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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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bewegend einzuwirken sei nationale Größe nothwendig,
wie sie gegenwärtig nur das durch seinen genialen Kar¬
dinal zusammengefaßte Frankreich besitze. Das Wesen
dieser Größe und in welchem letzten Grunde sie
wurzle habe er oft mit forschenden Gedanken erwogen
und sei zu einem eigenthümlichen Schlusse gekommen.
Es erscheine ihm nämlich, als beruhe diese materielle
Macht auf einer rein geistigen, ohne welche die erste
über kurz oder lang zerfalle wie ein Körper ohne Seele.
Dieser verborgene schöpferische Genius nun äußere sich,
nach seinem Ermessen, auf die feinste und schärfste
Weise in Muttersprache und Kultur.

"Hier ist allerdings die Schweiz mit ihren drei
Stämmen und Sprachen im Nachtheile," fuhr der Prov¬
veditore fort, der offenbar mit Vorliebe an Italien ge¬
dacht hatte, "aber mir ist um euch nicht bange. Ihr
haltet durch andere zähe Bande zusammen. Für un¬
sere gesegnete Halbinsel aber gereicht mir diese meine
Wahrnehmung zum Troste. Heute unter verschiedene,
zum Theil fremde Herren getheilt, besitzt sie immer
noch das gemeinsame Gut und Erbe einen herrlichen
Sprache und einer unzerstörbaren, in das leuchtende
griechisch-römische Alterthum hinaufreichenden Kultur.
Glaubt mir, diese unsterbliche Seele wird ihren Leib
zu finden wissen."

bewegend einzuwirken ſei nationale Größe nothwendig,
wie ſie gegenwärtig nur das durch ſeinen genialen Kar¬
dinal zuſammengefaßte Frankreich beſitze. Das Weſen
dieſer Größe und in welchem letzten Grunde ſie
wurzle habe er oft mit forſchenden Gedanken erwogen
und ſei zu einem eigenthümlichen Schluſſe gekommen.
Es erſcheine ihm nämlich, als beruhe dieſe materielle
Macht auf einer rein geiſtigen, ohne welche die erſte
über kurz oder lang zerfalle wie ein Körper ohne Seele.
Dieſer verborgene ſchöpferiſche Genius nun äußere ſich,
nach ſeinem Ermeſſen, auf die feinſte und ſchärfſte
Weiſe in Mutterſprache und Kultur.

„Hier iſt allerdings die Schweiz mit ihren drei
Stämmen und Sprachen im Nachtheile,“ fuhr der Prov¬
veditore fort, der offenbar mit Vorliebe an Italien ge¬
dacht hatte, „aber mir iſt um euch nicht bange. Ihr
haltet durch andere zähe Bande zuſammen. Für un¬
ſere geſegnete Halbinſel aber gereicht mir dieſe meine
Wahrnehmung zum Troſte. Heute unter verſchiedene,
zum Theil fremde Herren getheilt, beſitzt ſie immer
noch das gemeinſame Gut und Erbe einen herrlichen
Sprache und einer unzerſtörbaren, in das leuchtende
griechiſch-römiſche Alterthum hinaufreichenden Kultur.
Glaubt mir, dieſe unſterbliche Seele wird ihren Leib
zu finden wiſſen.“

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[187/0197] bewegend einzuwirken ſei nationale Größe nothwendig, wie ſie gegenwärtig nur das durch ſeinen genialen Kar¬ dinal zuſammengefaßte Frankreich beſitze. Das Weſen dieſer Größe und in welchem letzten Grunde ſie wurzle habe er oft mit forſchenden Gedanken erwogen und ſei zu einem eigenthümlichen Schluſſe gekommen. Es erſcheine ihm nämlich, als beruhe dieſe materielle Macht auf einer rein geiſtigen, ohne welche die erſte über kurz oder lang zerfalle wie ein Körper ohne Seele. Dieſer verborgene ſchöpferiſche Genius nun äußere ſich, nach ſeinem Ermeſſen, auf die feinſte und ſchärfſte Weiſe in Mutterſprache und Kultur. „Hier iſt allerdings die Schweiz mit ihren drei Stämmen und Sprachen im Nachtheile,“ fuhr der Prov¬ veditore fort, der offenbar mit Vorliebe an Italien ge¬ dacht hatte, „aber mir iſt um euch nicht bange. Ihr haltet durch andere zähe Bande zuſammen. Für un¬ ſere geſegnete Halbinſel aber gereicht mir dieſe meine Wahrnehmung zum Troſte. Heute unter verſchiedene, zum Theil fremde Herren getheilt, beſitzt ſie immer noch das gemeinſame Gut und Erbe einen herrlichen Sprache und einer unzerſtörbaren, in das leuchtende griechiſch-römiſche Alterthum hinaufreichenden Kultur. Glaubt mir, dieſe unſterbliche Seele wird ihren Leib zu finden wiſſen.“

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/197>, abgerufen am 24.11.2024.