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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Zwölftes Kapitel.

Seit einigen Tagen war Thauwetter eingetreten.
Der Föhn brauste durch die Schluchten der Viamala
und stöhnte und pfiff um die alten Mauern von Ried¬
berg. Die Luft war lau, als wollte der Frühling vor¬
zeitig ins Land brechen, aber schwer drohende Wolken
bedeckten den Himmel und unheimlich klang in der
Nacht das Rieseln des schmelzenden Schnee's und das
Brausen der übermächtigen, durch das sternlose Dunkel
eilenden Bäche.

Lucretia stand am Fenster und ihr Blick bemühte
sich, die Nebel zu durchdringen, die längs der Falten
des Heinzenberges krochen und über das jenseitige
Rheinufer und die Heerstraße wie graue Schleier herab¬
hingen. Es bewegte sich darin ein langer, unterbroche¬
ner Zug, und ferner verwirrter Lärm drang in einzel¬
nen Tönen zu ihr herüber. Sprengende Reitergruppen

Zwölftes Kapitel.

Seit einigen Tagen war Thauwetter eingetreten.
Der Föhn brauſte durch die Schluchten der Viamala
und ſtöhnte und pfiff um die alten Mauern von Ried¬
berg. Die Luft war lau, als wollte der Frühling vor¬
zeitig ins Land brechen, aber ſchwer drohende Wolken
bedeckten den Himmel und unheimlich klang in der
Nacht das Rieſeln des ſchmelzenden Schnee's und das
Brauſen der übermächtigen, durch das ſternloſe Dunkel
eilenden Bäche.

Lucretia ſtand am Fenſter und ihr Blick bemühte
ſich, die Nebel zu durchdringen, die längs der Falten
des Heinzenberges krochen und über das jenſeitige
Rheinufer und die Heerſtraße wie graue Schleier herab¬
hingen. Es bewegte ſich darin ein langer, unterbroche¬
ner Zug, und ferner verwirrter Lärm drang in einzel¬
nen Tönen zu ihr herüber. Sprengende Reitergruppen

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[0371] Zwölftes Kapitel. Seit einigen Tagen war Thauwetter eingetreten. Der Föhn brauſte durch die Schluchten der Viamala und ſtöhnte und pfiff um die alten Mauern von Ried¬ berg. Die Luft war lau, als wollte der Frühling vor¬ zeitig ins Land brechen, aber ſchwer drohende Wolken bedeckten den Himmel und unheimlich klang in der Nacht das Rieſeln des ſchmelzenden Schnee's und das Brauſen der übermächtigen, durch das ſternloſe Dunkel eilenden Bäche. Lucretia ſtand am Fenſter und ihr Blick bemühte ſich, die Nebel zu durchdringen, die längs der Falten des Heinzenberges krochen und über das jenſeitige Rheinufer und die Heerſtraße wie graue Schleier herab¬ hingen. Es bewegte ſich darin ein langer, unterbroche¬ ner Zug, und ferner verwirrter Lärm drang in einzel¬ nen Tönen zu ihr herüber. Sprengende Reitergruppen

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/371>, abgerufen am 24.11.2024.