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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Schon klopfte sie ans Thor, das der alte Lucas
ihr brummend aufschloß, und bald darauf saß sie neben
der edeln Herrin in einem alterthümlich schmucklosen,
aber lieblich erleuchteten Gemache vor einem herbstlichen
Kaminfeuer und trocknete die vom Nachtthaue durchnäßten
Ränder ihres Klostergewandes, dir schweigsame Lucretia
mit erbaulichen Gesprächen ergötzend.

Das Schreiben des Paters, von dessen Ueber¬
redungsgeist die Nonne eine hohe Meinung hatte, die
flüchtige Erscheinung des Obersten vor der Klosterpforte,
das glänzende Geldstück, das er der kleinen barfüßigen
Botin gereicht, arbeiteten in ihrer frommen Einbildungs¬
kraft. Dies Alles hatte sie, der Himmel weiß durch
welche Gedankenverknüpfungen, bewogen, dem Fräulein
unverzüglich einen nächtlichen Besuch abzustatten und
diese Ereignisse haarklein zu erzählen. Der Oberst
war, meinte sie, wie ein von Gewissensbissen gefolterter
Kain um die Mauern der heiligen Zufluchtsstätte ge¬
irrt. Sie würde lobpreisen und anbeten, aber nicht
erstaunen, wenn Gott hier ein großes Wunder vor¬
bereitete, um diesen wüthenden Feind des christkatho¬
lischen Glaubens, den Ketzern zum beschämenden Zeichen,
in den Schooß der allein seligmachenden Kirche zurück¬
zuführen.

Da Lucretia nach ihrer stillen Weise nur mit

Schon klopfte ſie ans Thor, das der alte Lucas
ihr brummend aufſchloß, und bald darauf ſaß ſie neben
der edeln Herrin in einem alterthümlich ſchmuckloſen,
aber lieblich erleuchteten Gemache vor einem herbſtlichen
Kaminfeuer und trocknete die vom Nachtthaue durchnäßten
Ränder ihres Kloſtergewandes, dir ſchweigſame Lucretia
mit erbaulichen Geſprächen ergötzend.

Das Schreiben des Paters, von deſſen Ueber¬
redungsgeiſt die Nonne eine hohe Meinung hatte, die
flüchtige Erſcheinung des Oberſten vor der Kloſterpforte,
das glänzende Geldſtück, das er der kleinen barfüßigen
Botin gereicht, arbeiteten in ihrer frommen Einbildungs¬
kraft. Dies Alles hatte ſie, der Himmel weiß durch
welche Gedankenverknüpfungen, bewogen, dem Fräulein
unverzüglich einen nächtlichen Beſuch abzuſtatten und
dieſe Ereigniſſe haarklein zu erzählen. Der Oberſt
war, meinte ſie, wie ein von Gewiſſensbiſſen gefolterter
Kain um die Mauern der heiligen Zufluchtsſtätte ge¬
irrt. Sie würde lobpreiſen und anbeten, aber nicht
erſtaunen, wenn Gott hier ein großes Wunder vor¬
bereitete, um dieſen wüthenden Feind des chriſtkatho¬
liſchen Glaubens, den Ketzern zum beſchämenden Zeichen,
in den Schooß der allein ſeligmachenden Kirche zurück¬
zuführen.

Da Lucretia nach ihrer ſtillen Weiſe nur mit

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[281/0291] Schon klopfte ſie ans Thor, das der alte Lucas ihr brummend aufſchloß, und bald darauf ſaß ſie neben der edeln Herrin in einem alterthümlich ſchmuckloſen, aber lieblich erleuchteten Gemache vor einem herbſtlichen Kaminfeuer und trocknete die vom Nachtthaue durchnäßten Ränder ihres Kloſtergewandes, dir ſchweigſame Lucretia mit erbaulichen Geſprächen ergötzend. Das Schreiben des Paters, von deſſen Ueber¬ redungsgeiſt die Nonne eine hohe Meinung hatte, die flüchtige Erſcheinung des Oberſten vor der Kloſterpforte, das glänzende Geldſtück, das er der kleinen barfüßigen Botin gereicht, arbeiteten in ihrer frommen Einbildungs¬ kraft. Dies Alles hatte ſie, der Himmel weiß durch welche Gedankenverknüpfungen, bewogen, dem Fräulein unverzüglich einen nächtlichen Beſuch abzuſtatten und dieſe Ereigniſſe haarklein zu erzählen. Der Oberſt war, meinte ſie, wie ein von Gewiſſensbiſſen gefolterter Kain um die Mauern der heiligen Zufluchtsſtätte ge¬ irrt. Sie würde lobpreiſen und anbeten, aber nicht erſtaunen, wenn Gott hier ein großes Wunder vor¬ bereitete, um dieſen wüthenden Feind des chriſtkatho¬ liſchen Glaubens, den Ketzern zum beſchämenden Zeichen, in den Schooß der allein ſeligmachenden Kirche zurück¬ zuführen. Da Lucretia nach ihrer ſtillen Weiſe nur mit

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/291>, abgerufen am 25.11.2024.