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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Bibel lesend, im Erker saß und jetzt, über die Störung
erstaunt, zu dem Eintretenden aufblickte.

"Es sind unerhörte Ereignisse," begann Herr
Sprecher, "die mich zwingen, erlauchter Herr, Eure
Morgenandacht zu stören. Es ist, kaum wage ich es
auszusprechen, die Sorge um die Sicherheit Eurer
edlen Person, die mich dazu treibt. Könnt' ich Euch
doch in mein Herz blicken lassen, damit Ihr darin
meine aufrichtige und in jeder Probe stichhaltige Er¬
gebenheit läset, überzeugender als mein Mund sie aus¬
drücken kann! -- In meine geschichtlichen Arbeiten ver¬
tieft und gewohnt auf die eitlen Geräusche des Tages
wenig zu merken, habe ich leider die Bedeutung der
wirren Stimmen unterschätzt, die allerdings in der
letzten Zeit an mein Ohr schlugen. Ich wollte Euch
nicht unnöthig damit beunruhigen."

Der Herzog erhob sich rasch. "Kommt zur Sache,
Herr!" sagte er bestimmt und ruhig. "Was ist das
für ein Blatt? Gebt her."

Sprecher überreichte das verhängnißvolle Druck¬
blatt und stöhnte mit sinkender Stimme: "Es ist der
Aufstand gegen Frankreich und die Ernennung des Jürg
Jenatsch zum Obergeneral der drei Bünde!" --

Rohan durchlief das Blatt und erblaßte.

Es enthielt einen Aufruf an das Volk, der die

Bibel leſend, im Erker ſaß und jetzt, über die Störung
erſtaunt, zu dem Eintretenden aufblickte.

„Es ſind unerhörte Ereigniſſe,“ begann Herr
Sprecher, „die mich zwingen, erlauchter Herr, Eure
Morgenandacht zu ſtören. Es iſt, kaum wage ich es
auszuſprechen, die Sorge um die Sicherheit Eurer
edlen Perſon, die mich dazu treibt. Könnt' ich Euch
doch in mein Herz blicken laſſen, damit Ihr darin
meine aufrichtige und in jeder Probe ſtichhaltige Er¬
gebenheit läſet, überzeugender als mein Mund ſie aus¬
drücken kann! — In meine geſchichtlichen Arbeiten ver¬
tieft und gewohnt auf die eitlen Geräuſche des Tages
wenig zu merken, habe ich leider die Bedeutung der
wirren Stimmen unterſchätzt, die allerdings in der
letzten Zeit an mein Ohr ſchlugen. Ich wollte Euch
nicht unnöthig damit beunruhigen.“

Der Herzog erhob ſich raſch. „Kommt zur Sache,
Herr!“ ſagte er beſtimmt und ruhig. „Was iſt das
für ein Blatt? Gebt her.“

Sprecher überreichte das verhängnißvolle Druck¬
blatt und ſtöhnte mit ſinkender Stimme: „Es iſt der
Aufſtand gegen Frankreich und die Ernennung des Jürg
Jenatſch zum Obergeneral der drei Bünde!“ —

Rohan durchlief das Blatt und erblaßte.

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[313/0323] Bibel leſend, im Erker ſaß und jetzt, über die Störung erſtaunt, zu dem Eintretenden aufblickte. „Es ſind unerhörte Ereigniſſe,“ begann Herr Sprecher, „die mich zwingen, erlauchter Herr, Eure Morgenandacht zu ſtören. Es iſt, kaum wage ich es auszuſprechen, die Sorge um die Sicherheit Eurer edlen Perſon, die mich dazu treibt. Könnt' ich Euch doch in mein Herz blicken laſſen, damit Ihr darin meine aufrichtige und in jeder Probe ſtichhaltige Er¬ gebenheit läſet, überzeugender als mein Mund ſie aus¬ drücken kann! — In meine geſchichtlichen Arbeiten ver¬ tieft und gewohnt auf die eitlen Geräuſche des Tages wenig zu merken, habe ich leider die Bedeutung der wirren Stimmen unterſchätzt, die allerdings in der letzten Zeit an mein Ohr ſchlugen. Ich wollte Euch nicht unnöthig damit beunruhigen.“ Der Herzog erhob ſich raſch. „Kommt zur Sache, Herr!“ ſagte er beſtimmt und ruhig. „Was iſt das für ein Blatt? Gebt her.“ Sprecher überreichte das verhängnißvolle Druck¬ blatt und ſtöhnte mit ſinkender Stimme: „Es iſt der Aufſtand gegen Frankreich und die Ernennung des Jürg Jenatſch zum Obergeneral der drei Bünde!“ — Rohan durchlief das Blatt und erblaßte. Es enthielt einen Aufruf an das Volk, der die

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/323>, abgerufen am 25.11.2024.