Alle von oben bis unten, von dem edeln Herzog Rohan bis zu diesen Larven hinab. -- Angenommen daß diese Zeugnisse den Sachverhalt in völliger Wahrheit dar¬ stellen, so führt sie doch erst die Kenntniß der Ver¬ hältnisse des Hauptmanns und seines ränkevollen Cha¬ rakters auf ihren richtigen Werth zurück, und mittelst dieser Kenntniß bin ich im Stande, mein werther Freund, Euch vielleicht zum Schrecken Eures harmlosen Gemüths die Geschichte der Tödtung des Obersten Ruinell in ihr wahres Licht zu stellen."
"Ich will mich kurz fassen. Jenatsch hatte sich zum Ziele gesetzt um jeden Preis eines der vier bündnerischen Regimenter zu erlangen, die Herzog Rohan zum bevor¬ stehenden Veltliner Feldzuge mit französischem Solde bildet. Alle vier aber waren schon vergeben, eines davon an Ruinell; folglich mußte einer der Obersten, am bequemsten Ruinelli, den der Degen des Ehrsüchti¬ gen erreichen konnte, weggeräumt werden. Als nun der Schulmeister den heißblütigen Oberst mit seinem unverschämten Bettel belästigte, ergriff der geistesgegen¬ wärtige Jenatsch blitzschnell die Gelegenheit ihn zu reizen, indem er für den Pedanten Partei nahm. Wie die Flamme einmal aufstieg, war es dem Kühlgebliebenen ein Leichtes, sie mit seinem boshaften Hauche zu schüren. Er wußte mit seiner absichtsvollen Sanftmuth den Zor¬
Meyer, Georg Jenatsch. 13
Alle von oben bis unten, von dem edeln Herzog Rohan bis zu dieſen Larven hinab. — Angenommen daß dieſe Zeugniſſe den Sachverhalt in völliger Wahrheit dar¬ ſtellen, ſo führt ſie doch erſt die Kenntniß der Ver¬ hältniſſe des Hauptmanns und ſeines ränkevollen Cha¬ rakters auf ihren richtigen Werth zurück, und mittelſt dieſer Kenntniß bin ich im Stande, mein werther Freund, Euch vielleicht zum Schrecken Eures harmloſen Gemüths die Geſchichte der Tödtung des Oberſten Ruinell in ihr wahres Licht zu ſtellen.“
„Ich will mich kurz faſſen. Jenatſch hatte ſich zum Ziele geſetzt um jeden Preis eines der vier bündneriſchen Regimenter zu erlangen, die Herzog Rohan zum bevor¬ ſtehenden Veltliner Feldzuge mit franzöſiſchem Solde bildet. Alle vier aber waren ſchon vergeben, eines davon an Ruinell; folglich mußte einer der Oberſten, am bequemſten Ruinelli, den der Degen des Ehrſüchti¬ gen erreichen konnte, weggeräumt werden. Als nun der Schulmeiſter den heißblütigen Oberſt mit ſeinem unverſchämten Bettel beläſtigte, ergriff der geiſtesgegen¬ wärtige Jenatſch blitzſchnell die Gelegenheit ihn zu reizen, indem er für den Pedanten Partei nahm. Wie die Flamme einmal aufſtieg, war es dem Kühlgebliebenen ein Leichtes, ſie mit ſeinem boshaften Hauche zu ſchüren. Er wußte mit ſeiner abſichtsvollen Sanftmuth den Zor¬
Meyer, Georg Jenatſch. 13
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[193/0203]
Alle von oben bis unten, von dem edeln Herzog Rohan
bis zu dieſen Larven hinab. — Angenommen daß dieſe
Zeugniſſe den Sachverhalt in völliger Wahrheit dar¬
ſtellen, ſo führt ſie doch erſt die Kenntniß der Ver¬
hältniſſe des Hauptmanns und ſeines ränkevollen Cha¬
rakters auf ihren richtigen Werth zurück, und mittelſt
dieſer Kenntniß bin ich im Stande, mein werther Freund,
Euch vielleicht zum Schrecken Eures harmloſen Gemüths
die Geſchichte der Tödtung des Oberſten Ruinell in ihr
wahres Licht zu ſtellen.“
„Ich will mich kurz faſſen. Jenatſch hatte ſich zum
Ziele geſetzt um jeden Preis eines der vier bündneriſchen
Regimenter zu erlangen, die Herzog Rohan zum bevor¬
ſtehenden Veltliner Feldzuge mit franzöſiſchem Solde
bildet. Alle vier aber waren ſchon vergeben, eines
davon an Ruinell; folglich mußte einer der Oberſten,
am bequemſten Ruinelli, den der Degen des Ehrſüchti¬
gen erreichen konnte, weggeräumt werden. Als nun
der Schulmeiſter den heißblütigen Oberſt mit ſeinem
unverſchämten Bettel beläſtigte, ergriff der geiſtesgegen¬
wärtige Jenatſch blitzſchnell die Gelegenheit ihn zu reizen,
indem er für den Pedanten Partei nahm. Wie die
Flamme einmal aufſtieg, war es dem Kühlgebliebenen
ein Leichtes, ſie mit ſeinem boshaften Hauche zu ſchüren.
Er wußte mit ſeiner abſichtsvollen Sanftmuth den Zor¬
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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/203>, abgerufen am 23.11.2024.
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