Sie ist der einzige überall passende Schlüssel zu seinem vielgestaltigen Wesen. Ich muß zugeben, er hat ihr mehr geopfert, als ein aufrechtes Gewissen verantworten kann. Aber," fuhr er zögernd und mit gedämpfter Stimme fort, "ist es nicht ein Glück für uns ehren¬ hafte Staatsleute, wenn zum Heile des Vaterlandes nothwendige Thaten, die von reinen Händen nicht vollbracht werden können, von solchen gesetzlosen Kraft¬ menschen übernommen werden, -- die dann der all¬ wissende Gott in seiner Gerechtigkeit richten mag. Denn auch sie sind seine Werkzeuge, -- wie geschrieben steht: Er lenkt die Herzen der Menschen wie Wasser¬ bäche."
"Das ist ein seltsam gefährlicher Satz," rief Herr Fortunatus entrüstet, "den ich erstaunt bin, unter den Betrachtungen und Maximen Eurer Gestrengen zu fin¬ den! Damit ist man auf geradem Wege, die schlimmsten Verbrechen zu rechtfertigen. Bedenkt, wie leicht solch ein gesetz- und gewissenloser Mensch, einmal in seine unberechenbare Bahn geschleudert und von seinen Leiden¬ schaften wie von einem Orkan getrieben, sein eigen ge¬ lungen Werk zerstört. Wißt Ihr, wohin es schon mit Jürg Jenatsch gekommen ist? Ich erfahre aus zuver¬ lässigen Quellen, daß er bei den Verhandlungen in Mailand dem an seinen Vorschlägen mäkelnden Herzog
Sie iſt der einzige überall paſſende Schlüſſel zu ſeinem vielgeſtaltigen Weſen. Ich muß zugeben, er hat ihr mehr geopfert, als ein aufrechtes Gewiſſen verantworten kann. Aber,“ fuhr er zögernd und mit gedämpfter Stimme fort, „iſt es nicht ein Glück für uns ehren¬ hafte Staatsleute, wenn zum Heile des Vaterlandes nothwendige Thaten, die von reinen Händen nicht vollbracht werden können, von ſolchen geſetzloſen Kraft¬ menſchen übernommen werden, — die dann der all¬ wiſſende Gott in ſeiner Gerechtigkeit richten mag. Denn auch ſie ſind ſeine Werkzeuge, — wie geſchrieben ſteht: Er lenkt die Herzen der Menſchen wie Waſſer¬ bäche.“
„Das iſt ein ſeltſam gefährlicher Satz,“ rief Herr Fortunatus entrüſtet, „den ich erſtaunt bin, unter den Betrachtungen und Maximen Eurer Geſtrengen zu fin¬ den! Damit iſt man auf geradem Wege, die ſchlimmſten Verbrechen zu rechtfertigen. Bedenkt, wie leicht ſolch ein geſetz- und gewiſſenloſer Menſch, einmal in ſeine unberechenbare Bahn geſchleudert und von ſeinen Leiden¬ ſchaften wie von einem Orkan getrieben, ſein eigen ge¬ lungen Werk zerſtört. Wißt Ihr, wohin es ſchon mit Jürg Jenatſch gekommen iſt? Ich erfahre aus zuver¬ läſſigen Quellen, daß er bei den Verhandlungen in Mailand dem an ſeinen Vorſchlägen mäkelnden Herzog
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0388"n="378"/>
Sie iſt der einzige überall paſſende Schlüſſel zu ſeinem<lb/>
vielgeſtaltigen Weſen. Ich muß zugeben, er hat ihr<lb/>
mehr geopfert, als ein aufrechtes Gewiſſen verantworten<lb/>
kann. Aber,“ fuhr er zögernd und mit gedämpfter<lb/>
Stimme fort, „iſt es nicht ein Glück für uns ehren¬<lb/>
hafte Staatsleute, wenn zum Heile des Vaterlandes<lb/>
nothwendige Thaten, die von reinen Händen nicht<lb/>
vollbracht werden können, von ſolchen geſetzloſen Kraft¬<lb/>
menſchen übernommen werden, — die dann der all¬<lb/>
wiſſende Gott in ſeiner Gerechtigkeit richten mag.<lb/>
Denn auch ſie ſind ſeine Werkzeuge, — wie geſchrieben<lb/>ſteht: Er lenkt die Herzen der Menſchen wie Waſſer¬<lb/>
bäche.“</p><lb/><p>„Das iſt ein ſeltſam gefährlicher Satz,“ rief Herr<lb/>
Fortunatus entrüſtet, „den ich erſtaunt bin, unter den<lb/>
Betrachtungen und Maximen Eurer Geſtrengen zu fin¬<lb/>
den! Damit iſt man auf geradem Wege, die ſchlimmſten<lb/>
Verbrechen zu rechtfertigen. Bedenkt, wie leicht ſolch<lb/>
ein geſetz- und gewiſſenloſer Menſch, einmal in ſeine<lb/>
unberechenbare Bahn geſchleudert und von ſeinen Leiden¬<lb/>ſchaften wie von einem Orkan getrieben, ſein eigen ge¬<lb/>
lungen Werk zerſtört. Wißt Ihr, wohin es ſchon mit<lb/>
Jürg Jenatſch gekommen iſt? Ich erfahre aus zuver¬<lb/>
läſſigen Quellen, daß er bei den Verhandlungen in<lb/>
Mailand dem an ſeinen Vorſchlägen mäkelnden Herzog<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[378/0388]
Sie iſt der einzige überall paſſende Schlüſſel zu ſeinem
vielgeſtaltigen Weſen. Ich muß zugeben, er hat ihr
mehr geopfert, als ein aufrechtes Gewiſſen verantworten
kann. Aber,“ fuhr er zögernd und mit gedämpfter
Stimme fort, „iſt es nicht ein Glück für uns ehren¬
hafte Staatsleute, wenn zum Heile des Vaterlandes
nothwendige Thaten, die von reinen Händen nicht
vollbracht werden können, von ſolchen geſetzloſen Kraft¬
menſchen übernommen werden, — die dann der all¬
wiſſende Gott in ſeiner Gerechtigkeit richten mag.
Denn auch ſie ſind ſeine Werkzeuge, — wie geſchrieben
ſteht: Er lenkt die Herzen der Menſchen wie Waſſer¬
bäche.“
„Das iſt ein ſeltſam gefährlicher Satz,“ rief Herr
Fortunatus entrüſtet, „den ich erſtaunt bin, unter den
Betrachtungen und Maximen Eurer Geſtrengen zu fin¬
den! Damit iſt man auf geradem Wege, die ſchlimmſten
Verbrechen zu rechtfertigen. Bedenkt, wie leicht ſolch
ein geſetz- und gewiſſenloſer Menſch, einmal in ſeine
unberechenbare Bahn geſchleudert und von ſeinen Leiden¬
ſchaften wie von einem Orkan getrieben, ſein eigen ge¬
lungen Werk zerſtört. Wißt Ihr, wohin es ſchon mit
Jürg Jenatſch gekommen iſt? Ich erfahre aus zuver¬
läſſigen Quellen, daß er bei den Verhandlungen in
Mailand dem an ſeinen Vorſchlägen mäkelnden Herzog
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/388>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.