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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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wer für den neuen Despoten Bündens, der morgen in Chur
seinen prunkenden Einzug halten werde, in Mailand die
ersten Botendienste gethan. "Der Verschwender ist mir
mit seinem fürstlichen Gefolge und seinen kostbaren Berber¬
hengsten über den ganzen Berg auf den Fersen gewe¬
sen", sagte er neidisch. "In Splügen mußte ich ihm
die Straße frei geben, wenn ich nicht immerfort seine
Knaben hinter mir über die Armuth des Planta wollte
spotten hören!"

Lucretia gab den Zweck ihrer Reise nach Mailand
ruhig und stolz zu.

Da warf der Freche jede Scheu von sich und be¬
zichtigte sie vertraulicher Abhängigkeit von dem Obersten.
"Es ist Zeit mit ihm ein Ende zu machen," schrie er
ihr zu. "An Betrogenen und Beschimpften, die, wie
ich, nach diesem gemeinen Blute dürsten, ist heute Ueber¬
fluß, seiner Feinde sind in Spanien so viel wie in
Frankreich!"

"Du aber, Lucretia, hast die heilige Pflicht der
Rache schmählich vergessen und bist Deines Vaters ganz
unwürdig geworden! -- Weg mit ihm, lieber heute als
morgen! Der Mörder des Pompejus Planta soll sich
der Gunst seiner Tochter nicht berühmen! Mir fällt es
zu, die Ehre des Hauses wieder herzustellen. Sobald
der Verräther auf dem Rücken liegt, werde ich Dich

wer für den neuen Despoten Bündens, der morgen in Chur
ſeinen prunkenden Einzug halten werde, in Mailand die
erſten Botendienſte gethan. „Der Verſchwender iſt mir
mit ſeinem fürſtlichen Gefolge und ſeinen koſtbaren Berber¬
hengſten über den ganzen Berg auf den Ferſen gewe¬
ſen“, ſagte er neidiſch. „In Splügen mußte ich ihm
die Straße frei geben, wenn ich nicht immerfort ſeine
Knaben hinter mir über die Armuth des Planta wollte
ſpotten hören!“

Lucretia gab den Zweck ihrer Reiſe nach Mailand
ruhig und ſtolz zu.

Da warf der Freche jede Scheu von ſich und be¬
zichtigte ſie vertraulicher Abhängigkeit von dem Oberſten.
„Es iſt Zeit mit ihm ein Ende zu machen,“ ſchrie er
ihr zu. „An Betrogenen und Beſchimpften, die, wie
ich, nach dieſem gemeinen Blute dürſten, iſt heute Ueber¬
fluß, ſeiner Feinde ſind in Spanien ſo viel wie in
Frankreich!“

„Du aber, Lucretia, haſt die heilige Pflicht der
Rache ſchmählich vergeſſen und biſt Deines Vaters ganz
unwürdig geworden! — Weg mit ihm, lieber heute als
morgen! Der Mörder des Pompejus Planta ſoll ſich
der Gunſt ſeiner Tochter nicht berühmen! Mir fällt es
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[364/0374] wer für den neuen Despoten Bündens, der morgen in Chur ſeinen prunkenden Einzug halten werde, in Mailand die erſten Botendienſte gethan. „Der Verſchwender iſt mir mit ſeinem fürſtlichen Gefolge und ſeinen koſtbaren Berber¬ hengſten über den ganzen Berg auf den Ferſen gewe¬ ſen“, ſagte er neidiſch. „In Splügen mußte ich ihm die Straße frei geben, wenn ich nicht immerfort ſeine Knaben hinter mir über die Armuth des Planta wollte ſpotten hören!“ Lucretia gab den Zweck ihrer Reiſe nach Mailand ruhig und ſtolz zu. Da warf der Freche jede Scheu von ſich und be¬ zichtigte ſie vertraulicher Abhängigkeit von dem Oberſten. „Es iſt Zeit mit ihm ein Ende zu machen,“ ſchrie er ihr zu. „An Betrogenen und Beſchimpften, die, wie ich, nach dieſem gemeinen Blute dürſten, iſt heute Ueber¬ fluß, ſeiner Feinde ſind in Spanien ſo viel wie in Frankreich!“ „Du aber, Lucretia, haſt die heilige Pflicht der Rache ſchmählich vergeſſen und biſt Deines Vaters ganz unwürdig geworden! — Weg mit ihm, lieber heute als morgen! Der Mörder des Pompejus Planta ſoll ſich der Gunſt ſeiner Tochter nicht berühmen! Mir fällt es zu, die Ehre des Hauſes wieder herzuſtellen. Sobald der Verräther auf dem Rücken liegt, werde ich Dich

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/374>, abgerufen am 22.11.2024.