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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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her hat er sein Unterkommen in einem Ordenshause
irgendwo am Comersee gefunden und führt hier herum,
predigend und terminirend, ein fahrendes Leben."

"Er ist mir nicht unbekannt," erwiederte Waser.
"Voriges Jahr collectirte er in Zürich für die Uebrig¬
gebliebenen und Verarmten eurer verschütteten Stadt
Plurs und betonte mit beweglichen Worten als gute
Seite solcher Verheerungen, daß sich die Christen
in diesen Jammerfällen über die Scheidewand der
Konfessionen hinweg hilfreich die Bruderhand reichen.
Kurz nachher aber kam mir eine gedruckte Bußpredigt
von ihm zu Gesichte, worin er -- zu meinem ärgerlichen
Erstaunen -- in der derbsten Sprache behauptet, der
Bergsturz sei ein warnendes Gericht und eine gött¬
liche Strafe für die Duldung der Ketzerei. Das heißt
in sträflicher Weise mit zwei Zungen geredet."

"Wer wird das einem Kapuziner und praktischen
Manne verdenken!" lachte der Andere. "Sieh, er setzt
sein Eselchen in Trott, er hat mich erkannt."

Der Kapuziner trabte auf seinem Thiere, das
neben ihm noch zwei volle Körbe trug, so rasch heran,
daß der Staub in Wirbeln aufflog. Aber die lustige
Begrüßung, die Waser erwartete, blieb aus. Pancrazis
kurze Gestalt drängte hastig vorwärts und streckte ihnen
die Rechte mit abmahnender Geberde entgegen, als be¬

her hat er ſein Unterkommen in einem Ordenshauſe
irgendwo am Comerſee gefunden und führt hier herum,
predigend und terminirend, ein fahrendes Leben.“

„Er iſt mir nicht unbekannt,“ erwiederte Waſer.
„Voriges Jahr collectirte er in Zürich für die Uebrig¬
gebliebenen und Verarmten eurer verſchütteten Stadt
Plurs und betonte mit beweglichen Worten als gute
Seite ſolcher Verheerungen, daß ſich die Chriſten
in dieſen Jammerfällen über die Scheidewand der
Konfeſſionen hinweg hilfreich die Bruderhand reichen.
Kurz nachher aber kam mir eine gedruckte Bußpredigt
von ihm zu Geſichte, worin er — zu meinem ärgerlichen
Erſtaunen — in der derbſten Sprache behauptet, der
Bergſturz ſei ein warnendes Gericht und eine gött¬
liche Strafe für die Duldung der Ketzerei. Das heißt
in ſträflicher Weiſe mit zwei Zungen geredet.“

„Wer wird das einem Kapuziner und praktiſchen
Manne verdenken!“ lachte der Andere. „Sieh, er ſetzt
ſein Eſelchen in Trott, er hat mich erkannt.“

Der Kapuziner trabte auf ſeinem Thiere, das
neben ihm noch zwei volle Körbe trug, ſo raſch heran,
daß der Staub in Wirbeln aufflog. Aber die luſtige
Begrüßung, die Waſer erwartete, blieb aus. Pancrazis
kurze Geſtalt drängte haſtig vorwärts und ſtreckte ihnen
die Rechte mit abmahnender Geberde entgegen, als be¬

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[82/0092] her hat er ſein Unterkommen in einem Ordenshauſe irgendwo am Comerſee gefunden und führt hier herum, predigend und terminirend, ein fahrendes Leben.“ „Er iſt mir nicht unbekannt,“ erwiederte Waſer. „Voriges Jahr collectirte er in Zürich für die Uebrig¬ gebliebenen und Verarmten eurer verſchütteten Stadt Plurs und betonte mit beweglichen Worten als gute Seite ſolcher Verheerungen, daß ſich die Chriſten in dieſen Jammerfällen über die Scheidewand der Konfeſſionen hinweg hilfreich die Bruderhand reichen. Kurz nachher aber kam mir eine gedruckte Bußpredigt von ihm zu Geſichte, worin er — zu meinem ärgerlichen Erſtaunen — in der derbſten Sprache behauptet, der Bergſturz ſei ein warnendes Gericht und eine gött¬ liche Strafe für die Duldung der Ketzerei. Das heißt in ſträflicher Weiſe mit zwei Zungen geredet.“ „Wer wird das einem Kapuziner und praktiſchen Manne verdenken!“ lachte der Andere. „Sieh, er ſetzt ſein Eſelchen in Trott, er hat mich erkannt.“ Der Kapuziner trabte auf ſeinem Thiere, das neben ihm noch zwei volle Körbe trug, ſo raſch heran, daß der Staub in Wirbeln aufflog. Aber die luſtige Begrüßung, die Waſer erwartete, blieb aus. Pancrazis kurze Geſtalt drängte haſtig vorwärts und ſtreckte ihnen die Rechte mit abmahnender Geberde entgegen, als be¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/92>, abgerufen am 24.11.2024.