wo der Berg sich zu senken begann, mit seinem bei jedem Schritte gleitenden Thiere immer mehr hinter den Andern zurück. Zuletzt versank er in eine vom Schnee verrätherisch bedeckte Spalte aus welcher ihm der die übrigen Pferde am Zügel führende Lucas nur mit Zeit¬ verlust und Mühe heraushalf. Während dieser bei dem fluchenden Locotenenten zurückblieb, schritten Jenatsch und Lucretia rüstig und allein bergab und überließen sich der ungewohnten Lust, die Heimatluft in vollen Zügen einzuathmen. Das Fräulein dachte nicht daran, daß sie zum ersten Male auf der Reise mit Jenatsch allein sei. Waren ihr doch, wenn sie still neben Jürg einherritt, ihre beiden andern Begleiter -- der Loco¬ tenent, trotz seines unausgesetzten Bestrebens sich ange¬ nehm oder unangenehm geltend zu machen, der alte Knecht, trotz seiner unverholenen Rachegelüste, -- in gleich¬ giltige, unpersönliche Ferne getreten.
Sie lebte in einem traumartigen Glücke unter dem Zauber ihrer Berge und ihrer Jugendliebe, den sie furchtsam sich hütete, mit einem an die grausame Gegen¬ wart erinnernden Worte zu zerstören.
Jetzt hatten sie das erste Grün über einem schma¬ len baumlosen Thale erreicht und setzten sich auf ein besonntes Felsstück, um den zurückgebliebenen Locote¬ nenten zu erwarten. Ein Wässerchen quoll daneben
wo der Berg ſich zu ſenken begann, mit ſeinem bei jedem Schritte gleitenden Thiere immer mehr hinter den Andern zurück. Zuletzt verſank er in eine vom Schnee verrätheriſch bedeckte Spalte aus welcher ihm der die übrigen Pferde am Zügel führende Lucas nur mit Zeit¬ verluſt und Mühe heraushalf. Während dieſer bei dem fluchenden Locotenenten zurückblieb, ſchritten Jenatſch und Lucretia rüſtig und allein bergab und überließen ſich der ungewohnten Luſt, die Heimatluft in vollen Zügen einzuathmen. Das Fräulein dachte nicht daran, daß ſie zum erſten Male auf der Reiſe mit Jenatſch allein ſei. Waren ihr doch, wenn ſie ſtill neben Jürg einherritt, ihre beiden andern Begleiter — der Loco¬ tenent, trotz ſeines unausgeſetzten Beſtrebens ſich ange¬ nehm oder unangenehm geltend zu machen, der alte Knecht, trotz ſeiner unverholenen Rachegelüſte, — in gleich¬ giltige, unperſönliche Ferne getreten.
Sie lebte in einem traumartigen Glücke unter dem Zauber ihrer Berge und ihrer Jugendliebe, den ſie furchtſam ſich hütete, mit einem an die grauſame Gegen¬ wart erinnernden Worte zu zerſtören.
Jetzt hatten ſie das erſte Grün über einem ſchma¬ len baumloſen Thale erreicht und ſetzten ſich auf ein beſonntes Felsſtück, um den zurückgebliebenen Locote¬ nenten zu erwarten. Ein Wäſſerchen quoll daneben
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0236"n="226"/>
wo der Berg ſich zu ſenken begann, mit ſeinem bei<lb/>
jedem Schritte gleitenden Thiere immer mehr hinter den<lb/>
Andern zurück. Zuletzt verſank er in eine vom Schnee<lb/>
verrätheriſch bedeckte Spalte aus welcher ihm der die<lb/>
übrigen Pferde am Zügel führende Lucas nur mit Zeit¬<lb/>
verluſt und Mühe heraushalf. Während dieſer bei<lb/>
dem fluchenden Locotenenten zurückblieb, ſchritten Jenatſch<lb/>
und Lucretia rüſtig und allein bergab und überließen<lb/>ſich der ungewohnten Luſt, die Heimatluft in vollen<lb/>
Zügen einzuathmen. Das Fräulein dachte nicht daran,<lb/>
daß ſie zum erſten Male auf der Reiſe mit Jenatſch<lb/>
allein ſei. Waren ihr doch, wenn ſie ſtill neben Jürg<lb/>
einherritt, ihre beiden andern Begleiter — der Loco¬<lb/>
tenent, trotz ſeines unausgeſetzten Beſtrebens ſich ange¬<lb/>
nehm oder unangenehm geltend zu machen, der alte<lb/>
Knecht, trotz ſeiner unverholenen Rachegelüſte, — in gleich¬<lb/>
giltige, unperſönliche Ferne getreten.</p><lb/><p>Sie lebte in einem traumartigen Glücke unter dem<lb/>
Zauber ihrer Berge und ihrer Jugendliebe, den ſie<lb/>
furchtſam ſich hütete, mit einem an die grauſame Gegen¬<lb/>
wart erinnernden Worte zu zerſtören.</p><lb/><p>Jetzt hatten ſie das erſte Grün über einem ſchma¬<lb/>
len baumloſen Thale erreicht und ſetzten ſich auf ein<lb/>
beſonntes Felsſtück, um den zurückgebliebenen Locote¬<lb/>
nenten zu erwarten. Ein Wäſſerchen quoll daneben<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[226/0236]
wo der Berg ſich zu ſenken begann, mit ſeinem bei
jedem Schritte gleitenden Thiere immer mehr hinter den
Andern zurück. Zuletzt verſank er in eine vom Schnee
verrätheriſch bedeckte Spalte aus welcher ihm der die
übrigen Pferde am Zügel führende Lucas nur mit Zeit¬
verluſt und Mühe heraushalf. Während dieſer bei
dem fluchenden Locotenenten zurückblieb, ſchritten Jenatſch
und Lucretia rüſtig und allein bergab und überließen
ſich der ungewohnten Luſt, die Heimatluft in vollen
Zügen einzuathmen. Das Fräulein dachte nicht daran,
daß ſie zum erſten Male auf der Reiſe mit Jenatſch
allein ſei. Waren ihr doch, wenn ſie ſtill neben Jürg
einherritt, ihre beiden andern Begleiter — der Loco¬
tenent, trotz ſeines unausgeſetzten Beſtrebens ſich ange¬
nehm oder unangenehm geltend zu machen, der alte
Knecht, trotz ſeiner unverholenen Rachegelüſte, — in gleich¬
giltige, unperſönliche Ferne getreten.
Sie lebte in einem traumartigen Glücke unter dem
Zauber ihrer Berge und ihrer Jugendliebe, den ſie
furchtſam ſich hütete, mit einem an die grauſame Gegen¬
wart erinnernden Worte zu zerſtören.
Jetzt hatten ſie das erſte Grün über einem ſchma¬
len baumloſen Thale erreicht und ſetzten ſich auf ein
beſonntes Felsſtück, um den zurückgebliebenen Locote¬
nenten zu erwarten. Ein Wäſſerchen quoll daneben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/236>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.