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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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berichten. Er hat soeben von den Akten Kenntniß ge¬
nommen und es ist mir angenehm den Vortrag ihm zu
überlassen, da er mich insgeheim vergiftenden Argwohns
und schnöder Menschenverachtung bezichtigt." --

Der Zürcher entledigte sich dieses Auftrags mit
Freundeseifer und sachkundiger Gewandtheit. Zum
Schlusse faßte er seine Meinung dahin zusammen, daß
hier ein Fall reiner Nothwehr vorliege.

"Und nun erlaubt mir, meinerseits Euch aus¬
zusprechen," sagte Grimani, und seine Stimme trübte
sich vor innerer Bewegung, "daß ich die That für eine
vorbedachte, absichtsvolle und diesen Charakter kennzeich¬
nende halte. Georg Jenatsch ist unermeßlich ehrsüchtig,
und ich glaube, er sei der Mann, jede Schranke, welche
diese Ehrsucht eindämmt, rücksichtslos niederzureißen.
Jede! Den militärischen Gehorsam, das gegebene Wort,
die heiligste Dankespflicht! Ich halte ihn für einen
Menschen ohne Treu und Glauben und von grenzen¬
loser Kühnheit."

Mit wenigen aber noch schärfern Zügen, als er es
Waser gegenüber gethan, bezeichnete er sodann dem Her¬
zoge die selbstsüchtigen Ziele, welche nach seiner Beur¬
theilung Jenatsch durch die Ermordung seines Lands¬
mannes habe erreichen wollen.

Der Herzog warf ein, es sei ihm kaum glaublich,

berichten. Er hat ſoeben von den Akten Kenntniß ge¬
nommen und es iſt mir angenehm den Vortrag ihm zu
überlaſſen, da er mich insgeheim vergiftenden Argwohns
und ſchnöder Menſchenverachtung bezichtigt.“ —

Der Zürcher entledigte ſich dieſes Auftrags mit
Freundeseifer und ſachkundiger Gewandtheit. Zum
Schluſſe faßte er ſeine Meinung dahin zuſammen, daß
hier ein Fall reiner Nothwehr vorliege.

„Und nun erlaubt mir, meinerſeits Euch aus¬
zuſprechen,“ ſagte Grimani, und ſeine Stimme trübte
ſich vor innerer Bewegung, „daß ich die That für eine
vorbedachte, abſichtsvolle und dieſen Charakter kennzeich¬
nende halte. Georg Jenatſch iſt unermeßlich ehrſüchtig,
und ich glaube, er ſei der Mann, jede Schranke, welche
dieſe Ehrſucht eindämmt, rückſichtslos niederzureißen.
Jede! Den militäriſchen Gehorſam, das gegebene Wort,
die heiligſte Dankespflicht! Ich halte ihn für einen
Menſchen ohne Treu und Glauben und von grenzen¬
loſer Kühnheit.“

Mit wenigen aber noch ſchärfern Zügen, als er es
Waſer gegenüber gethan, bezeichnete er ſodann dem Her¬
zoge die ſelbſtſüchtigen Ziele, welche nach ſeiner Beur¬
theilung Jenatſch durch die Ermordung ſeines Lands¬
mannes habe erreichen wollen.

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[199/0209] berichten. Er hat ſoeben von den Akten Kenntniß ge¬ nommen und es iſt mir angenehm den Vortrag ihm zu überlaſſen, da er mich insgeheim vergiftenden Argwohns und ſchnöder Menſchenverachtung bezichtigt.“ — Der Zürcher entledigte ſich dieſes Auftrags mit Freundeseifer und ſachkundiger Gewandtheit. Zum Schluſſe faßte er ſeine Meinung dahin zuſammen, daß hier ein Fall reiner Nothwehr vorliege. „Und nun erlaubt mir, meinerſeits Euch aus¬ zuſprechen,“ ſagte Grimani, und ſeine Stimme trübte ſich vor innerer Bewegung, „daß ich die That für eine vorbedachte, abſichtsvolle und dieſen Charakter kennzeich¬ nende halte. Georg Jenatſch iſt unermeßlich ehrſüchtig, und ich glaube, er ſei der Mann, jede Schranke, welche dieſe Ehrſucht eindämmt, rückſichtslos niederzureißen. Jede! Den militäriſchen Gehorſam, das gegebene Wort, die heiligſte Dankespflicht! Ich halte ihn für einen Menſchen ohne Treu und Glauben und von grenzen¬ loſer Kühnheit.“ Mit wenigen aber noch ſchärfern Zügen, als er es Waſer gegenüber gethan, bezeichnete er ſodann dem Her¬ zoge die ſelbſtſüchtigen Ziele, welche nach ſeiner Beur¬ theilung Jenatſch durch die Ermordung ſeines Lands¬ mannes habe erreichen wollen. Der Herzog warf ein, es ſei ihm kaum glaublich,

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/209>, abgerufen am 22.11.2024.