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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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gerüst besteigt, und Jürg Jenatsch schritt der Erstarren¬
den mit entblößtem Haupte entgegen.

Nach einer stummen Begrüßung des herzoglichen
Paares trat er vor die Tochter des Herrn Pompejus
hin und sprach: "Dein Recht soll Dir werden, Lucretia.
Der Mann, der den Planta erschlug, ist Dir von Rechts¬
wegen verfallen. Er stellt sich Dir und erwartet hier
Deinen Spruch. Nimm sein Leben. Es ist Dein --
zwiefach Dein. Schon der Knabe hätte es für Dich
geopfert. Seit ich die Hand an Deinen Vater legen
mußte, ist mir das Dasein verhaßt, wo ich es nicht für
das von Tausenden meines Volkes einsetzen kann. Dar¬
nach dürstet meine Seele und dazu bietet mir dieser
edle Herr vielleicht morgen schon Gelegenheit. Das be¬
denke, Lucretia Planta! Bei Dir steht die Entscheidung
wer von Euch Beiden das größere Recht auf mein Blut
habe, ob Bünden oder Du". --

Der Eindruck dieser Erklärung auf das Fräulein
war ein erschütternder. Der Mörder, in dessen Ver¬
folgung sie die Pflicht ihres Lebens sah, legte aus freiem
Entschlusse das seinige in ihre Hand und er that es
mit einer Hochherzigkeit, die eine ebenbürtige Seele
reizen mußte, sich ihr mit einer großen That der Ver¬
zeihung gleichzustellen. Diesen Wetteifer edler Gefühle
schien wenigstens die Herzogin zu erwarten, die aus der

gerüſt beſteigt, und Jürg Jenatſch ſchritt der Erſtarren¬
den mit entblößtem Haupte entgegen.

Nach einer ſtummen Begrüßung des herzoglichen
Paares trat er vor die Tochter des Herrn Pompejus
hin und ſprach: „Dein Recht ſoll Dir werden, Lucretia.
Der Mann, der den Planta erſchlug, iſt Dir von Rechts¬
wegen verfallen. Er ſtellt ſich Dir und erwartet hier
Deinen Spruch. Nimm ſein Leben. Es iſt Dein —
zwiefach Dein. Schon der Knabe hätte es für Dich
geopfert. Seit ich die Hand an Deinen Vater legen
mußte, iſt mir das Daſein verhaßt, wo ich es nicht für
das von Tauſenden meines Volkes einſetzen kann. Dar¬
nach dürſtet meine Seele und dazu bietet mir dieſer
edle Herr vielleicht morgen ſchon Gelegenheit. Das be¬
denke, Lucretia Planta! Bei Dir ſteht die Entſcheidung
wer von Euch Beiden das größere Recht auf mein Blut
habe, ob Bünden oder Du“. —

Der Eindruck dieſer Erklärung auf das Fräulein
war ein erſchütternder. Der Mörder, in deſſen Ver¬
folgung ſie die Pflicht ihres Lebens ſah, legte aus freiem
Entſchluſſe das ſeinige in ihre Hand und er that es
mit einer Hochherzigkeit, die eine ebenbürtige Seele
reizen mußte, ſich ihr mit einer großen That der Ver¬
zeihung gleichzuſtellen. Dieſen Wetteifer edler Gefühle
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[176/0186] gerüſt beſteigt, und Jürg Jenatſch ſchritt der Erſtarren¬ den mit entblößtem Haupte entgegen. Nach einer ſtummen Begrüßung des herzoglichen Paares trat er vor die Tochter des Herrn Pompejus hin und ſprach: „Dein Recht ſoll Dir werden, Lucretia. Der Mann, der den Planta erſchlug, iſt Dir von Rechts¬ wegen verfallen. Er ſtellt ſich Dir und erwartet hier Deinen Spruch. Nimm ſein Leben. Es iſt Dein — zwiefach Dein. Schon der Knabe hätte es für Dich geopfert. Seit ich die Hand an Deinen Vater legen mußte, iſt mir das Daſein verhaßt, wo ich es nicht für das von Tauſenden meines Volkes einſetzen kann. Dar¬ nach dürſtet meine Seele und dazu bietet mir dieſer edle Herr vielleicht morgen ſchon Gelegenheit. Das be¬ denke, Lucretia Planta! Bei Dir ſteht die Entſcheidung wer von Euch Beiden das größere Recht auf mein Blut habe, ob Bünden oder Du“. — Der Eindruck dieſer Erklärung auf das Fräulein war ein erſchütternder. Der Mörder, in deſſen Ver¬ folgung ſie die Pflicht ihres Lebens ſah, legte aus freiem Entſchluſſe das ſeinige in ihre Hand und er that es mit einer Hochherzigkeit, die eine ebenbürtige Seele reizen mußte, ſich ihr mit einer großen That der Ver¬ zeihung gleichzuſtellen. Dieſen Wetteifer edler Gefühle ſchien wenigſtens die Herzogin zu erwarten, die aus der

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/186>, abgerufen am 25.11.2024.