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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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aber ist es dem menschlichen Kurzblicke die richtige Ver¬
geltung zu wählen, und sicherer in jedem Falle, Frevel
durch Opfer der Liebe zu tilgen, als Gewaltthat durch
Gewaltthat zu rächen und so Fluch auf Fluch zu häufen.
-- Besonders die unsichere Frauenhand berühre nie¬
mals in den Leidenschaften des Bürgerkriegs die zwei¬
schneidige Waffe persönlicher Rache. Mehr als ein Mal
in unsern heimischen Kämpfen war auch ich von Mörder¬
hand bedroht, aber, hätte sie mich getroffen, mit dem
letzten Athemzuge hätte ich Frau und Kind angefleht,
sich mit keinem Rachegedanken, geschweige mit einer
Rachethat zu beflecken. Denn: Ich will vergelten, spricht
der Herr."

Lucretia sah den Herzog mit ernsten, zweifelnden
Blicken an. Die christliche Milde des Feldherrn be¬
fremdete sie und sein Tadel traf sie unerwartet. Aber
bevor sie noch ihre Gedanken zur Antwort gesammelt
hatte, veränderte sich plötzlich ihr Angesicht, als erblicke
sie etwas Unmögliches. Ihre ganze Seele trat in die
erschrockenen Augen, die, wie gebannt, auf der mittleren
Säulenpforte haften blieben.

Dort erschien, festen Trittes die Stufen heran¬
steigend, die hochaufgerichtete Gestalt eines Mannes,
stolz und gefaßt, wie ein verurtheilter König sein Blut¬

aber iſt es dem menſchlichen Kurzblicke die richtige Ver¬
geltung zu wählen, und ſicherer in jedem Falle, Frevel
durch Opfer der Liebe zu tilgen, als Gewaltthat durch
Gewaltthat zu rächen und ſo Fluch auf Fluch zu häufen.
— Beſonders die unſichere Frauenhand berühre nie¬
mals in den Leidenſchaften des Bürgerkriegs die zwei¬
ſchneidige Waffe perſönlicher Rache. Mehr als ein Mal
in unſern heimiſchen Kämpfen war auch ich von Mörder¬
hand bedroht, aber, hätte ſie mich getroffen, mit dem
letzten Athemzuge hätte ich Frau und Kind angefleht,
ſich mit keinem Rachegedanken, geſchweige mit einer
Rachethat zu beflecken. Denn: Ich will vergelten, ſpricht
der Herr.“

Lucretia ſah den Herzog mit ernſten, zweifelnden
Blicken an. Die chriſtliche Milde des Feldherrn be¬
fremdete ſie und ſein Tadel traf ſie unerwartet. Aber
bevor ſie noch ihre Gedanken zur Antwort geſammelt
hatte, veränderte ſich plötzlich ihr Angeſicht, als erblicke
ſie etwas Unmögliches. Ihre ganze Seele trat in die
erſchrockenen Augen, die, wie gebannt, auf der mittleren
Säulenpforte haften blieben.

Dort erſchien, feſten Trittes die Stufen heran¬
ſteigend, die hochaufgerichtete Geſtalt eines Mannes,
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[175/0185] aber iſt es dem menſchlichen Kurzblicke die richtige Ver¬ geltung zu wählen, und ſicherer in jedem Falle, Frevel durch Opfer der Liebe zu tilgen, als Gewaltthat durch Gewaltthat zu rächen und ſo Fluch auf Fluch zu häufen. — Beſonders die unſichere Frauenhand berühre nie¬ mals in den Leidenſchaften des Bürgerkriegs die zwei¬ ſchneidige Waffe perſönlicher Rache. Mehr als ein Mal in unſern heimiſchen Kämpfen war auch ich von Mörder¬ hand bedroht, aber, hätte ſie mich getroffen, mit dem letzten Athemzuge hätte ich Frau und Kind angefleht, ſich mit keinem Rachegedanken, geſchweige mit einer Rachethat zu beflecken. Denn: Ich will vergelten, ſpricht der Herr.“ Lucretia ſah den Herzog mit ernſten, zweifelnden Blicken an. Die chriſtliche Milde des Feldherrn be¬ fremdete ſie und ſein Tadel traf ſie unerwartet. Aber bevor ſie noch ihre Gedanken zur Antwort geſammelt hatte, veränderte ſich plötzlich ihr Angeſicht, als erblicke ſie etwas Unmögliches. Ihre ganze Seele trat in die erſchrockenen Augen, die, wie gebannt, auf der mittleren Säulenpforte haften blieben. Dort erſchien, feſten Trittes die Stufen heran¬ ſteigend, die hochaufgerichtete Geſtalt eines Mannes, ſtolz und gefaßt, wie ein verurtheilter König ſein Blut¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/185>, abgerufen am 25.11.2024.