schen Hause zu Zürich, dessen patriarchalische Einfach¬ heit und fromme Zucht ihn nach dem lärmenden und sittenlosen London wahrhaft erquickt hätte. Dies brachte ihn auf den besondern Charakter der schweizerischen Eidgenossenschaft und ihre Stellung in der europäischen Politik. Er beglückwünschte den Zürcher, daß dem klei¬ nen Lande aus dem erwarteten Friedensschluße ohne Zweifel eine durch feste Verträge verbürgte staatliche Unabhängigkeit erwachsen werde.
"Auf die von Niccolo Macchiavelli euch voraus¬ gesagte Weltstellung werdet ihr freilich verzichten müssen," sagte er lächelnd, "aber ihr habt dafür euer eigenes Herdfeuer und eine kleine Musterwirthschaft, in der auch große Herren manches werden lernen können."
Da hierauf Waser mit leisem Kopfschütteln be¬ merkte, dieses an sich wünschenswerthe Resultat dürfte neben schönen Lichtseiten auch manche Schattenseiten zeigen, und er persönlich sehe sich nur mit Schmerz von dem protestantischen Deutschland abgedrängt, nickte ihm der venetianische Staatsmann einverstanden zu und sagte, staatliche Unabhängigkeit sei eine schöne Sache und es lasse sich dabei auch bei kleinem Gebiete ein ge¬ wisser Einfluß nach außen üben, vorausgesetzt, daß politische Begabung vorhanden sei und auf ihre Aus¬ bildung aller Fleiß verwendet werde; aber um welt¬
ſchen Hauſe zu Zürich, deſſen patriarchaliſche Einfach¬ heit und fromme Zucht ihn nach dem lärmenden und ſittenloſen London wahrhaft erquickt hätte. Dies brachte ihn auf den beſondern Charakter der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft und ihre Stellung in der europäiſchen Politik. Er beglückwünſchte den Zürcher, daß dem klei¬ nen Lande aus dem erwarteten Friedensſchluße ohne Zweifel eine durch feſte Verträge verbürgte ſtaatliche Unabhängigkeit erwachſen werde.
„Auf die von Niccolò Macchiavelli euch voraus¬ geſagte Weltſtellung werdet ihr freilich verzichten müſſen,“ ſagte er lächelnd, „aber ihr habt dafür euer eigenes Herdfeuer und eine kleine Muſterwirthſchaft, in der auch große Herren manches werden lernen können.“
Da hierauf Waſer mit leiſem Kopfſchütteln be¬ merkte, dieſes an ſich wünſchenswerthe Reſultat dürfte neben ſchönen Lichtſeiten auch manche Schattenſeiten zeigen, und er perſönlich ſehe ſich nur mit Schmerz von dem proteſtantiſchen Deutſchland abgedrängt, nickte ihm der venetianiſche Staatsmann einverſtanden zu und ſagte, ſtaatliche Unabhängigkeit ſei eine ſchöne Sache und es laſſe ſich dabei auch bei kleinem Gebiete ein ge¬ wiſſer Einfluß nach außen üben, vorausgeſetzt, daß politiſche Begabung vorhanden ſei und auf ihre Aus¬ bildung aller Fleiß verwendet werde; aber um welt¬
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ſchen Hauſe zu Zürich, deſſen patriarchaliſche Einfach¬
heit und fromme Zucht ihn nach dem lärmenden und
ſittenloſen London wahrhaft erquickt hätte. Dies brachte
ihn auf den beſondern Charakter der ſchweizeriſchen
Eidgenoſſenſchaft und ihre Stellung in der europäiſchen
Politik. Er beglückwünſchte den Zürcher, daß dem klei¬
nen Lande aus dem erwarteten Friedensſchluße ohne
Zweifel eine durch feſte Verträge verbürgte ſtaatliche
Unabhängigkeit erwachſen werde.
„Auf die von Niccolò Macchiavelli euch voraus¬
geſagte Weltſtellung werdet ihr freilich verzichten müſſen,“
ſagte er lächelnd, „aber ihr habt dafür euer eigenes
Herdfeuer und eine kleine Muſterwirthſchaft, in der
auch große Herren manches werden lernen können.“
Da hierauf Waſer mit leiſem Kopfſchütteln be¬
merkte, dieſes an ſich wünſchenswerthe Reſultat dürfte
neben ſchönen Lichtſeiten auch manche Schattenſeiten
zeigen, und er perſönlich ſehe ſich nur mit Schmerz
von dem proteſtantiſchen Deutſchland abgedrängt, nickte
ihm der venetianiſche Staatsmann einverſtanden zu und
ſagte, ſtaatliche Unabhängigkeit ſei eine ſchöne Sache
und es laſſe ſich dabei auch bei kleinem Gebiete ein ge¬
wiſſer Einfluß nach außen üben, vorausgeſetzt, daß
politiſche Begabung vorhanden ſei und auf ihre Aus¬
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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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