blonden Töchterlein, saß, als gefeierter Gast, der Herr Amtsbürgermeister Heinrich Waser. Heut am Tage der öffentlichen Ueberreichung der Friedensakte, wozu ihn seine den drei Bünden immer besonders gewogene Vaterstadt, die Republik Zürich, abgeordnet hatte, be¬ fand er sich in voller Amtstracht und im Schmucke seiner bürgermeisterlichen Kette. Die höchste Würde des Staates war ihm um seiner besonnenen Leistungen und mit be¬ rechneter Bescheidenheit nur nach und nach ans Licht ge¬ stellten Verdienste willen ungewöhnlich früh und neidlos zu Theil geworden, denn er stand, frisch und lebens¬ lustig, erst am Eingange der Vierzigerjahre. Ein Hauch von Jugendlichkeit schwebte auf seinen vom Gastmahle gerötheten Zügen, deren frühere bewegliche Feinheit sich zum behäbigen Ausdrucke einer wohlwollenden, aber ans Schlaue streifenden Klugheit ausgeprägt hatte.
Heute sah er bewegt aus, besonders wenn er mit seiner Nachbarin sprach, deren Worten und Mienen er eine prüfende liebevolle Aufmerksamkeit schenkte. Ihr kindliches Köpfchen, das auf einem lichten Halse über dem blauen Tuchkleid und den von ihrer Mutter ge¬ erbten Holländerspitzen des durchsichtigen Flügelkragens schwebte, hatte für ihn etwas äußerst Anziehendes. Die weiche Rundung des hellen Gesichtes, der damit überein¬ stimmende sanfte Glanz ihrer unter langen blonden
blonden Töchterlein, ſaß, als gefeierter Gaſt, der Herr Amtsbürgermeiſter Heinrich Waſer. Heut am Tage der öffentlichen Ueberreichung der Friedensakte, wozu ihn ſeine den drei Bünden immer beſonders gewogene Vaterſtadt, die Republik Zürich, abgeordnet hatte, be¬ fand er ſich in voller Amtstracht und im Schmucke ſeiner bürgermeiſterlichen Kette. Die höchſte Würde des Staates war ihm um ſeiner beſonnenen Leiſtungen und mit be¬ rechneter Beſcheidenheit nur nach und nach ans Licht ge¬ ſtellten Verdienſte willen ungewöhnlich früh und neidlos zu Theil geworden, denn er ſtand, friſch und lebens¬ luſtig, erſt am Eingange der Vierzigerjahre. Ein Hauch von Jugendlichkeit ſchwebte auf ſeinen vom Gaſtmahle gerötheten Zügen, deren frühere bewegliche Feinheit ſich zum behäbigen Ausdrucke einer wohlwollenden, aber ans Schlaue ſtreifenden Klugheit ausgeprägt hatte.
Heute ſah er bewegt aus, beſonders wenn er mit ſeiner Nachbarin ſprach, deren Worten und Mienen er eine prüfende liebevolle Aufmerkſamkeit ſchenkte. Ihr kindliches Köpfchen, das auf einem lichten Halſe über dem blauen Tuchkleid und den von ihrer Mutter ge¬ erbten Holländerſpitzen des durchſichtigen Flügelkragens ſchwebte, hatte für ihn etwas äußerſt Anziehendes. Die weiche Rundung des hellen Geſichtes, der damit überein¬ ſtimmende ſanfte Glanz ihrer unter langen blonden
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blonden Töchterlein, ſaß, als gefeierter Gaſt, der Herr
Amtsbürgermeiſter Heinrich Waſer. Heut am Tage
der öffentlichen Ueberreichung der Friedensakte, wozu
ihn ſeine den drei Bünden immer beſonders gewogene
Vaterſtadt, die Republik Zürich, abgeordnet hatte, be¬
fand er ſich in voller Amtstracht und im Schmucke ſeiner
bürgermeiſterlichen Kette. Die höchſte Würde des Staates
war ihm um ſeiner beſonnenen Leiſtungen und mit be¬
rechneter Beſcheidenheit nur nach und nach ans Licht ge¬
ſtellten Verdienſte willen ungewöhnlich früh und neidlos
zu Theil geworden, denn er ſtand, friſch und lebens¬
luſtig, erſt am Eingange der Vierzigerjahre. Ein Hauch
von Jugendlichkeit ſchwebte auf ſeinen vom Gaſtmahle
gerötheten Zügen, deren frühere bewegliche Feinheit
ſich zum behäbigen Ausdrucke einer wohlwollenden, aber
ans Schlaue ſtreifenden Klugheit ausgeprägt hatte.
Heute ſah er bewegt aus, beſonders wenn er mit
ſeiner Nachbarin ſprach, deren Worten und Mienen er
eine prüfende liebevolle Aufmerkſamkeit ſchenkte. Ihr
kindliches Köpfchen, das auf einem lichten Halſe über
dem blauen Tuchkleid und den von ihrer Mutter ge¬
erbten Holländerſpitzen des durchſichtigen Flügelkragens
ſchwebte, hatte für ihn etwas äußerſt Anziehendes. Die
weiche Rundung des hellen Geſichtes, der damit überein¬
ſtimmende ſanfte Glanz ihrer unter langen blonden
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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/384>, abgerufen am 22.11.2024.
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