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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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das Gewöhnliche mit Geist und Anmuth hinspielende
Unterhaltung seines Gastfreundes einzugehn und hatte
sogar versäumt, seinen hochlehnigen Stuhl so zu setzen,
daß er dem verlockenden Götterbilde den Rücken zuwandte,
was er sonst nie zu thun vergaß, denn die schmiegsame Ge¬
stalt mit dem Siegeszeichen des Parisapfels in der Hand
pflegte ihn allmorgendlich zu ärgern und zu betrüben.
Sie erinnerte ihn gewissermaßen an seine jung ver¬
storbene selige Frau; aber wie ganz verschieden war
hinwiederum dieses reizende Blendwerk von der Unver¬
gessenen, deren Seelenspiegel nie ein Anhauch von
Ueppigkeit getrübt und die einen ausgesprochenen Ab¬
scheu empfunden gegen Alles, was sich im mindesten
von sittsamer Bescheidenheit entfernte.

Heute aber nahm er an der Göttin keinen Anstoß, er
war weit davon entfernt sie nur zu beachten. Sein ganzes
Denken war darauf gerichtet, das Gespräch auf seinen
Freund Jenatsch zu bringen, ohne durch die sichere
Unterhaltungskunst des Provveditore von der Fährte
abgebracht und spielend im Kreise herumgeführt zu
werden.

Er hatte heute schon in der Frühe, wie er daheim
in Zürich zu thun pflegte, einen kurzen Morgengang
gemacht, was hier in dem Gäßchen- und Wasserlabyrinthe
der Lagunenstadt seinen vorzüglichen Ortssinn in span¬

das Gewöhnliche mit Geiſt und Anmuth hinſpielende
Unterhaltung ſeines Gaſtfreundes einzugehn und hatte
ſogar verſäumt, ſeinen hochlehnigen Stuhl ſo zu ſetzen,
daß er dem verlockenden Götterbilde den Rücken zuwandte,
was er ſonſt nie zu thun vergaß, denn die ſchmiegſame Ge¬
ſtalt mit dem Siegeszeichen des Parisapfels in der Hand
pflegte ihn allmorgendlich zu ärgern und zu betrüben.
Sie erinnerte ihn gewiſſermaßen an ſeine jung ver¬
ſtorbene ſelige Frau; aber wie ganz verſchieden war
hinwiederum dieſes reizende Blendwerk von der Unver¬
geſſenen, deren Seelenſpiegel nie ein Anhauch von
Ueppigkeit getrübt und die einen ausgeſprochenen Ab¬
ſcheu empfunden gegen Alles, was ſich im mindeſten
von ſittſamer Beſcheidenheit entfernte.

Heute aber nahm er an der Göttin keinen Anſtoß, er
war weit davon entfernt ſie nur zu beachten. Sein ganzes
Denken war darauf gerichtet, das Geſpräch auf ſeinen
Freund Jenatſch zu bringen, ohne durch die ſichere
Unterhaltungskunſt des Provveditore von der Fährte
abgebracht und ſpielend im Kreiſe herumgeführt zu
werden.

Er hatte heute ſchon in der Frühe, wie er daheim
in Zürich zu thun pflegte, einen kurzen Morgengang
gemacht, was hier in dem Gäßchen- und Waſſerlabyrinthe
der Lagunenſtadt ſeinen vorzüglichen Ortsſinn in ſpan¬

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[183/0193] das Gewöhnliche mit Geiſt und Anmuth hinſpielende Unterhaltung ſeines Gaſtfreundes einzugehn und hatte ſogar verſäumt, ſeinen hochlehnigen Stuhl ſo zu ſetzen, daß er dem verlockenden Götterbilde den Rücken zuwandte, was er ſonſt nie zu thun vergaß, denn die ſchmiegſame Ge¬ ſtalt mit dem Siegeszeichen des Parisapfels in der Hand pflegte ihn allmorgendlich zu ärgern und zu betrüben. Sie erinnerte ihn gewiſſermaßen an ſeine jung ver¬ ſtorbene ſelige Frau; aber wie ganz verſchieden war hinwiederum dieſes reizende Blendwerk von der Unver¬ geſſenen, deren Seelenſpiegel nie ein Anhauch von Ueppigkeit getrübt und die einen ausgeſprochenen Ab¬ ſcheu empfunden gegen Alles, was ſich im mindeſten von ſittſamer Beſcheidenheit entfernte. Heute aber nahm er an der Göttin keinen Anſtoß, er war weit davon entfernt ſie nur zu beachten. Sein ganzes Denken war darauf gerichtet, das Geſpräch auf ſeinen Freund Jenatſch zu bringen, ohne durch die ſichere Unterhaltungskunſt des Provveditore von der Fährte abgebracht und ſpielend im Kreiſe herumgeführt zu werden. Er hatte heute ſchon in der Frühe, wie er daheim in Zürich zu thun pflegte, einen kurzen Morgengang gemacht, was hier in dem Gäßchen- und Waſſerlabyrinthe der Lagunenſtadt ſeinen vorzüglichen Ortsſinn in ſpan¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/193>, abgerufen am 25.11.2024.