den verfluchten und vermaledejeten tag/ da ich Venedig gesehen: wolte Gott/ ich were den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0318" n="288"/>
umständen das Vater unser beten/ welches er            mit solchem eifer und einbrünstigen geberden gethan/ daß sie sich alle darüber            verwunderten. Nach geendetem gebet sprach er: die zunge hat zwar gebettet/ das Herz ist            aber weit davon gewesen. Gott hat mir alle seine gnad entzogen. Anderen tages kamen sie            wider/ und befragten ihn/ ob er dann durch ihren vilfaltigen trost keine bessere            hoffnung hette. Gar keine/ sprach er: Ia es wird mit mir von tage zu tage ärger. Er ward            auch gefraget/ wann sich diser nagende wurm bej ihm erzeiget? Da sagte er: Bald die            stunde/ da sich verleugnet: Ja er sagte/ sein zustand wäre ärger dann Cains und Judae:            Wolte lieber tod und schon verdamt sein/ als solche pein leiben. Er vermeldete ihnen auch            daß ihm abscheuliche/ erschrekliche gespenste für den augen schwebeten. Da understunden            sie sich ihn wider zu trösten/ und ermahneten ihn/ er solte das Vater unser betten /            welches er mit vergiessung viler threnen/ seuffzen/ und solcher andacht that/ daß alle            mit weinen müsten. Doctor Gribaldus meinete/ dise threnen weren ein zeichen der reue /            sagte derwegen: lieber Francisce/ dise threnen zeigen an/ daß dich Gott nicht ganz            verworffen. Darauff saget Franciscus: Ich weiß es alles wol. Aber ein solcher glaub und            vertrauen/ wie ihr haben/ ist Gottes gabe/ das manglet mir. O wann mich Gott nur diser            einigen gabe würdigen wolte/ daß ich die wenigste hofnung auff Gottes barmherzigkeit in            meinem herzen fühlen köndte. Aber dises ist so unmüglich/ als es unmüglich ist mit einem            löffel das Meer außzuschöpfen. Das weiß ich gewüß/ daß kein mensch auff Erden gelebet /            so je Gottes zorn so hart gefühlet als ich empfinde. O wolte Gott/ daß ich in eines            anderen gottlosen stelle wäre. Weil er sich aber aller speise enthielt/ haben sie ihn            gebunden/ und eine suppen eingeflössset: und wiewol ers mit der zungen zuruk stieß/ ist            doch etwas in den magen kommen: aber es blib alles bei ihm. Sein einiger und steter wunsch            war/ daß er sterben/ und in die helle kommen möchte. Auff den dritten tag sind vorige            gelehrte leut neben etlichen studenten wider zu ihm kommenL under anderen war auch ein            alter Priester von Citadella/ welcher nahe zu ihm trat und sprach: Kennestu mich auch            Francisce/ ich bin der Antonius Fontanina/ der mit dir nach Venedig gereiset. Als er            dises höret/ widerholet er sein seuffzen und weh-klagen/ und sprach: O den verfluchten            und vermaledejeten tag/ da ich Venedig gesehen: wolte Gott/ ich were den
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0318] umständen das Vater unser beten/ welches er mit solchem eifer und einbrünstigen geberden gethan/ daß sie sich alle darüber verwunderten. Nach geendetem gebet sprach er: die zunge hat zwar gebettet/ das Herz ist aber weit davon gewesen. Gott hat mir alle seine gnad entzogen. Anderen tages kamen sie wider/ und befragten ihn/ ob er dann durch ihren vilfaltigen trost keine bessere hoffnung hette. Gar keine/ sprach er: Ia es wird mit mir von tage zu tage ärger. Er ward auch gefraget/ wann sich diser nagende wurm bej ihm erzeiget? Da sagte er: Bald die stunde/ da sich verleugnet: Ja er sagte/ sein zustand wäre ärger dann Cains und Judae: Wolte lieber tod und schon verdamt sein/ als solche pein leiben. Er vermeldete ihnen auch daß ihm abscheuliche/ erschrekliche gespenste für den augen schwebeten. Da understunden sie sich ihn wider zu trösten/ und ermahneten ihn/ er solte das Vater unser betten / welches er mit vergiessung viler threnen/ seuffzen/ und solcher andacht that/ daß alle mit weinen müsten. Doctor Gribaldus meinete/ dise threnen weren ein zeichen der reue / sagte derwegen: lieber Francisce/ dise threnen zeigen an/ daß dich Gott nicht ganz verworffen. Darauff saget Franciscus: Ich weiß es alles wol. Aber ein solcher glaub und vertrauen/ wie ihr haben/ ist Gottes gabe/ das manglet mir. O wann mich Gott nur diser einigen gabe würdigen wolte/ daß ich die wenigste hofnung auff Gottes barmherzigkeit in meinem herzen fühlen köndte. Aber dises ist so unmüglich/ als es unmüglich ist mit einem löffel das Meer außzuschöpfen. Das weiß ich gewüß/ daß kein mensch auff Erden gelebet / so je Gottes zorn so hart gefühlet als ich empfinde. O wolte Gott/ daß ich in eines anderen gottlosen stelle wäre. Weil er sich aber aller speise enthielt/ haben sie ihn gebunden/ und eine suppen eingeflössset: und wiewol ers mit der zungen zuruk stieß/ ist doch etwas in den magen kommen: aber es blib alles bei ihm. Sein einiger und steter wunsch war/ daß er sterben/ und in die helle kommen möchte. Auff den dritten tag sind vorige gelehrte leut neben etlichen studenten wider zu ihm kommenL under anderen war auch ein alter Priester von Citadella/ welcher nahe zu ihm trat und sprach: Kennestu mich auch Francisce/ ich bin der Antonius Fontanina/ der mit dir nach Venedig gereiset. Als er dises höret/ widerholet er sein seuffzen und weh-klagen/ und sprach: O den verfluchten und vermaledejeten tag/ da ich Venedig gesehen: wolte Gott/ ich were den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in XML/TEI. (2013-11-26T12:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme entsprechen muss.
Wolfenbütteler Digitale Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-11-26T12:54:31Z)
Arne Binder: Konvertierung nach XML gemäß DTA-Basisformat, Tagging der Titelblätter, Korrekturen der Transkription. (2013-11-26T12:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Rundes r (ꝛ) wird als normales r (r) wiedergegeben bzw. in der Kombination ꝛc. als et (etc.) aufgelöst.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Ligaturen werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Kolumnentitel, Bogensignaturen und Kustoden werden nicht erfasst.
  • Griechische Schrift wird nicht transkribiert, sondern im XML mit <foreign xml:lang="el"><gap reason="fm"/></foreign> vermerkt.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_theatrum_1665
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_theatrum_1665/318
Zitationshilfe: Meyer, Leonhardt: Theatrum Historicvm [...] Erzehlung der fürnemsten und nuzlichsten Historien und Geschichten. Schaffhausen, 1665, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_theatrum_1665/318>, abgerufen am 28.11.2024.