"Ich verhielt mich mausestill, aber hatte meine Ge¬ danken; denn, was der Pater Joseph bedeutet, wißt Ihr besser als ich. --
Hier in Mailand, wo ich mich in Ordensgeschäf¬ ten seit zehn Tagen aufhalte, wurde ich gestern in den Palast des Gubernatore gerufen, um seinem Gesinde wegen eines häuslichen Diebstahls ins Gewissen zu reden. Da beschied mich der Herzog, der meine bünd¬ nerische Herkunft erfahren, zu sich und sagte mir halb ernst, halb scherzweise: "Wie ich jetzt Euch vor Augen habe, Pater Pancraz, möcht' ich wohl den Obersten Jenatsch leibhaft vor mir sehen. Es wäre mir ein Leichtes dem verständigen Manne darzuthun, daß der Vertrag von Chiavenna nichts ist als ein verdorbenes Pergament, daß euch Frankreich das Veltlin nie zurück¬ giebt und daß Spanien euch Bündnern Bedingungen machen könnte, bei denen Ihr euch ganz anders stündet. -- Pater Pancraz, Ihr habt mir den gestohlenen Sie¬ gelring hervorgezaubert, könntet Ihr mir Euern Jenatsch, den Einzigen, mit dem mir zu verhandeln möglich ist, auf dieselbe stille und prompte Weise in dies Cabinet bringen, so solltet Ihr Eurerseits Wunder erleben." --
Da kam es wie eine Erleuchtung über mich, Euch von dieser merkwürdigen Rede Kunde zu geben.
Kommt Ihr, so werde ich dafür sorgen, denn ich
„Ich verhielt mich mauſeſtill, aber hatte meine Ge¬ danken; denn, was der Pater Joſeph bedeutet, wißt Ihr beſſer als ich. —
Hier in Mailand, wo ich mich in Ordensgeſchäf¬ ten ſeit zehn Tagen aufhalte, wurde ich geſtern in den Palaſt des Gubernatore gerufen, um ſeinem Geſinde wegen eines häuslichen Diebſtahls ins Gewiſſen zu reden. Da beſchied mich der Herzog, der meine bünd¬ neriſche Herkunft erfahren, zu ſich und ſagte mir halb ernſt, halb ſcherzweiſe: „Wie ich jetzt Euch vor Augen habe, Pater Pancraz, möcht' ich wohl den Oberſten Jenatſch leibhaft vor mir ſehen. Es wäre mir ein Leichtes dem verſtändigen Manne darzuthun, daß der Vertrag von Chiavenna nichts iſt als ein verdorbenes Pergament, daß euch Frankreich das Veltlin nie zurück¬ giebt und daß Spanien euch Bündnern Bedingungen machen könnte, bei denen Ihr euch ganz anders ſtündet. — Pater Pancraz, Ihr habt mir den geſtohlenen Sie¬ gelring hervorgezaubert, könntet Ihr mir Euern Jenatſch, den Einzigen, mit dem mir zu verhandeln möglich iſt, auf dieſelbe ſtille und prompte Weiſe in dies Cabinet bringen, ſo ſolltet Ihr Eurerſeits Wunder erleben.“ —
Da kam es wie eine Erleuchtung über mich, Euch von dieſer merkwürdigen Rede Kunde zu geben.
Kommt Ihr, ſo werde ich dafür ſorgen, denn ich
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„Ich verhielt mich mauſeſtill, aber hatte meine Ge¬
danken; denn, was der Pater Joſeph bedeutet, wißt
Ihr beſſer als ich. —
Hier in Mailand, wo ich mich in Ordensgeſchäf¬
ten ſeit zehn Tagen aufhalte, wurde ich geſtern in den
Palaſt des Gubernatore gerufen, um ſeinem Geſinde
wegen eines häuslichen Diebſtahls ins Gewiſſen zu
reden. Da beſchied mich der Herzog, der meine bünd¬
neriſche Herkunft erfahren, zu ſich und ſagte mir halb
ernſt, halb ſcherzweiſe: „Wie ich jetzt Euch vor Augen
habe, Pater Pancraz, möcht' ich wohl den Oberſten
Jenatſch leibhaft vor mir ſehen. Es wäre mir ein
Leichtes dem verſtändigen Manne darzuthun, daß der
Vertrag von Chiavenna nichts iſt als ein verdorbenes
Pergament, daß euch Frankreich das Veltlin nie zurück¬
giebt und daß Spanien euch Bündnern Bedingungen
machen könnte, bei denen Ihr euch ganz anders ſtündet.
— Pater Pancraz, Ihr habt mir den geſtohlenen Sie¬
gelring hervorgezaubert, könntet Ihr mir Euern Jenatſch,
den Einzigen, mit dem mir zu verhandeln möglich iſt,
auf dieſelbe ſtille und prompte Weiſe in dies Cabinet
bringen, ſo ſolltet Ihr Eurerſeits Wunder erleben.“ —
Da kam es wie eine Erleuchtung über mich, Euch
von dieſer merkwürdigen Rede Kunde zu geben.
Kommt Ihr, ſo werde ich dafür ſorgen, denn ich
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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/284>, abgerufen am 22.11.2024.
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