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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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und ein Rosettenschuh knapper und schöner gesessen als
heute an seinem wohlgebildeten, feierlich vorgesetzten
Bein. Bei näherer Betrachtung jedoch verrieth die
Befangenheit seines gewöhnlich gesunden und ruhigen
Gesichts und der bängliche Ausdruck seiner irrenden
Augensterne einen geheimen Widerspruch mit der magi¬
stralen Sicherheit seiner vollkommenen Haltung.

Der Gruppe der Standeshäupter gegenüber, wo
sich die Ausmündung einer innerhalb der Stadtmauer
laufenden Nebengasse zu einem kleinen viereckigen Platze
erweiterte, hatten sich, als Repräsentanten der heimischen
Waffen, die vornehmsten Bündneroffiziere versammelt
und warteten zu Pferde, um sich dem Gefolge des Her¬
zogs anzuschließen und ihm das Ehrengeleit bis zur
Grenze zu geben. Im Gegensatze zu der gedrückten
Stimmung auf der andern Seite der Gasse unter den
Söhnen der Themis herrschte hier unter den Kindern
des Mars eine frische und beherzte, der sie sich unbe¬
fangen überließen, da sie sahen, daß der bündne¬
rische Dictator zur Verabschiedung seines Opfers nicht
erscheine.

Jetzt erreichte Herzog Rohan den Platz vor der
Freitreppe. Huldvoll hielt er seinen schlanken Gold¬
fuchs an, denn er sah, wie der Amtsbürgermeister einen
goldenen Pokal erhob, den eben ein ergrauter Raths¬

und ein Roſettenſchuh knapper und ſchöner geſeſſen als
heute an ſeinem wohlgebildeten, feierlich vorgeſetzten
Bein. Bei näherer Betrachtung jedoch verrieth die
Befangenheit ſeines gewöhnlich geſunden und ruhigen
Geſichts und der bängliche Ausdruck ſeiner irrenden
Augenſterne einen geheimen Widerſpruch mit der magi¬
ſtralen Sicherheit ſeiner vollkommenen Haltung.

Der Gruppe der Standeshäupter gegenüber, wo
ſich die Ausmündung einer innerhalb der Stadtmauer
laufenden Nebengaſſe zu einem kleinen viereckigen Platze
erweiterte, hatten ſich, als Repräſentanten der heimiſchen
Waffen, die vornehmſten Bündneroffiziere verſammelt
und warteten zu Pferde, um ſich dem Gefolge des Her¬
zogs anzuſchließen und ihm das Ehrengeleit bis zur
Grenze zu geben. Im Gegenſatze zu der gedrückten
Stimmung auf der andern Seite der Gaſſe unter den
Söhnen der Themis herrſchte hier unter den Kindern
des Mars eine friſche und beherzte, der ſie ſich unbe¬
fangen überließen, da ſie ſahen, daß der bündne¬
riſche Dictator zur Verabſchiedung ſeines Opfers nicht
erſcheine.

Jetzt erreichte Herzog Rohan den Platz vor der
Freitreppe. Huldvoll hielt er ſeinen ſchlanken Gold¬
fuchs an, denn er ſah, wie der Amtsbürgermeiſter einen
goldenen Pokal erhob, den eben ein ergrauter Raths¬

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[344/0354] und ein Roſettenſchuh knapper und ſchöner geſeſſen als heute an ſeinem wohlgebildeten, feierlich vorgeſetzten Bein. Bei näherer Betrachtung jedoch verrieth die Befangenheit ſeines gewöhnlich geſunden und ruhigen Geſichts und der bängliche Ausdruck ſeiner irrenden Augenſterne einen geheimen Widerſpruch mit der magi¬ ſtralen Sicherheit ſeiner vollkommenen Haltung. Der Gruppe der Standeshäupter gegenüber, wo ſich die Ausmündung einer innerhalb der Stadtmauer laufenden Nebengaſſe zu einem kleinen viereckigen Platze erweiterte, hatten ſich, als Repräſentanten der heimiſchen Waffen, die vornehmſten Bündneroffiziere verſammelt und warteten zu Pferde, um ſich dem Gefolge des Her¬ zogs anzuſchließen und ihm das Ehrengeleit bis zur Grenze zu geben. Im Gegenſatze zu der gedrückten Stimmung auf der andern Seite der Gaſſe unter den Söhnen der Themis herrſchte hier unter den Kindern des Mars eine friſche und beherzte, der ſie ſich unbe¬ fangen überließen, da ſie ſahen, daß der bündne¬ riſche Dictator zur Verabſchiedung ſeines Opfers nicht erſcheine. Jetzt erreichte Herzog Rohan den Platz vor der Freitreppe. Huldvoll hielt er ſeinen ſchlanken Gold¬ fuchs an, denn er ſah, wie der Amtsbürgermeiſter einen goldenen Pokal erhob, den eben ein ergrauter Raths¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/354>, abgerufen am 25.11.2024.